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FREIE Sicht: Enthusiasmus statt Sarkasmus

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität

1979 landete Pink Floyd einen großen Erfolg mit „The Wall“. In dem bekanntesten Lied dieses Konzeptalbums, „Another brick in the wall“, hieß es: „No dark sarcasm in the classroom – teachers leave them kids alone.“ Frei übersetzt: Keinen dunklen Sarkasmus im Klassenzimmer. Lehrer, lasst die Kinder in Ruhe. Vor ein paar Wochen erzählte mir ein amerikanischer Lehrer, der an einem deutschen Elitegymnasium unterrichtet, er habe den Eindruck, seine Schüler seien nur noch sarkastisch.

Und in der Tat, den Eindruck mag man haben: Sie lernen für das System, sie lernen das System zu überleben, zu überlisten, zu verachten, und darin sind sie gut. Sie verkehren die Begriffe in ihr Gegenteil: „Mies“ heißt heute „großartig“ und beginnt „cool“ abzulösen, das, weil eigentlich Ausdruck für etwas Positives, ja hätte „warm“ heißen sollen, vor ein paar Jahrzehnten schon. Haben unsere Schüler den Sarkasmus gelernt, übernommen, den Pink Floyd dem System anlastete? Versuchen sie es mit seinen Mitteln zu schlagen, erfolgreich gar? Dann wäre das (Bildungs-)System ungewollt erfolgreich gewesen. Es hätte mit seinem Sarkasmus den Schülern beigebracht, es mit seinen Mitteln zu überleben.

Das wäre in Ordnung, wenn nach der Schule der Sarkasmus von ihnen abfiele wie ein Schuppenkleid und danach die schöne heile Haut sichtbar würde für das wirkliche Leben. Das würden sie gelernt haben müssen, aber wo? In einem System, das sarkastisch agiert? Von Eltern, die Ironie und Zynismus nicht auseinanderhalten können?

Es mag sein, dass, wenn wir über Bildung reden, wir es zu tun haben mit dem „Wissenmüssen“ dessen, was Jahrzehnte vernachlässigt wurde: Fakten, Kompetenzen, Routine. Zu deklarativem Wissen verkommen, kann es nur abgefragt werden und löst den Sarkasmus des Überlebenskampfes aus, wenn nicht ein Gegenmittel injiziert wird: der Enthusiasmus der Lehrer, des „Wissenwollens“, des Entdeckens und Erfindens, des Eifers, der Zukunft. Den könnten Eltern vermitteln und Lehrer, beide, wenn sie von sich selbst absehen könnten, wenn sie begriffen, dass Enthusiasmus immer auf Zukunft gerichtet ist und das Vorbild braucht, um nachgebildet zu werden in den Köpfen der nächsten Generation. Es geht um sie, nicht um uns. Wir haben unsere Chance gehabt. Unser Enthusiasmus, etwas für die Jugend zu wollen, ist jetzt gefragt. Das neue Schuljahr bietet eine gute Chance dafür, allzu viele werden es nicht mehr sein.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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