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Wissen: Gutsherr mit Gefühl

KMK-Sekretär Erich Thies geht in den Ruhestand

Die Aura eines „Gutsherren“ umgab Erich Thies, so haben es die Kultusminister empfunden. Das lag an seinem langen Mantel, den Thies sich gerne über die Schultern gehängt hat, vermutet Bernd Althusmann, Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK). Wahrscheinlicher ist aber, dass es gar nicht der lange Mantel war, der Erich Thies bei den Kultusministern Respekt verschaffte, sondern die Tatsache, dass er 13 Jahre lang mehr über ihr Gremium, die Kultusministerkonferenz (KMK), wusste, als die Politiker selbst.

Als Generalsekretär hielt er die Fäden nicht nur in der Hand, er zog auch durchaus gerne an ihnen. Hinter den Kulissen, versteht sich, denn hätte der Generalsekretär sich offen politisch verhalten, „hätten sich das die KMK-Mitglieder“ nicht gefallen lassen, wie Jürgen Zöllner, Berlins Bildungs- und Wissenschaftssenator, am Mittwochabend in der Akademie der Wissenschaften sagte. Dort wurde Erich Thies, erst der dritte Generalsekretär der KMK in ihrer über sechzigjährigen Geschichte, feierlich in den Ruhestand verabschiedet. Sein Nachfolger ist der 43-jährige Udo Michallik, der vorher Staatssekretär für Kultus in Mecklenburg-Vorpommern war.

Zöllner nannte das Amt des KMK-Generalsekretärs „eines der schwierigsten Ämter überhaupt“, und erwähnte die öffentliche Hysterie über Pisa 2001 und den Streit um die Rechtschreibung. Dass Thies darin eine gute Figur gemacht hat, weiß Zöllner besser als jeder andere, denn als dienstältester Kultusminister ist er seit 20 Jahren in der KMK. Thies überblickte die politische Gemengelage meist viel klarer als die ständig wechselnden Minister und Staatssekretäre des Gremiums. Ohne Thies’ Fähigkeiten zur Moderation und zur subtilen Steuerung der KMK hätten die Kultusminister seltener zu gemeinsamen Beschlüssen gefunden.

Thies kam auf seinem Posten zugute, dass er nicht nur „durchsetzungsfähig“ ist, sondern auch die Gabe hat, sich „zu wundern“ und „zu empören“, wie seine Parteifreundin, Bundesbildungsministerin Annette Schavan, sagte. Das habe ihn vielleicht auch zur Philosophie geführt.

Als Philosophie-Professor war Thies seit 1976 an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg, deren Rektor er von 1978 bis 1986 war. Nach der Wende wurde er Professor in der Fakultät Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität. Als „Planungsbeauftragter“ der Fakultät war es Thies’ Aufgabe, diejenigen ostdeutschen Wissenschaftler zu identifizieren, die politisch zu belastet waren, um ihre Arbeit an der HU fortzusetzen. Bis heute hadert Thies mit seiner damaligen Rolle und manchen Entscheidungen, die er getroffen hat, das ließ er auch am Mittwoch in der Akademie wieder durchblicken. Thies zeichnet sich durch „herausragende Sensibilität“ aus, hat Schavan richtig festgestellt.

Freuen darf Thies jedenfalls, wie gut die von ihm als Gründungsdekan geleitete Fakultät heute in der Erziehungswissenschaft dasteht. Nicht nur viele namhafte Berufungen sind ihm zu verdanken. Es darf auch angenommen werden, dass Thies mitgeholfen hat, das nach Pisa von den Ländern geschaffene Institut zur Qualitätsentwicklung Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität anzusiedeln. Thies liebt seine Universität, die HU. Als Staatssekretär unter den Berliner Wissenschaftssenatoren Manfred Erhardt und Peter Radunski in den neunziger Jahren hat Thies gehofft, die HU werde zu Berlins Eliteuniversität aufgebaut. Der Plan scheiterte am Geld. Vielleicht hätte Thies auch HU-Präsident werden können. So kam es aber nicht. Dass heute Jan-Hendrik Olbertz, den Thies als sachsen-anhaltinischen Kultusminister kannte, in dieser Position ist, hat aber wiederum mit Thies zu tun.

Thies kann zahllose Anekdoten über seine Zeit in der Politik erzählen. Vom dicken Scheich, der die Pädagogische Hochschule Heidelberg kaufen wollte, oder von Fidel Castro, mit dem er Zigarren rauchte – gemeinsam mit dem damaligen Bremer Senator Willi Lemke (ausgerechnet!). Thies formuliert gedankenreich und schön. Am Mittwochabend beschrieb er den ihm noch fremden Ruhestand als „seltsame Zwischenzeit“: „Es ist gar nicht so einfach, plötzlich auf freiem Feld zu stehen und nur zu wissen, was man nicht will.“ Das klingt wie der erste Satz in einem Roman, den Thies jetzt schreiben könnte. Vorerst hat er dazu aber keine Zeit. Er berät die Berliner Union in ihren Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Anja Kühne

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