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Es läuft schlecht. Seit bekannt wurde, dass mit dem Blutverdünner „Pradaxa“ zahlreiche Todesfälle verbunden sein könnten, gerät dessen Hersteller Boehringer Ingelheim in Erklärungsnot.

© picture alliance / dpa

Gerinnungshemmer: Todesfälle nach Pradaxa-Einnahme verunsichern Patienten

Ist das Risiko bei der Einnahme des Medikaments Pradaxa größer als der Nutzen? Seit der Zulassung sind 260 Todesfälle aufgetreten. Bei Patienten, deren Nieren nicht mehr so gut arbeiten, ist Vorsicht geboten.

Viele Patienten fragen sich, ob sie dem Medikament „Pradaxa“ noch vertrauen können. Das Mittel macht das Blut „flüssiger“ und senkt das Risiko von Schlaganfällen. Auf der anderen Seite kann es lebensbedrohliche oder sogar tödliche Blutungen auslösen. Seit der ersten Zulassung von „Pradaxa“ im März 2008 sind weltweit 260 Fälle von tödlichen Blutungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments aufgetreten, teilte der Hersteller Boehringer Ingelheim nun mit – nachdem es noch Anfang des Monats von Seiten des Unternehmens geheißen hatte, eine Zahl von 50 Todesfällen sei „realistisch“.

Trotzdem hält Boehringer an Pradaxa fest und rät Patienten, das Mittel nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen. Es gebe „derzeit eine große Verunsicherung im Hinblick auf den Einsatz von Pradaxa“, sagte Unternehmenschef Andreas Barner am Sonntag bei einer Pressekonferenz. Pradaxa sei aber ein „gutes Medikament“. Für Patienten, die gut auf das Arzneimittel eingestellt sind, gebe es keine Veranlassung, Pradaxa abzusetzen.

Das Medikament ist in der EU zugelassen für die Vorbeugung von Blutgerinnseln nach Knie- und Hüftgelenksersatz und von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern. Das Vorhofflimmern ist eine im Alter häufige Rhythmusstörung des Herzens, deren Ursache meist Durchblutungsstörungen sind. Die Herzvorhöfe ziehen sich nicht mehr im normalen Herzrhythmus zusammen, sondern „flimmern“. Die Herzkammern schlagen unregelmäßig, vor allem aber können sich in den nicht mehr regulär arbeitenden Herzvorhöfen Blutgerinnsel bilden.

Ein solches Blutgerinnsel kann sich etwa aus dem linken Vorhof lösen, über eine Schlagader ins Gehirn gespült werden und verstopft dann hier ein Blutgefäß – Schlaganfall. Patienten mit Vorhofflimmern haben ein fünffach erhöhtes Schlaganfallrisiko. Nach Schätzungen wird jeder vierte der heute 40-Jährigen später Vorhofflimmern bekommen.

Seit mehr als 50 Jahren werden Patienten mit Vorhofflimmern mit dem Medikament „Marcumar“ (Wirkstoff: Phenprocoumon) behandelt. Es ist ein Gegenspieler des für die Blutgerinnung wichtigen Vitamins K. Marcumar verhindert zwei von drei Schlaganfällen. Aber es ist nicht leicht zu handhaben und zu dosieren. Die Blutgerinnung muss ständig kontrolliert werden. Jeder dritte Patient, der eigentlich geeignet wäre, erhält deshalb kein Marcumar. Auch Marcumar kann zu schweren Blutungen führen.

Dabigatran – der Wirkstoff in Pradaxa – gehört ebenso wie die Substanzen Apixaban und Rivaroxaban zu den neuartigen Marcumar-Alternativen. Sie sind leichter zu handhaben und komfortabler für die Patienten. Nach den bisher vorgelegten Studien senken alle drei Wirkstoffe das Risiko der besonders gefürchteten Hirnblutungen, verglichen mit Marcumar. Pradaxa senkt diese Gefahr sogar auf ein Viertel, berichtet Christoph Bode, Herzspezialist an der Uniklinik Freiburg. „Auch unter Pradaxa kann es zu Blutungen kommen – aber vermutlich deutlich weniger als unter Marcumar“, sagte Bode dem Tagesspiegel. Beim Vorbeugen von Schlaganfällen nimmt man also das Risiko von Blutungen in Kauf, um die größere Gefahr – die Schlaganfälle – zu verringern.

Trotz der jetzt bekannt gewordenen Todesfälle sieht Bode keinen Grund, die Zulassung von Pradaxa in Frage zu stellen. „Der Wirkstoff hat sich in mehreren großen Untersuchungen als sicher erwiesen“, sagt er. „Jetzt sollte genau überprüft werden, wie der Wirkstoff sich in der Praxis bewährt.“ Bode schlägt Registerstudien vor, mit denen überprüft werden kann, wie hoch Nutzen und Risiko des Medikaments in der „wirklichen Welt“ sind.

Boehringer rechnet vor, dass laut Studien bei 100 000 Patienten mit Vorhofflimmern mit Pradaxa (150 Milligramm zwei Mal täglich) 3490 von 4500 Schlaganfällen pro Jahr verhindert werden können. Dafür seien 230 Fälle von tödlichen Blutungen in Kauf zu nehmen, unter Warfarin (einem in den USA gebräuchlichen Pendant von Marcumar) seien es 330 Todesfälle. Seit der ersten Zulassung betrug die Gesamtbehandlungsdauer laut Boehringer 410 000 Patientenjahre. Rechne man die 260 Verdachtsfälle auf diese um, kommen man auf 63 tödliche Blutungen auf 100 000 Patientenjahre – und damit deutlich weniger, als nach den wissenschaftlichen Studien zu erwarten seien.

Vor allem bei Patienten, deren Nieren nicht mehr so gut arbeiten, ist Vorsicht geboten. Weil es zu 80 Prozent über die Nieren ausgeschieden wird, kann sich Pradaxa bei diesen Patienten im Körper anreichern, so dass das Blutungsrisiko stark ansteigt. Aufgrund von Fallberichten aus Japan musste Boehringer deshalb im Oktober in einem „Rote Hand“-Brief die Ärzte warnen, den Wirkstoff bei schlechter Nierenfunktion nicht zu verordnen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn plant zur Zeit keine weiteren Schritte im Zusammenhang mit Pradaxa. „Wir sehen keinen Anlass für eine grundsätzliche Neubewertung von Nutzen und Risiko“, sagte der Institutssprecher Maik Pommer. Dem Institut wurden vier deutsche Pradaxa-Verdachtsfälle mit Todesfolge gemeldet. In zwei Fällen führten Hirnblutungen zum Tod. Eine 84-jährige Patientin starb nach dem Einsetzen eines Hüftgelenks an Magenblutung und Nierenversagen, ein 74-Jähriger herzkranker Patient nach einem Sturz an Blutungen.

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