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Flüchtlingskinder in der Schule.

© dpa

Gastbeitrag zur Integration: Flüchtlinge besser bilden

Immigrierte Schüler haben oft hohe Ziele. Packen wir sie bei ihrem Ehrgeiz, sagt Barbara Ischinger, ehemalige HU-Vizepräsidentin und OECD-Bildungsdirektorin, in einem Gastbeitrag.

Die kontroverse Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. In allen Medien, Talkshows, Parteigipfeln und privaten Partys heizt sich das Thema auf. Das Wort „Willkommenskultur“ wird nunmehr rar – oder es wird nur in der Rückschau erwähnt.

Bei aller Schärfe der Auseinandersetzung sollte man aber nicht vergessen: Wir müssen davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge bleiben wird. Die Heterogenität der Flüchtlingskohorten mag zwar zugenommen haben – sowohl im Hinblick auf die Herkunftsländer als auch auf das Bildungsniveau, die finanziellen Ressourcen und die familiäre Situation der Migranten. Umso wichtiger ist es, den Flüchtlingen eine Integration auf mehreren Ebenen zu eröffnen. Dazu gehören: ein angemessener Wohnraum, die Schulen, die Weiterbildung und den Einstieg in das Berufsleben.

Zu allen Bereichen gibt es internationale Erfahrungen, die Deutschland lange nicht wahrhaben wollte, genauso wenig wie die Tatsache, dass Deutschland schon seit langer Zeit ein Einwanderungsland ist. Als die deutsch-amerikanische Fulbright-Kommission Ende der neunziger Jahre Mitarbeitern des Innenministeriums ein Fortbildungsprogramm in die Einwanderungsthematik in den USA anbot, wurde dieses Projekt als irrelevant für Deutschland abgetan.

Deutschland hat weniger Traditionen bei der Integration

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Staaten weniger Traditionen im Bereich von Integration. Der Pisa-Schock ist auch in diesen Rahmen einzuordnen. Die Erhebungen bis Mitte der nuller Jahre zeigten, dass die Kinder von Immigranten in deutschen Schulen weniger Förderung erfuhren als zum Beispiel in skandinavischen Ländern. In Deutschland ist auf diesen Gebieten in der Politik inzwischen nachgebessert worden. Aus diesen frischen Erfahrungen müssen wir jetzt die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Bildung und Ausbildung werden eine Schlüsselrolle in der Integrationspolitik einnehmen müssen, denn die Zahl der Jobs für ungelernte Arbeiter ist in Deutschland stark zurückgegangen. Die „FAZ“ beschreibt das Integrationsprojekt „Junge Arbeit“ in Rosenheim, in dem rund 30 jugendliche Flüchtlinge zusätzlich zu annähernd 200 deutschen schwererziehbaren oder lernbehinderten Kindern und Jugendlichen betreut werden.

Die gleichen Fehler nicht noch einmal begehen

Ist das die richtige Vorgehensweise? Genau dieselben Fehler wurden mit den sogenannten Gastarbeiter-Kindern begangen, die von den besseren Schulen ausgegrenzt wurden und denen man den Aufstieg nicht zutraute. Was eine erste Hilfsmaßnahme sein mag, darf nicht zur Routine werden. Die Studien der OECD zur Integration von jugendlichen Immigranten (2015) weisen auf die internationalen Erfahrungen hin, die belegen, dass eine Konzentration von sozio-ökonomisch benachteiligten Schülern in einer Schule die Lernerfolge behindern. Sobald mehr als 25 Prozent der Schüler einer Schule aus benachteiligten Familien stammen, sinken die Lernleistungen und die Chancen auf Bildungserfolge.

Barbara Ischinger.
Barbara Ischinger, ehemalige HU-Vizepräsidentin für Internationales und OECD-Bildungsdirektorin.

© picture alliance / dpa

Deutschland hat in den vergangenen Jahren verstärkt in Früherziehung investiert. Diese Institutionen müssen so früh wie möglich auch den Immigrantenkindern zur Verfügung stehen. In manchen Ländern wird kein Kindergeld bezahlt, wenn das Kind keinen Kindergarten besucht. Eine harte Maßnahme, die sich aber vielerorts bewährt hat.

Je älter die neu immigrierten Jugendlichen sind, desto komplexer wird die Eingliederung. Diese gilt auch besonders für Deutschland, wo in der Pisa-Umfrage 2012 Immigrantenkinder danach gefragt wurden, ob sie sich ihrer Schule zugehörig fühlen. In Deutschland bejahten dies nur 74 Prozent, gegenüber 86 Prozent in Österreich und 94 Prozent in Finnland.

Und wie werden die Lehrer unterstützt? Deutschland hat in den vergangenen Jahren nicht an der internationalen Lehrerstudie der OECD (TALIS) teilgenommen. Es liegen aber relevante Daten aus den 34 Staaten vor, deren Lehrer auch zu ihren Erfahrungen im Umgang mit ausländischen Schülern geantwortet haben. Allgemein forderten die Lehrer Fortbildungskurse, die sie auf den Unterricht mit kulturell unterschiedlichen Schülern vorbereiten. Besonders hoch war in diesem Bereich der Prozentsatz der Lehrer in den Ländern, die mit einer neuen Welle von Flüchtlingen und Immigranten konfrontiert waren, im Jahr 2012 Spanien und Italien.

Immigrierte Schüler haben ehrgeizige Wünsche

Pisa hat auch gezeigt, dass immigrierte Schüler ehrgeizige Wünsche für ihre berufliche Zukunft haben; sie haben sogar höhere Erwartungen als die einheimischen Mitschüler. Diesen Optimismus müssen wir begleiten und die Jugendlichen bei ihrem Ehrgeiz packen. Wie gut, dass es bereits sehr ehrgeizige Initiativen gibt, wie „Kiron“, eine virtuelle Universität, wo Flüchtlinge mit Betreuung online studieren können, gratis und auf Englisch. Ist dieses Projekt erfolgreich, kann es einen problematischen Engpass beseitigen. Einige deutsche Universitäten prüfen eine Unterstützung sowie die Aufnahme dieser Kiron-Studierenden nach erfolgreichem Abschluss von mehreren Semestern. Und nicht zu vergessen: 50 ehrenamtliche Helfer unterstützen dieses von Studenten gegründete Start-up Unternehmen.

Es gibt unzählige positive Beispiele, die zeigen, wie Deutsche den Flüchtlingen helfen wollen. Und 90 Prozent der Deutschen wollen schutzbedürftige Flüchtlinge und Migranten weiterhin in Deutschland aufnehmen. Die Welt beobachtet Deutschland sehr aufmerksam; wenn Deutschland die neu gewählte Integrationspolitik aufgibt, haben wir für lange Zeit verloren.

- Die Autorin ist ehemalige Vizepräsidentin für Internationales der Humboldt-Universität und OECD-Bildungsdirektorin.

Barbara Ischinger

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