zum Hauptinhalt
Heimatverbunden. Wissenschaftler in Tokio erwägen derzeit kaum, wegen der Folgen des Erdbebens ins Ausland zu gehen, sagt DAAD-Büroleiter Finken.

© picture-alliance / ZB

Holger Finken, DAAD in Tokio: "Täglich von Nachbeben erschüttert"

Holger Finken leitet seit 2009 die Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Tokio. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Wissenschaft im Zeichen der Katastrophe.

Herr Finken, wie erleben Sie die Krise in Japan?

Nach dem Beben am 11. März, das ich ziemlich dramatisch in meiner Wohnung in Tokio erlebt habe, wird die Stadt immer noch täglich von mehreren Nachbeben erschüttert. Die Sorge vor weiteren starken Erdbeben bleibt. Und obwohl die Strahlenwerte in Tokio nach der Akw-Katastrophe sinken, weiß man nicht, inwieweit Grundwasser oder Nahrungsmittel verstrahlt sind. Die DAAD-Außenstelle Tokyo wurde am 17. März für den Publikumsverkehr geschlossen, ich selbst bin vorübergehend ausgereist und habe wie die meisten Kollegen per E-Mail weitergearbeitet. Inzwischen bin ich zurückgekehrt, und wir haben wie andere Wissenschaftsorganisationen die Außenstelle am heutigen 12. April wieder geöffnet.

In welchem Ausmaß haben das Erdbeben und der Tsunami Hochschulen und Forschungsinstitute unmittelbar betroffen?

In der direkt betroffenen Region Tohoku sind Hochschuleinrichtungen zerstört oder beschädigt worden. Die wichtigste Universität der Region, die Tohoku-Universität in Sendai, hat Schäden erlitten, wird aber Ende April 2011 den Betrieb zumindest teilweise wieder aufnehmen. Der Studienbetrieb ist aber auch in der Hauptstadtregion gestört, da viele Studierende aus dem Tohoku kommen. Etliche Universitäten haben ihren Semesterbeginn vom 6. April verschoben, teils bis in den Mai hinein.

Wie viele deutsche Studierende und Wissenschaftler haben Japan nach der Katastrophe verlassen und wie viele sind im Land geblieben?

Ende März waren etwa 85 DAAD-Geförderte ausgereist und etwa 20 in Japan geblieben, davon die meisten im nicht betroffenen West- und Südjapan, drei in Tokio. Die Geförderten in Nordjapan sind alle ausgereist. Der DAAD hat allen Stipendiaten freigestellt, Japan zu verlassen, ohne Probleme wegen ihres Stipendienvertrags befürchten zu müssen. Wir übernehmen auch notwendige Mehrkosten für Flüge.

Raten Sie neuen Stipendiaten, die zum Sommersemester nach Japan kommen wollten, zu Hause zu bleiben?

Wir raten allen, die Empfehlungen des Auswärtigen Amts zu beachten. Danach sind West- und Südjapan unbedenklich. Wie sich die Empfehlungslage für den Großraum Tokio/Yokohama weiter entwickelt, hängt auch von der weiteren Entwicklung in Fukushima ab. Die deutsche Botschaft hat das Funktionieren der Reaktorkühlsysteme als Kriterium für eine „Entwarnung“ für Tokio definiert.

Wie reagieren japanische Wissenschaftler auf die Initiative der Leibniz-Gemeinschaft, japanischen Forschern mit Gastaufenthalten in Deutschland zu helfen?

Aus Sicht meiner japanischen Kontakte in Tokio besteht gar keine Notwendigkeit, Japan zu verlassen. Entsprechende Angebote deutscher Kollegen werden als gut gemeint, aber an der Realität vorbei empfunden. Das mag allerdings im Tohoku, wo Universitäts- und Forschungseinrichtungen zerstört oder beschädigt worden sind, anders sein. Ehemalige DAAD-Stipendiaten haben die Möglichkeit, über das DAAD-Programm „Wiedereinladungen“ nach Deutschland zu kommen.

Aus Anlass des 150-jährigen Jubiläums der deutsch-japanischen Wissenschaftsbeziehungen findet jetzt an deutschen Hochschulen eine Japanwoche statt. Wie steht es heute um die Wissenschaftskontakte?

Noch immer studieren viel mehr Japaner in Deutschland (2009: über 2000) als Deutsche in Japan (2009: über 600). Die Zahl der deutschen Studierenden und Forscher hatte in den letzten Jahren dabei eine gute Entwicklung genommen, die Zahl der Japaner in Deutschland stagniert seit rund zehn Jahren. Hintergrund ist die immer härtere Konkurrenz um die guten Jobs in Japan und die Tatsache, dass internationale Erfahrung dabei so gut wie nicht honoriert wird.

Sind japanische Absolventen und Nachwuchswissenschaftler für deutsche Hochschulen und Unternehmen interessant?

Von der fachlichen Qualifikation her eindeutig ja, aber die Struktur der Ausbildung ist sehr verschieden. Japaner gehen in der Regel mit dem Bachelor-Abschluss in den Beruf und erhalten den beträchtlichen Rest ihrer Fachausbildung innerbetrieblich. Die Englischkenntnisse lassen auch zu wünschen übrig. Insofern hat Japan gut dafür vorgesorgt, dass ihm seine Fachkräfte erhalten bleiben.

Was können deutsche Unis und Forschungseinrichtungen von Japan lernen?

Sicher die konzentrierte finanzielle Unterstützung von Forschungseinrichtungen und Spitzenuniversitäten, wie sie ja in Deutschland jetzt durch die Exzellenzinitiative auch realisiert wird. Ansonsten sind die Systeme recht verschieden: Das japanische beruht auf ziemlich hohen Studiengebühren und ist insofern mit Deutschland nicht vergleichbar.

Die Fragen stellte Amory Burchard.

Holger Finken (52) leitet seit 2009 die Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Tokio, die am 12. April wieder eröffnet hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false