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High Heels an die Macht. Doch wo bleibt die Emanzipation.

© dpa

Emanzipation: Aufstieg in High Heels

Erfolg ohne Emanzipation: Die britische Feministin Angela McRobbie über neue weibliche Freiheiten in Zeiten des Neoliberalismus.

Jutta Limbach, die einstige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, hat einmal erklärt, sie gehöre zu jenen, die sich „– im wahren Sinne des Wortes – schamlos Feministinnen nennen“. Ein schamloses Bekenntnis zum Feminismus – vielen jungen Frauen steht heute nichts ferner als das. Allenthalben melden sie sich zwar zu Wort, um Gleichberechtigung zu verlangen. Doch noch im gleichen Atemzug wenden sie sich gegen den Feminismus. So wie die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin. Fordert sie „gleiche Karrierechancen“ für Frauen, dann nur verbunden mit Attacken gegen die Frauenbewegung, die angeblich jeden Mann als Aggressor betrachte. Ebenso typische Töne in der Debatte waren unlängst von der Grünen-Politikerin Tina Schulz in ihrer Funktion als studentische Mitarbeiterin im Gleichstellungsbüro (!) der Uni Wuppertal zu hören: Bei den Feministinnen „alten Typs“ handle es sich um „ungeschminkte Birkenstockträgerinnen“, die der weiblichen Freiheit auf „knappes Outfit“, „High Heels“ und „Brustvergrößerung“ im Wege stehen, erklärte sie im Tagesspiegel und forderte einen „neuen Feminismus“.

Als prominenteste Vertreterinnen dieser verbreiteten Richtung des selbst ernannten „neuen Feminismus“ oder „Postfeminismus“ gelten in Deutschland die Autorinnen populärer Bücher wie der „Alphamädchen“ oder der „Neuen F-Klasse“. Unter „Feminismus“ verstehen die „Alpha-Mädchen“ nicht länger eine soziale Bewegung, die sich „gegen Macht- und Gewaltverhältnisse“ wendet, „die Frauen zum Objekt machen“ (Limbach). Ihnen geht es stattdessen um ihr persönliches Recht auf Spaß: an beruflichem Erfolg, am Konsum und an gutem Sex. Die Feministin „alten Typs“ erklären sie zur Spaßbremse, „die mit dem Hackebeilchen darauf aus ist, das männliche Geschlecht um seinen kleinen Unterschied zu bringen“ (Limbach).

Nun waren Feministinnen immer eine verpönte, wenn auch einflussreiche Minderheit. Der „Postfeminismus“ irritiert den traditionellen Feminismus aber damit, dass er feministische Forderungen nicht einfach nur kritisiert oder ignoriert, sondern dass er sie aufgreift, um sie bis zur Unkenntlichkeit umzuformen. Freiheit ist nun die Freiheit zur Brustvergrößerung – für echte Feministinnen eine unheimliche und bedrohliche Entwicklung.

Bislang ist das Phänomen des „Postfeminismus“ lapidar damit erklärt worden, die Alpha-Mädchen wollten sich von ihren „Müttern“ nichts mehr vorschreiben lassen, sie wollten einfach ihren Spaß. Einen tiefer gehenden Erklärungsversuch unternimmt jetzt die prominente linke Feministin Angela Mc Robbie, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der University of London, mit ihrem Buch „The Aftermath of Feminism“ (jetzt auf Deutsch unter dem Titel „Top Girls“ erschienen).

McRobbie deutet den Postfeminismus als Begleitmusik zu großen Umbrüchen: dem strukturellen Wandel des Arbeitsmarkts und der „neoliberalen“ Aushöhlung des Sozialstaates, zumal im Großbritannien Tony Blairs. Sie verfolgt den Wandel vor allem in der Populärkultur. In Filmen wie „Bridget Jones“, im „Trash-TV“ oder in Modezeitschriften spürt sie postfeministische Botschaften auf und unterzieht sie einer feministischen Sozialkritik.

McRobbie zufolge hat der Postfeminismus seine Wurzel darin, dass junge gut ausgebildete Frauen aus der Mittelschicht seit einigen Jahren in bisher nicht gekannter Zahl ins Berufsleben drängen. Der ständig wachsende Dienstleistungssektor nimmt sie gerne auf, gelten sie doch als kommunikativ, fleißig und effektiv. Doch der berufliche Erfolg der Frauen irritiert das Verhältnis der Geschlechter. Denn Frauen machen Männern jetzt Konkurrenz um gute Jobs. Und mit ihrer neuen finanziellen Unabhängigkeit machen sie den Ehemann in seiner Rolle als Ernährer überflüssig. Die Öffnung des Arbeitsmarkts für Frauen bringt die Geschlechterhierarchie also ins Wanken, sie stürzt das Geschlechterverhältnis in eine „Krise“.

Es handelt sich keineswegs nur um eine Krise der Männer. Unter den erfolgreichen Frauen selbst fühlen sich manche verunsichert. Der Grund: Starke Frauen gelten leicht als unweiblich, erklärt McRobbie. So fürchteten manche der beruflich erfolgreichen Frauen, für Männer nicht mehr begehrenswert zu sein. Schlimmer noch: Eine „mächtige“ Frau ist den herrschenden Normen nach nichts anderes als eine „männliche“ Frau. Eine „männliche“ Frau ist aber eigentlich gar keine Frau. Jedenfalls keine „echte“. Die „mächtige“, „männliche“ Frau läuft also Gefahr, ihre Weiblichkeit zu verlieren und darum nicht mehr als Mensch (an)erkennbar zu sein, nicht „intelligibel“ zu sein, wie McRobbie die Philosophin Judith Butler zitiert. Die „männliche Frau“ ist gesellschaftlich geächtet.

Dieses Risiko wollen manche beruflich erfolgreiche Frauen nicht eingehen. Sie distanzieren sich lautstark von jenen Frauen, die im Verdacht der „Vermännlichung“ stehen und mit denen sie darum auf keinen Fall verwechselt werden wollen: Feministinnen und Lesben, „kastrierenden Figuren“, wie McRobbie schreibt. Aus ihrer Sicht verunglimpfen die Postfeministinnen die Feministinnen, um sich an verunsicherte Männer (und Frauen) anzubiedern.

Einen weiteren Versuch, dem eigenen Erfolg die Bedrohlichkeit zu nehmen und einen Kotau im Sinne der traditionellen Geschlechterhierarchien zu machen, sieht McRobbie in einem von ihr beobachteten neuen Bekleidungsstil von Frauen, den sie „postfeministische Maskerade“ nennt. Er besteht darin, dass Frauen ihre „Femininität“ dramatisch betonen, indem sie etwa „schwindelerregend hohe Stilettos“ oder massenhaft überflüssige Accessoires tragen. Im Film beobachtet McRobbie das etwa bei „Bridget Jones“, die im Minirock ins Büro geht und sich girliehaft dumm und konfus gibt. Damit „maskiert“ Bridget „ihre Rivalität mit den Männern in der Arbeitswelt“, schreibt McRobbie.

Dass man sich wie eine Frau anziehen und verhalten muss, um eine zu sein, ist eine alte Erkenntnis. Das Neue ist jedoch der Exzess der Maskerade: Die Frauen übertreiben bei der weiblichen Kostümierung deutlich. Ihre Accessoires sind weit zahlreicher, ihre Schuhe weit spitzer als die Norm es für weibliche Bekleidung vorschreibt. Indem sie die Norm weit überbieten, signalisieren die Frauen, dass sie ihren Stil völlig freiwillig wählen, weil er ihnen Spaß macht – was sie oft genug auch verbal bekunden.

Das nimmt McRobbie den Frauen aber nicht ab. Das gute Gefühl, das diese empfinden, wenn sie sich „völlig zwanglos“ in High Heels zwängen, entsteht ihrer Meinung nach durch das Behagen, den Schönheitsvorschriften für Frauen nicht nur zu entsprechen, sondern sie sogar überzuerfüllen. Während Frauen in gute Jobs vordringen, bleiben sie so aber in Wahrheit „ängstliche Subjekte, getrieben vom Bedürfnis nach ,absoluter Perfektion’“. Die „postfeministische Maskerade“ stabilisiert also die ins Wanken geratene Geschlechterhierarchie.

McRobbie beobachtet solche postfeministische „Scheinemanzipation“ auch im Sexualverhalten junger Frauen. Zumal in Großbritannien ziehen sie inzwischen nachts durch die Straßen, „betrinken sich, bis sie aus dem Taxi fallen“, „haben Sex, wann immer sie wollen“, „entblößen ihre Brüste in der Öffentlichkeit“, „pöbeln“ und „prügeln“ – kurzum, sie verhalten sich „aggressiv“ und „unweiblich“. Dieses Gebaren erweckt den Anschein einer neuen sexuellen Selbstermächtigung der Frau. Es sieht so aus, als würden Frauen sich symbolisch den Phallus aneignen.

Tatsächlich aber beinhaltet das Verhalten dieser „phallischen Frauen“ keine Kritik der „männlichen Hegemonie“, wie McRobbie feststellt. Die Frauen wollen durch ihre „scheinbare Männlichkeit“ nur noch begehrenswerter für Männer werden, wollen signalisieren, dass sie „ähnlich viel Lust auf Sex“ haben wie diese. Dafür nehmen sie auch sexistische Beleidigungen in Kauf sowie die Tatsache, dass ihre sexuelle Freiheit nur akzeptiert wird, solange sie den Anforderungen des Schönheitssystems entspricht. Im Minirock ist auch schon mal lesbischer Sex erlaubt. Wie zur postfeministischen Maskerade gehören zum phallischen Mädchen Hasstiraden auf Feministinnen. So wurde das Model Jodie Marsh bei „Big Brother“ von ihren Mitbewohnern wegen ihres „tussigen Erscheinungsbilds“ sexistisch beleidigt. Doch im Anschluss von der Presse darauf angesprochen, richtete sie ihre Wut gegen „diese feministischen Schlampen“.

McRobbie sieht im Postfeminismus nicht zuletzt eine Reaktion auf den Niedergang der Linken in den USA und in Großbritannien. Mit dem Abbau des Sozialstaates wird die Verantwortung für den persönlichen Erfolg oder Misserfolg gänzlich auf das Individuum übertragen. Auch unter Frauen entsteht eine Grenze zwischen jenen, „die fähig sind, die neuen Freiheiten zu nutzen und denen, die jämmerlich versagen“. Armut ist demnach eher eine persönliche Schuld als ein Effekt gesellschaftlicher Verhältnisse. So sei es in der britischen Gesellschaft akzeptabel geworden, die junge arbeitslose und alleinerziehende Mutter als nutzloses pram face zu verhöhnen, als „Kinderwagen-Gesicht“. Das kann der Postfeministin nicht passieren, sie steht auf der Gewinnerseite und hat den Feminismus nicht mehr nötig.

McRobbie beobachtet in Großbritannien eine bis dahin nicht gekannte Entsolidarisierung von Frauen und einen neuen Klassenantagonismus. Zu besichtigen ist das in mehreren „Vorher-Nachher“-TV-Formaten. Dabei werden ausgewählte unscheinbare Frauen aus unteren Schichten von stylischen TV-Expertinnen dazu angehalten, sich „richtig“ anzuziehen. Bei „What Not To Wear“ muss die Kandidatin in Unterwäsche vor den Ganzkörperspiegel treten, die Moderatorinnen lästern über ihre unförmigen „Titten“ und fordern sie auf, ihre hässlichen Unterhosen in den Müll zu entsorgen.

In der neuen neoliberalen Welt reicht es für Frauen aus der Unterschicht nicht mehr, „respektabel“ zu sein. Frauen, denen es an Geschmack und Bildung für den Bürojob fehlt, werden bloßgestellt, gegen sie wird „postfeministische symbolische Gewalt“ ausgeübt. Die Grenzen für das, was als akzeptabel gelten kann, werden verschoben – sogar in der öffentlich-rechtlichen BBC, die „What Not To Wear“ ausgestrahlt hat.

Seit einigen Jahren richtet sich das öffentliche Scheinwerferlicht auf die noch nie da gewesenen Bildungs- und Aufstiegserfolge von Frauen der Mittelschicht. McRobbies Sozialkritik beleuchtet die Rückseiten der emanzipatorischen Fassaden, die Doppelbelastung von berufstätigen Frauen mit Kindern, die Stigmatisierung Alleinerziehender, die Bedrohung durch Altersarmut, sexistische Repräsentationen von Frauen und die Pathologien, die der weibliche Perfektionswahn erzeugt (McRobbie zitiert Amy Winehouse: „Ein bisschen Magersucht, ein bisschen Bulimie. Es geht mir nicht total gut gerade, aber ich denke, das geht allen Frauen so.“).

McRobbies Analyse ist dunkel. Ihr provokanter Scharfsinn macht das Buch trotzdem zu einem Vergnügen. Auch Postfeministinnen sollten sich die Lektüre gönnen, wenn ihr Freund einmal keine Zeit hat für „Knallersex“ (Thea Dorn, „Die neue F-Klasse“). Aber nur heimlich unter der Bettdecke, sonst hält man sie noch für hässliche Feministinnen.

Angela McRobbie: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Hrsg. Sabine Hark und Paula Villa. VS Verlag, Wiesbaden 2010. 227 Seiten, 24,95 Euro.

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