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Mandelinfekte sind bei Kindern häufig, Mandel-OPs auch. Werden die Organe früh entfernt, könnte das Auswirkungen auf die spätere Gesundheit haben.

© imago/McPHOTO

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde: Erkrankungsrisiko bei früher Mandel-OP erhöht

Werden die Gaumen- oder Rachenmandeln im frühen Kindesalter entfernt, könnte das Langzeitrisiko für Krankheiten der Atemwege steigen.

Sie gehören zu den häufigsten Operationen überhaupt. Wenn Kinder durch die Nase keine Luft bekommen, immer wieder Mittelohrentzündungen haben und deshalb sogar Hörstörungen und verzögerter Spracherwerb drohen, werden die Rachenmandeln (oft auch Polypen genannt) entfernt. Leiden sie dagegen wiederholt an starken Halsschmerzen, Lymphknotenschwellung und Fieber, kann eine Entzündung der Gaumenmandeln die Ursache sein. Fast 22 000-mal wurden sie in Deutschland 2016 per Operation entfernt. Das Ziel: weniger Entzündungen und Atembeschwerden durch die vergrößerten Organe. Langfristig allerdings könnten die Operationen mehr schaden als nutzen, wie Forscher im Fachblatt "JAMA Otolaryngology-Head & Neck Surgery“ schreiben.

Das Risiko war bei beiden Operationen erhöht

Obwohl die Eingriffe jährlich zehntausendfach durchgeführt werden, wusste man bisher wenig über mögliche Langzeitfolgen. Sean Byars von der Universität Melbourne, Jacobus Boomsma von der Uni Kopenhagen und Stephen Stearns von der Universität Yale untersuchten nun an etwa 1,2 Millionen Dänen mit Geburtstag zwischen 1979 und 1999, wie die Entfernung von Rachen- und Gaumenmandeln bis zum neunten Lebensjahr mit dem Risiko zusammenhing, später häufiger etwa an verschiedenen Erkrankungen zu leiden.

Kinder, deren Gaumenmandeln operativ entfernt worden waren, hatten ein etwa dreifach erhöhtes Risiko, bis zum 30. Geburtstag an Asthma, Influenza, Lungenentzündung oder chronisch obstruktiver Lungenenkrankheit (COPD) zu erkranken. Kinder mit Rachenmandel-OP hatten ein etwa verdoppeltes Risiko für diese Leiden verglichen mit Kindern ohne die Operation.

Die ersten Lebensjahre sind kritisch fürs Immunsystem

Sowohl Rachen- als auch Gaumenmandel sind Organe des Lymphsystems. Strategisch an Eintrittspforten für Keime positioniert, bilden sie eine frühe Barriere gegen Krankheitserreger. Besonders in den ersten Lebensjahren spielen sie eine wichtige Rolle bei der Reifung des Immunsystems. Werden sie in dieser kritischen Phase entfernt, könnte das offenbar länger währende Folgen haben.

"Diese Befunde sind sehr interessant, bisher gab es dazu fast keine Daten", sagt Christoph Reichel, HNO-Arzt und Forscher am Klinikum Großhadern in München. "Sie bestätigen uns aber auch in unserem Handeln, diese Operationen keinesfalls leichtfertig vorzunehmen", sagt Reichel. Seien früher die Gaumenmandeln aus Angst vor einer Keimausbreitung in den ganzen Körper fast bei jedem Kind entfernt worden, werde heute zunächst mit Antibiotika behandelt. "Wir operieren erst bei mehr als sieben Mandelentzündungen pro Jahr und erst ab dem 6. Geburtstag", sagt Reichel. Dann sei das Risiko bei einer Nachblutung nicht mehr ganz so groß. Außerdem, so nehme man an, sei die Reifung des Immunsystems in dem Alter schon fortgeschritten.

Andere Ursachen sind möglich

Bei der Studie handelt es sich um eine Beobachtungsstudie, die keine Ursache-Wirkungs-Beziehung herstellen kann. So ließen die Autoren der Studie etwa den Tabakkonsum der Eltern außer Acht. Dieser Faktor könnte sowohl die Wahrscheinlichkeit einer OP als auch jene erhöhen, später im Leben an Asthma, Infekten oder COPD zu erkranken. Ähnlich verhält es sich mit Antibiotika. Die Wissenschaftler hatten keine Möglichkeit zu überprüfen, wie viele Antibiotika die Probanden in ihrer Kindheit verschrieben bekommen hatten. Studien lassen darauf schließen, dass Kinder, die wegen Entzündungen viele Antibiotika bekommen, häufiger an den Mandeln operiert werden. Gleichzeitig können die Medikamente über ein verändertes Mikrobiom einen Einfluss auf das Immunsystem haben.

Falls es aber wirklich an den Operationen während der sensiblen Phase der Immunreifung liegt: Welche Mechanismen in der Körperabwehr dazu führen, dass dies noch Jahrzehnte später das Risiko für Infekte und Allergien steigern kann, ist unklar. Reichel geht davon aus, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Immunzellen handelt. Mit der Studie habe man aber nun eine Grundlage, diese Vorgänge weiter zu untersuchen.

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