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Ein Mathelehrer steht an der Tafel, die Schüler hören zu.

© Marijan Murat/dpa

Talis-Videostudie zu Mathematik in der Schule: Guter Mathe-Unterricht baut auf Vorwissen auf

Wissen, was Schüler schon können und kognitiv aktivieren: So geht guter Mathe-Unterricht, zeigt eine Studie. Wird es anspruchsvoll, schalten die Schüler ab.

Lernprozesse im Schulfach Mathematik sind offenbar besonders erfolgreich, wenn Lehrkräfte das Vorwissen ihrer Schüler und Schülerinnen berücksichtigen und Lerninhalte systematisch verknüpfen. Zu diesem Schluss kommt die Talis-Videostudie Deutschland, ein Forschungsprojekt des DIPF-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main.

Ziel der Studie war es, ein ganzheitliches Bild des Mathematikunterrichts zu gewinnen und einen Zusammenhang zwischen bestimmten Unterrichtsmerkmalen und dem Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern herzustellen.

Für seine Analyse, die an die internationale Studie „Teaching and Learning International Survey“ (Talis) der OECD anschließt, hat das Forschungsteam vom DIPF bundesweit Unterrichtseinheiten zu quadratischen Gleichungen per Video aufgezeichnet. Die Auswertung wurde im Anschluss mit Leistungstests und mit Ergebnissen von Befragungen der Schüler*innen sowie der Lehrkräfte verknüpft.

In Deutschland nahmen 50 Klassen mit insgesamt 1140 Jugendlichen im Alter von durchschnittlich 15 Jahren teil. Die 38 teilnehmenden Schulen waren über sieben Bundesländer verteilt, wobei westdeutsche Gymnasien besonders stark vertreten sind. An der internationalen Talis-Videostudie waren unter anderem auch Japan, China, England und Chile vertreten.

Einen Königsweg gibt es nicht

„Ein solcher direkter Einblick in die Unterrichtssituation ist für die Bildungswissenschaft sehr ergiebig“, sagt Eckhard Klieme, der die Talis-Videostudie mitkonzipiert und ausgewertet hat. Einen Königsweg, wie Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern ein neues Thema wie die quadratischen Gleichungen nahebringen können, gebe es nicht.

Weil so viel vom Vorwissen abhängt, „ist es auf jeden Fall wichtig, die fachlichen Kompetenzen systematisch aufzubauen und den erreichten Stand genau zu kennen“, so Klieme.

Was nun liegt beim Mathe-Unterricht im Argen? Besonders groß scheint der Entwicklungsbedarf im Bereich der kognitiven Aktivierung zu sein. Dieses Unterrichtsmerkmal fördert das fachliche Verständnis und Lernerfolge besonders. Die kognitive Aktivierung wird als hoch eingeschätzt, wenn der Unterricht auf Verstehen und schlussfolgerndes Denken ausgerichtet ist und die Schüler mit herausfordernden Inhalten konfrontiert werden, die an ihr Vorwissen und ihre Erfahrungswelt anknüpfen.

[Wie deutsche Schüler in der jüngsten Pisa-Studie in Mathematik abgeschnitten haben, lesen Sie hier]

Den Lehrkräften in Deutschland gelang es zwar gut, die Lernenden in das Unterrichtsgespräch einzubinden und herausfordernde Fragen zu stellen, doch es fehlte merklich an fachlicher Tiefe, wird in der Studie kritisiert. Nur jede fünfte Erklärung der Lehrkräfte ging auf tiefere mathematische Inhalte ein. In China und Japan war es jede zweite.

Hierzulande wurden die Schülerinnen und Schüler zudem nur in etwa zwei von drei Stunden aufgefordert, verschiedene mathematische Repräsentationsformen zu integrieren. Die konkrete Aufforderung, verschiedene Lösungswege zu testen, erging nur in jeder siebten Stunde.

Lehrkräfte müssen lernen, Feedback zu geben

Überrascht zeigen sich die Forschenden, dass Schüler*innen auch nur selten beschreiben oder erklären mussten, warum bestimmte Rechenverfahren funktionieren oder was die Eigenschaften einzelner Verfahren sind. Und das, obwohl es sich in der deutschen Stichprobe hauptsächlich um Gymnasien handelte.

Verbesserungsbedarf sehen die Bildungsforschenden außerdem beim Feedbackverhalten der Lehrkräfte. Schüler und Schülerinnen bräuchten vermehrt informative Rückmeldungen, die darauf eingehen, warum etwas geeignet oder ungeeignet ist, um ihre Lernfortschritte zu unterstützen.

Im internationalen Vergleich gut schnitten die deutschen Lehrkräfte dagegen bei der Klassenführung ab. Die Lerngruppen waren gut organisiert, „Routinen waren etabliert“ und Störungen kamen selten vor oder wurden „effektiv unterbunden“. Dabei hing die eingeschätzte Klassenführung mit der Einstellung der Lehrkräfte zusammen:  Sie war höher, wenn die Lehrkraft selbst angab, Freude an der Arbeit mit der jeweiligen Klasse zu haben. „Was hierbei Ursache ist und was Wirkung, muss an dieser Stelle offenbleiben“, schreiben die Autor*innen der Studie.

Hervorgehoben wird eine Besonderheit der deutschen Stichprobe: Je anspruchsvoller der Lernstoff im Laufe des Unterrichts wurde, desto geringer war das Interesse der Lernenden. „Dieses überraschende Ergebnis weist darauf hin, dass wir uns in Deutschland schwerer tun als andere Länder, kognitive Förderung und Motivierung zusammenzubringen“, vermutet Klieme.

Clara Meyer-Horn

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