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Hochschulen: Ein Bonus für Berufstätige

Hochschulen sollten belohnt werden, wenn sie sich für beruflich Qualifizierte öffnen, meint die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Zugangshürden gehören abgeschafft.

Jahr für Jahr verlassen rund 60.000 Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss. 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren haben keine abgeschlossene Ausbildung, 17 Prozent dieser Altersgruppe. Auch in der Spitze leistet das Bildungssystem zu wenig. Der Zugang zur Hochschule ist stark von der sozialen Herkunft geprägt. Wenn wir weiterhin leistungsfähige und innovative Betriebe haben wollen, brauchen wir dringend die uneingeschränkte Durchlässigkeit zwischen Arbeitswelt und Hochschulen.

Die Fakten sind eindeutig: Wenn von 100 Kindern aus Akademiker-Familien noch 71 ein Studium aufnehmen, sind es aus nicht akademischen Familien nur 24. Für beruflich Qualifizierte bleiben die Türen zur Hochschule weitgehend verschlossen. Nur rund ein Prozent der Studierenden an den deutschen Hochschulen hat kein Abitur. Ein Blick in andere Länder zeigt, es geht anders: In England und Wales liegt die Quote der beruflich Qualifizierten an den Hochschulen bei 15 Prozent, in Schweden und Österreich immerhin noch bei sechs Prozent.

Eine vorsichtige Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen mit Berufserfahrung versuchte die Kultusministerkonferenz im März 2009 in Stralsund. Meistern steht mittlerweile - zumindest nach der Gesetzeslage - jedes Studium offen. Jenseits des Meisters stoßen Menschen ohne Abitur jedoch noch immer auf ein föderales Flickwerk unterschiedlichster Zugangshürden, von mehrjähriger Berufserfahrung bis zur Aufnahmeprüfung.

Von echter Gleichbehandlung zwischen akademischer und beruflicher Bildung kann keine Rede sein. Wer es ernst meint mit der Durchlässigkeit im Bildungswesen, muss deshalb die Hochschulen weiter öffnen, Zugangshürden gehören abgeschafft.

An den Hochschulen brauchen wir einen Kulturwandel. Sie müssen endlich lernen, mit Vielfalt produktiv umzugehen und sie als Bereicherung für den wissenschaftlichen Alltag zu verstehen. Die Angebote der Hochschulen sind besser auf die Nachfrage zuzuschneiden. Die deutschen Studienformate sind zu wenig flexibel. Das Modell eines ganztägigen Präsenzstudiums ist für Menschen, die bereits im Berufsleben stehen, nicht attraktiv. Vor allem der Ausbau von berufsbegleitenden Studiengängen ist längst überfällig. Dafür müssen verschiedene Lernarrangements bereitstehen, wie zum Beispiel E-Learning, Präsenzveranstaltungen sowie Seminare an Wochenenden und in den Abendstunden. Hochschulen müssen strukturierte Vorbereitungskurse für beruflich Qualifizierte in Zusammenarbeit mit Schulen, Bildungsträgern und Betrieben anbieten. Die Beratung muss durch die Bündelung der Kompetenzen von Berufs- und Studienberatung sowie durch spezifische Betreuung während der Studieneingangsphase verbessert und auf die verschiedenen Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet werden.

Wichtig ist die Anrechnung beruflicher Kompetenzen. Bisher erfolgt die Anrechnung an jeder einzelnen Hochschule fachgebunden und individuell. Dieses Verfahren bindet große Ressourcen, zudem fehlen aus Sicht der angehenden Studierenden Transparenz und Verlässlichkeit. Deshalb sollte die Anrechnung bundeseinheitlich gestaltet werden.

Doch Hochschulen müssen die Studierenden wirklich aufnehmen können. Schon heute leiden sie unter chronischer Unterfinanzierung. Die doppelten Abiturjahrgänge und die Abschaffung von Wehr- und Zivildienst tragen dazu bei, dass Menschen ohne Abitur kaum im Fokus stehen. Deshalb ist eine bessere finanzielle Ausstattung unabdingbar. Um den Hochschulen einen finanziellen Anreiz zu geben, mehr beruflich Qualifizierte aufzunehmen, müssen in einem „Hochschulpakt Plus“ Studienplätze für diese Gruppe mit einem zusätzlichen Bonus von 50 Prozent pro Platz gefördert werden.

Doch es gibt auch Hoffnung: Bis 2005 gab es in Deutschland rund 340 Hochschulen, seitdem stieg die Zahl rasant auf mehr als 400. Die meisten Neugründungen sind kleine, private Hochschulen, die maßgeschneiderte Angebote für beruflich Qualifizierte anbieten – allerdings zum Teil gegen beträchtliche Gebühren. Die Nachfrage ist da, die staatlichen Hochschulen dürfen diesen Trend aber nicht verschlafen.

Die Autorin ist stellvertretende DGB-Vorsitzende.

Ingrid Sehrbrock

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