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Jeder für sich. Ein Plagiatsexperte sieht den Schutz wissenschaftlicher Autoren in Gefahr, weil andere von ihnen „abkupfern“ könnten, ohne bestraft zu werden.

© picture alliance / dpa

Gerichtsurteil: Plagiatsvorwürfe sind Meinungsäußerung

Plagiatsvorwürfe bei wissenschaftlichen Arbeiten müssen Betroffene als Meinungsäußerung hinnehmen - so lautet ein neues Gerichtsurteil.

Für Karl-Otto Edel, Mechanik-Professor an der FH Brandenburg, geht es um strafbare „üble Nachrede“. Für seinen angeblichen Verleumder, den Rechtsprofessor und Plagiatsexperten Volker Rieble, geht es um das Recht auf „wissenschaftlich-kritisches Publizieren“. Edel hat vor ein paar Jahren ein Buch über die „Macht der Sprache in der Wissenschaft“ veröffentlicht, das zahlreiche „Anlehnungen“ an einen anderen Autor enthält, aber trotzdem auch nach höchstrichterlichem Urteil keine Urheberrechtsverletzung darstellt.

Nach Rieble ist diese Entscheidung, die bis zum Bundesverfassungsgericht ging, symptomatisch für die angeblich herrschende „Schutzlosigkeit wissenschaftlicher (Erst-)Autoren“. In einem Fachaufsatz kritisiert er, Edel habe sich doch klammheimlich „bedient“ und „abgeschrieben“, „teils nur umformuliert“ und „exzerpierend abgekupfert“. Der solchermaßen Kritisierte wollte sich das nach seinem Freispruch in der Urheberrechtssache nicht gefallen lassen.

Und so landeten auch Riebles Vorwürfe vor Gericht – mit einem Sieg des Plagiatsexperten. Nach dem jetzt ergangenen Urteil des Landgerichts Hamburg muss Edel Riebles Kritik im Sinne der Meinungsfreiheit hinnehmen (Az.: 324 O 525/15). Der Richterspruch ist umso bemerkenswerter, als die zuständige Kammer in Fragen der Meinungsfreiheit bundesweit besonders große Beachtung genießt.

Betroffene können sich nicht mit Verweis auf ihre Privatsphäre wehren

Das zugrundeliegende Problem ist, dass das Urheberrecht sich allein an der „Schöpfungshöhe“, der unverwechselbaren Sprachgestalt von Texten, orientiert. Demgegenüber sind in der wissenschaftlichen Sachprosa inhaltliche Aussagen entscheidend, ganz gleich in welchem sprachlichen Kleid. Um solche urheberrechtlich nicht geschützten Ansprüche von Autoren zu verteidigen, hat sich für verheimlichte Übernahmen geistiger Leistungen anderer inzwischen auch bei Gerichten die Bezeichnung Wissenschaftsplagiat eingebürgert. Sie geht zurück auf eine gleichnamige Untersuchung Riebles von 2010.

Dass jemand „plagiiert“ habe, sagen jetzt die Richter in Hamburg, sei eine „Meinungsäußerung“ nach „einem vom Kritiker gewählten Maßstab“, also eine subjektive Wertung. Als persönliche Meinung darf sie nur nicht den Eindruck einer objektiven Tatsachenbehauptung erwecken, die auf unbestreitbare Fakten angewiesen ist. Hingegen brauchen Plagiatsvorwürfe nicht mehr als „tatsächliche Bezugspunkte“, wie sie etwa in Riebles Auseinandersetzung mit Edels „Anlehnungen“ an andere vorliegen. Dabei ist auch kein gerichtsfester Täuschungsnachweis erforderlich, wie ihn speziell das Prüfungsrecht etwa beim Entzug eines Doktorhutes verlangt.

Demnach muss der Kritiker mit seiner Plagiatsthese nicht besonders ängstlich oder zimperlich sein. Denn Meinungen können laut Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch „scharf und überzogen geäußert werden“. Sich als Betroffener dabei an einzelnen Wort- oder Satzfetzen wie „abkupfern“ verärgert festzubeißen, ist ganz zwecklos. Denn Zuspitzungen seien nicht isoliert zu verstehen, sondern immer erst aus der Gesamtargumentation, heißt es im Hamburger Urteil.

Plagiatsvorwürfe kratzen unvermeidlich an der Ehre des Betroffenen. Dagegen kann sich aber niemand mit dem Schutz seiner Privatsphäre wehren, sagen die Richter. Denn die Auseinandersetzung spiele in der „Sozialsphäre“, der Öffentlichkeit, die jeder Autor ja selber sucht. Eine einvernehmliche Konfliktlösung lehnten beide Streithähne ab. Der Unterlegene zieht gegen seine Abfuhr nun in Berufung.

Hermann Horstkotte

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