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Hochschulen: Sparen mit Tradition

Hochschulen haben keine große Lobby. Seit Jahrzehnten sind sie unterfinanziert. Jetzt bremsen Politiker das große Milliardenpaket.

Sind 18 Milliarden Euro in Zeiten der Finanzkrise zu viel Geld? Zu viel Geld, wenn es um 275 000 neue Studienplätze und mehr Eliteuniversitäten in Deutschland geht? Zur Rettung der Banken und Wirtschaftsunternehmen werden dreistellige Milliardenbeträge zur Verfügung gestellt. Banken und Unternehmen sind harte Bereiche, Wissenschaft und Kultur gelten in der Politik dagegen traditionell als weich. Wird die Tradition fortgesetzt, in Zeiten der Krise bei weichen Faktoren zu sparen, damit die harten Bereiche über die Runden kommen?

Um diese Fragen geht es am 4. Juni, wenn die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin über die Fortsetzung der drei großen Pakte entscheiden. Die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern hatten am 22. April eine kühne Aussage formuliert: Mit Bildung und Wissenschaft wolle Deutschland gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervorgehen. Allein für die Wissenschaft sollen in den Jahren 2011 bis 2015 zusätzlich 18 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Die Freude der Wissenschaftsminister, sich auf 18 Milliarden Euro verständigt zu haben, hielt nur kurze Zeit. Zu lange hatten die Finanzminister zu den Plänen laut geschwiegen. Dann kamen sie aus der Deckung heraus und erklärten, die Ministerpräsidenten sollten über die Fortsetzung der drei Pakte erst nach der Bundestagswahl im Oktober entscheiden. Zur Begründung wurde ein Desaster bei den öffentlichen Finanzen angeführt.

Die Wissenschaftsminister waren weiter optimistisch: Hatte doch der Bildungsgipfel mit Angela Merkel vom Oktober 2008 die Weichen zur „Bildungsrepublik Deutschland“ gestellt. Aber dann folgte auf der Konferenz der Staatskanzleichefs von Bund und Ländern am 8. Mai das böse Erwachen: Zwar wünschten alle 16 Länder die Fortschreibung der drei Pakte auf der Basis von 18 Milliarden Euro, aber ausgerechnet Merkels Kanzleichef, Thomas de Maizière, legte sein Veto ein. Die Bundesregierung möchte keine Entscheidung am 4. Juni, sondern frühestens im Oktober, nach der Bundestagswahl.

Zur Begründung holte de Maizière einen alten Grundsatz aus der Mottenkiste des Verfassungsrechts hervor: Keine Regierung dürfe die Regierung der kommenden Legislaturperiode finanziell festlegen. Dem steht entgegen: Im föderalen Deutschland gibt es keine einheitlichen Wahltermine für Bund und Länder. Von daher wirken mittelfristige Finanzplanungen mit einer Laufzeit von fünf Jahren immer über Legislaturperioden hinaus.

Sozialdemokratische Abgeordnete aus den neuen Ländern haben gestern vor der Presse die Ministerpräsidenten von Bund und Ländern aufgefordert, den Hochschulpakt für Studienplätze, die Exzellenzinitiative für die Universitäten und den Pakt für die Forschung am 4. Juni zu beschließen. Sie warnen davor, dem Rat der Mehrheit der Finanzminister aus den unionsregierten Ländern zu folgen und die Entscheidung über die drei Pakte auf den Oktober zu vertagen.

Das Veto, das der Chef des Bundeskanzleramts gegen einen Beschluss der Ministerpräsidenten am 4. Juni eingelegt hatte, bezeichnete der SPD-Hochschulexperte Sven Schulz als Ausflucht. Dahinter stehe offensichtlich die Absicht der CDU, Steuersenkungen im Wahlkampf zu versprechen. Bei Steuersenkungen seien die drei Pakte angesichts der hohen Staatsverschuldung nicht zu finanzieren, es sei denn durch Kreditaufnahme. Vor diesem Hintergrund warnen die Sozialdemokraten vor Steuersenkungen und fordern einen Solidarbeitrag der Reichen zugunsten der Bildung.

Wenn die Höhe von 18 Milliarden Euro für die drei Pakte zum Problem werden sollte, müsse die Priorität beim Hochschulpakt mit der Finanzierung von 275 000 neuen Studienplätzen gesetzt werden, erklärte Sven Schulz. Die SPD werde mit sich reden lassen, wenn der Pakt für Forschung und Innovation nur mit drei statt mit fünf Prozent Zuwachs zu finanzieren sei. Auch bezüglich der finanziellen Ausstattung der Exzellenzinitiative in der Neuauflage bis 2017 sei die SPD verhandlungsbereit.

Über das sibyllinische Argument von de Maizière herrscht in der Wissenschaftsszene allgemeines Rätselraten. Noch im Oktober 2008 hatte Angela Merkel auf dem Bildungsgipfel in Dresden mit den Ministerpräsidenten die Fortsetzung der drei Pakte verabredet und dabei besonders die Notwendigkeit herausgestellt, die Lehre besser zu finanzieren. Zur Zeit des Bildungsgipfels steckte die Welt bereits in der Finanzkrise.

Jetzt geht die Furcht um: Wenn die Ministerpräsidenten zusammen mit der Bundeskanzlerin am 4. Juni keine Planungssicherheit für die Wissenschaft schaffen, dann kommt alles bei der Oktoberbilanz der künftigen Bundesregierung in einen Spartopf. Was danach noch als finanzierbar angesehen wird, dürfte für die Wissenschaft mager ausfallen. In der Konkurrenz mit dem öffentlich populären Ausbau von Kindertagesstätten oder Ganztagsschulen hätten Studenten und Wissenschaftler die schlechteren Karten.

Diese Befürchtung beruht auf Erfahrungen. In Deutschland können mit einer vorausschauenden Wissenschaftspolitik keine Wahlkämpfe gewonnen werden. Eltern lassen sich als Wähler mobilisieren, wenn es um Proteste gegen den Lehrermangel an den Schulen, den Ausfall von Unterricht oder die Chancen des Religionsunterrichts geht. Das Engagement vieler Eltern erlischt aber, wenn die weitere Qualifizierung der Jugendlichen an den Hochschulen auf dem Spiel steht. Immer noch geistert das Vorurteil herum: Gibt es nicht viel zu viele Akademiker?

Die Bildungsgeschichte bietet dafür genügend Beispiele. Es gab nur wenige Jahre einer gemeinsamen Priorität von Bildung und Wissenschaft in Deutschland. Die erste Periode der Priorität dauerte von 1966 bis 1973 und wurde unter dem Druck der Ölpreiskrise und aus Angst vor den Folgen der Studentenrevolte abgesagt. Obwohl seitdem der Numerus clausus wütete, blieben die Investitionen in die Hochschulen weit hinter dem Bedarf zurück. Die Ministerpräsidenten erzwangen 1977 die Öffnung der Hochschulen für den Andrang der Studierwilligen aus den sechs Millionenjahrgängen, aber das verordnete Notprogramm lief unter dem Motto der „Untertunnelung des Studentenbergs“. Finanzminister und Ministerpräsidenten sorgten sich viel mehr über leer stehende Hochschulen in späteren Jahren und unnütze Folgekosten für verbeamtete Professoren als über einen bedarfsgerechten Ausbau von Studienplätzen.

So wurde der Weg in die Massenuniversität beschritten. Die Studienzeiten schnellten auf 14 Semester oder länger hoch, die Abbrecherquoten bewegten sich zwischen 25 und 50 Prozent, je nach Studiengang. Es entstand eine jährliche Finanzierungslücke, die Wissenschaftsrat und Hochschulrektorenkonferenz übereinstimmend auf sieben bis acht Milliarden Mark jährlich schätzten.

Der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Hans-Uwe Erichsen, konnte mit Recht formulieren: „Humboldt droht in der Masse zu ersticken.“ Damals begann in der Öffentlichkeit der blockierende Wettstreit von Anklagen und Rechtfertigungen: Die Politiker forderten von den Hochschulrektoren: Erst Reformen, dann gebe es auch mehr Geld. Und die Hochschulen konterten: Erst Geld, dann Reformen.

Hätte sich die Wiedervereinigung nicht ereignet, so wäre in der Bundesrepublik eine radikale Hochschulreform wahrscheinlich vor dem Jahr 2000 umgesetzt worden. Aber nach der Wiedervereinigung wurden die Prioritäten anders gesetzt. Erst musste das westdeutsche Bildungs- und Wissenschaftsmodell trotz all seiner Probleme auf die neuen Länder übertragen werden. Die Labors und Hörsälen waren an den meisten Hochschulen im Osten so heruntergekommen, dass die Milliarden in die Infrastruktur flossen.

Die eigentliche Hochschulreform in ganz Deutschland setzte erst nach dem Jahr 2000 ein mit der Neukonzeption der Studiengänge im Zeichen von Bachelor und Master, der Dienstrechtsreform, mit der Einführung von Hochschulräten und starken Präsidenten und einer Begrenzung der ausufernden Mitbestimmung in den Hochschulgremien. 2003 forderten sogar die Sozialdemokraten die Ausrufung von Eliteunis in Deutschland.

Aber noch immer hakt es: Die Umstellung auf Bachelor und Master kann nicht wie verabredet 2010 abgeschlossen werden. Die dringend notwendige Aufwertung der Lehre verbunden mit einer besseren Betreuung der Bachelor- und Masterstudenten würde jährlich 1,1 Milliarden Euro kosten. Dazu reicht das Geld nicht.

Als Sprecher der Allianz der großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland hat der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, das derzeitige Dilemma auf den Punkt gebracht: „Die Bundesregierung handelt entschieden bei der Verlängerung der Abwrackprämie oder bei milliardenschweren Rettungspaketen für Banken. Gleichzeitig aber vertagt sie eine wichtige Entscheidung, die Voraussetzungen für eine positive konjunkturelle Entwicklung Deutschlands schaffen und dazu beitragen könnte, Hunderttausende von Arbeitsplätzen direkt und indirekt zu sichern.“

Uwe Schlicht

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