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Hochschulen: Asta ohne Anhänger

Nur wenige Studierende geben bei den jährlichen Stupa-Wahlen ihre Stimme ab - wie an der HU, wo kürzlich nichtmal zehn Prozent wählten. Dabei geht es um hunderttausende von Euro.

Die Plakatwand im Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität (HU) war wild beklebt: „Wählen gehen!“ stand in fetten schwarzen Buchstaben auf vielen der Plakate, mit denen die Listen der Studentenvertreter warben. Ende Januar konnten 32 000 angehende Akademiker das 18. Studierendenparlament (Stupa) der HU wählen. Doch nur 9,5 Prozent setzten ihr Kreuzchen hinter den Namen ihres Favoriten. Wie schon in den vergangenen Jahren war die Wahlbeteiligung erschreckend niedrig. Fast alle Hochschulen in Deutschland, die über eine Verfasste Studierendenschaft verfügen, klagen über die mangelnde Beteiligung. An der Freien Universität (FU) in Berlin wählten Ende Januar vierzehn Prozent der Studierenden – immerhin zwei Prozent mehr als 2009. In Dresden sind es seit Jahren zwischen sieben und zehn Prozent. Immerhin 22 Prozent der Studenten finden in Hamburg den Weg an die Urne.

Linda Förster ist eine der wenigen, die mitbestimmen will. „Ich gehe immer wählen“, sagt die Geschichtsstudentin der Humboldt-Uni. Lindas Wahl fiel auf die „Grünboldte“, eine Liste, die sich für die Abschaffung der Studiengebühren und für fair gehandelten Kaffee in der Mensa einsetzt. Allerdings habe sie bislang auch noch nicht bemerkt, „dass sich durch ein neues Stupa irgendetwas verändert hätte“, sagt die 20-Jährige.

Dabei verfolgen die 18 Listen, die sich auf 60 Stupa-Plätze bewerben, große Ziele: Der Master soll allen Studenten frei zugänglich sein, die Beteiligung an den Hochschulgremien wollen die Studentenvertreter verbessern. Neben den linken bis konservativen Listen haben sich an der HU fünf Spaßparteien aufgestellt. Die „Trackliste“ plädiert für die „Wiederfindung des Nonsens“, die „Autonomen Alkoholiker_innen“ wollen auf dem HU-Innenhof einen Bierstand errichten und die „Humboldt-Piratinnen“ setzen sich für Piratenschiffpendelverkehr ein.

Oft wird kritisiert, dass das Stupa durch solche Forderungen an Glaubwürdigkeit verliert. Der Unernst stehe in keinem Verhältnis zur Macht der gewählten Vertreter: Immerhin befindet das Stupa der HU über einen jährlichen Haushalt von 390 000 Euro, an der Freien Universität steht ihm sogar 700 000 Euro zur Verfügung. Zwölf Euro zahlen die HU-Studenten mit dem Semesterbeitrag in die Kasse des Stupa. An der FU sind es 15 Euro, in Hamburg zehn Euro.

Das Geld fließt in die Projekte der Allgemeinen Studierendenausschüsse (Asten). Die Asten werden vom Studierendenparlament als eine Art Regierung gewählt und verstehen sich als Sprachrohr der Studenten. Sie beraten bei Fragen zum Bafög oder auch psychologischen Problemen. Studenten mit Kindern, behinderte oder ausländische Kommilitonen können sich mit ihren Problemen an spezielle Referenten wenden – 15 sind es an der HU, 13 an der FU. Mit dem Semesterbeitrag werden außerdem eigene Publikationen wie der Studentenkalender oder Projekte wie der Kinoklub finanziert.

Wie könnte die Wahlbeteiligung und damit auch die Legitimation erhöht werden? Die hessische Landesregierung hat die Beitragserhebung 2004 von der Wahlbeteiligung abhängig gemacht. Gaben weniger als 25 Prozent der Studenten ihre Stimme ab, durften die Studierendenvertretungen deutlich weniger Geld von den Kommilitonen kassieren. Um bis zu 75 Prozent konnten sich die Mittel so verringern. Gegen das neue Gesetz gab es massive Proteste. Aber: Die Wahlbeteiligung stieg. So gaben an der Philipps-Universität Marburg bei der Stupa-Wahl 2005 plötzlich 39 Prozent der Studenten ihre Stimme ab, im Jahr zuvor waren es nur 22 Prozent gewesen. 2009 wählten auch in Kassel, Gießen und Darmstadt mehr als 25 Prozent der Studenten.

Mit Beginn dieses Jahres wurde die Regelung aber mit der Novellierung des Hochschulgesetze wieder aufgeweicht. Die Stupa-Mitglieder dürfen in ihrer Satzung jetzt abweichende Regelungen festlegen, theoretisch können sie die Mindestwahlbeteiligung also auch wieder ganz abschaffen. An der TU Darmstadt soll sie auf acht Prozent heruntergesetzt werden, sagt Stupa-Mitglied Sanah Altenburg.

Offiziell begründet das Ministerium die Rücknahme der Mindestwahlbeteiligung, man wolle den Hochschulen „so viel Eigenverantwortung wie möglich“ zugestehen. Allerdings wurde dem neuen Hochschulgesetz ein Passus beigefügt, in dem Kritiker eine Schwächung der Studierendenvertretung sehen. Das Studierendenparlament muss jetzt keinen Asta mehr wählen, sondern kann sich auch alternative Organisationsformen als Exekutive ausdenken. Die Opposition im Landtag befürchtet, die Regierung wolle mit dieser Regelung die Einheitlichkeit und die Schlagkraft der Studierendenvertretungen aufweichen. Auch könnten Organisationsdebatten künftig die Arbeit der Studierendenvertreter lähmen.

„Die Wahlbeteiligung mit Sanktionen zu verbinden bringt nichts“, sagt Elmar Altvater, altlinker Politikprofessor an der Freien Universität in Berlin. Stattdessen müsste das Mitspracherecht der Studenten in den universitären Gremien ausgebaut werden. Das geringe Mitspracherecht der Studentenvertreter macht auch Mathias Albert, Politikprofessor an der Uni Bielefeld und Mitautor der Shell-Jugendstudie, für die geringe Wahlbeteiligung verantwortlich. Dass den Studenten künftig mehr Kompetenzen zugesprochen werden, hält Albert aber für unrealistisch. Tatsächlich würden die Organe der akademischen Selbstverwaltung an des Unis aktuell an Einfluss verlieren. Ohnehin sei aber nur eine Minderheit an der studentischen Selbstverwaltung interessiert, die meisten wollen einfach nur studieren.

Immer wieder wird den Asten auch der Vorwurf gemacht, sie seien intransparent und veruntreuten Gelder. So soll der Asta der Freien Universität linke Projekte in Kreuzberg finanziert haben. Auch die Telefonrechnung über einige Tausend Euro machte liberale Stupa-Vertreter misstrauisch. Schon mehrfach wurde der FU-Asta verklagt – wegen allgemeinpolitischer Äußerungen, die den Mitgliedern nicht erlaubt sind. Der Grund: Die Asten besitzen kein allgemeinpolitisches Mandat. Stellung nehmen dürfen die Studentenvertreter nur zu hochschulpolitischen Themen wie zum Beispiel dem Bildungsstreik.

Zuletzt musste der FU-Asta 15 000 Euro Strafe zahlen, weil er auf seiner Website eine Demonstration gegen die Agenda 2010 verlinkt hatte. Die Liberale Hochschulgruppe der FU wirft dem Asta zudem vor, bei der letzten Stupa-Wahl Mitte Januar Tarnlisten aufgestellt zu haben. Die „Libertär-demokratische“ Liste sei in Wirklichkeit eine linke Gruppe. Solche Manipulationen seien „trauriges Zeichen der großen Angst des Asta vor Machtverlust“, urteilen die Liberalen.

Bei alledem sind die deutschen Hochschulen keineswegs verpflichtet, Studentenparlamente einzurichten. Manche Bundesländer haben die Verfasste Studierendenschaft schon lange abgeschafft. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es seit den 70er Jahren keine Studierendenparlamente mehr. Die Studenten haben stattdessen Alternativmodelle wie den unabhängigen Studentenausschuss gegründet. Diese können zwar die politischen Interessen ihrer Kommilitonen vertreten, verfügen jedoch über weitaus weniger Kompetenzen als die Studierendenparlamente. Das Stupa abschaffen will auch eine radikale Liste an der Humboldt-Universität. Ginge es nach den „Monarchisten“, gäbe es nur noch eine letzte Wahl. Und danach entscheidet alles die Königin.

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