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Malerisch: Über dem Tal von Vinales in der Provinz Pinar del Rio thronen die Mogotes, steile Karsthügel, die aufgrund ihres einzigartigen Pflanzenbewuchses unter Naturschutz stehen.

© N. Köster/Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin

Botanik: Grüne Inventur auf Kuba

Der Botanische Garten Berlin beteiligt sich an der Erforschung der einzigartigen Pflanzenwelt des Inselstaats. Nun übergaben die Berliner eine Ausstellung über die deutsch-kubanische Zusammenarbeit an den Botanischen Garten in Havanna – als Geschenk zum 50. Geburtstag.

Prachtbauten, Rum, Zigarren und die legendäre Musik des Buena Vista Social Club kommen einem in den Sinn, wenn man an Kuba denkt. Vielleicht auch Che Guevara und Fidel Castro. Den Direktor des Botanischen Gartens der Freien Universität, Thomas Borsch, fasziniert aber etwas anderes. Das, was er mit dem Namen Kuba verbindet, gab es schon, bevor Christoph Kolumbus 1492 auf seiner Reise in die Neue Welt dort anlegte. Es überdauerte die spanischen Eroberer, die britische Kolonialherrschaft, mehrere Revolutionen und die Kubakrise 1962: Die Rede ist von der einzigartigen Pflanzenwelt des Inselstaates und dem Projekt zu ihrer Erforschung – der Flora de Cuba.

„Kuba ist ein wahres Evolutionslabor“, sagt Thomas Borsch. „Mehr als 50 Prozent aller Pflanzen – einschließlich der Flechten, Farne und Moose – sind endemisch. Das heißt, sie kommen ausschließlich dort vor.“ Der Forschungsreisende Alexander von Humboldt brachte um 1800 erste getrocknete Exemplare von der tropischen Insel nach Berlin. Sie lagern heute im Herbarium des Botanischen Museums in Dahlem. In den 1920er-Jahren nahm Ignaz Urban, damals Vizedirektor des Botanischen Gartens Berlin, den Faden wieder auf und begann mit der systematischen Erforschung der karibischen Flora – von Haiti über Kuba bis zur heutigen Dominikanischen Republik. „Von da an gab es kontinuierliche Kooperationen mit den Kollegen und Kolleginnen in Havanna“, sagt Borsch. „Ein Drittel der karibischen Blütenpflanzen und Farne sind seither in Berlin wissenschaftlich beschrieben worden.“

In den 1960er-Jahren schlossen die damalige DDR und Kuba einen Staatsvertrag: Die DDR lieferte Fabrikanlagen, das sozialistische Bruderland Nickel, Zucker und Südfrüchte. Darunter die legendäre „Kuba-Orange“ – außen grün, innen kernreich und sauer. Auch die monografische Erfassung der Flora Kubas war Teil des Vertrags. Fidel Castro förderte fortan mit ostdeutschen Mitteln den Ausbau des Botanischen Gartens in Havanna, die Erforschung der Pflanzenvielfalt, des Naturschutzes sowie der Land- und Forstwirtschaft. Und während kubanische Vertragsarbeiter und Studierende in die DDR kamen, waren Botaniker aus der DDR auf Kuba willkommen. „Diesen Staatsvertrag haben wir nach der Wende quasi geerbt“, sagt Borsch. Über den Verein der Freunde des Botanischen Gartens in Berlin wird die wissenschaftliche Zusammenarbeit seither unterstützt. „Jedes Jahr arbeiten einige Mitarbeiter aus kubanischen Institutionen für jeweils ein paar Monate in unseren Sammlungen. Und wir schicken unsere zu Exkursionen dorthin.“

Die Böden enthalten außergewöhnlich viele Schwermetalle

Das Botanische Museum und der Botanische Garten in Berlin widmeten dieser Zusammenarbeit – von Humboldt bis heute – die Sonderausstellung „Grüne Schatzinseln“, die von Mai 2016 bis Februar 2017 in Berlin gezeigt wurde. Anlässlich des Jubiläums des Botanischen Gartens von Havanna wurden die Exponate kürzlich verschifft und verbleiben als Dauerausstellung im Jardín Botánico Nacional de Cuba.

Warum gibt es auf Kuba so viele einzigartige Pflanzen? „Das liegt an der Insellage, aber auch an den speziellen geologischen Bedingungen“, erklärt Thomas Borsch. Punktuell enthalten die Böden außergewöhnlich viel Schwermetalle, vor allem Nickel. Viele der Pflanzen sind daran gut angepasst, manche speichern das Metall sogar. Neben der umfassenden Dokumentation der Pflanzenwelt – kürzlich erschien die 22. Monografie zur „Flora de la República de Cuba“ – interessieren die Berliner Botaniker unter anderem die Evolution und die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Organismen auf den karibischen Inseln und den weiteren mittelamerikanischen Staaten, Mexiko sowie dem nördlichen Südamerika.

Farbenprächtig: Harpalyce macrocarpa ist ein Hülsenfrüchtler.

© Luis Roberto González Torres

Die Palme Coccothrinax borhidiana ist nur auf Kuba heimisch.

© Alejandro Palmarola

„Die Pflanzensammlungen spielen für diese Arbeit eine zentrale Rolle. Dafür ist es wichtig, dass die Herbarien in Berlin, Havanna und anderen Orten der Region digitalisiert und gut vernetzt sind“, betont Thomas Borsch. 40 Jahre Feldarbeit waren notwendig, um allein für die Gruppe der Buchsbäume ausreichend Material für vergleichende Analysen sammeln zu können. Aktuell fokussieren sich die Forscher auf die Flechten. Bei zwei Exkursionen entdeckten sie innerhalb weniger Tage diverse neue Arten.

Eines bereitet Thomas Borsch allerdings Kopfzerbrechen: „Bisher ist ja erst ein Drittel der Flora Kubas dokumentiert. Wenn wir in dem bisherigen Tempo weitermachen, sind wir erst 2060 fertig! Und bis dahin ist vielleicht schon vieles zerstört.“ Im Sinne nachhaltiger Entwicklung und des Biodiversitätsmanagements muss es schneller gehen. Deshalb wollen die Forscher bei ihrer „grünen Inventur“ künftig Pflanzenfamilien priorisieren, die ökologisch wichtig sind. Zum Beispiel Rubiaceae, die Kaffeegewächse, zu denen übrigens auch der heimische Waldmeister gehört. Es ist die artenreichste Pflanzenfamilie in der Karibik. Auch die Digitalisierung der Sammlungen will Borsch vorantreiben.

Eingeschleppte Arten bedrohen die heimische Flora

Anders als in Deutschland ist die Biodiversität auf Kuba nicht durch die Folgen intensiver Landwirtschaft bedroht. „Die Anbauflächen für Tabak und Zuckerrohr sind verhältnismäßig klein und wurden bereits während der Kolonialzeit urbar gemacht.“ Doch eingeschleppte, invasive Arten, die die heimische Flora verdrängen, breiten sich zunehmend aus. Etwa der „Marabu“, ein dorniger Strauch aus der Gruppe der Schmetterlingsblütler, der aus Afrika eingeführt worden ist. Auch der Nickelbergbau und die zu erwartende Entwicklung der touristischen Infrastruktur könnten problematisch sein, je nachdem, wie diese entwickelt wird. Kuba ist sich seiner grünen Schätze jedoch bewusst und hat vor allem im Süden der Insel große Flächen des Landes unter Naturschutz gestellt. So wurde der 706 Quadratkilometer große Alexander-von-Humboldt-Nationalpark, der auch Mangrovenwälder und vorgelagerte Korallenriffe einschließt, 2001 von der UNESCO zum Naturerbe der Menschheit erklärt.

An der Dokumentation der Flora hat sich übrigens seit Humboldts Zeiten wenig verändert. Während der Universalgelehrte die Pflanzen noch zeichnete, werden sie heute zunächst fotografiert. Die charakteristischen Teile einer Art – etwa Blätter oder Blüten – werden dann abgeschnitten und zwischen Zeitungspapier getrocknet, empfindliche Blütenteile mitunter in Alkohol eingelegt. Zusätzlich werden oft noch Samen für Lebendkulturen gesammelt, eine Probe für molekularbiologische Tests entnommen und Bodenverhältnisse sowie die weitere Vegetation am Standort dokumentiert.

Gleich zwei Herbar-Belege werden jeweils angelegt – ein Exemplar bleibt in Kuba, das andere kommt ins Herbarium nach Dahlem. Vier Millionen Pflanzen liegen hier im größten Herbarium Deutschlands – darunter rund 100 000 aus der Karibik – und mit jedem Jahr kommen 1000 bis 2000 weitere dazu. In Dunkelheit bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit und etwa 18°Celsius gelagert können sie Jahrhunderte überdauern. Jede einzelne ein Beleg für eine ganz bestimmte Pflanzenart.

Catarina Pietschmann

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