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Wissen: „Ich erwarte einen Lehr-Ruck“

Die Soziologin Jutta Allmendinger ist dafür, die Betreuung an Unis auch mit Lecturern zu verbessern

Frau Allmendinger, der Wissenschaftsrat hat soeben Empfehlungen zur Verbesserung der Lehre an Hochschulen verabschiedet. Woran krankt die Lehre?

Sie krankt vor allem daran, dass wir viel zu viele Studierende pro Professor, pro Professorin haben. Die Betreuungsrelationen sind in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern nicht schlecht, aber in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften liegen sie im Schnitt bei 78 zu eins. Zur Lehre gehört auch die persönliche Betreuung. Es fehlt an Zeit, für eine Bachelor- oder Masterarbeit längere Gespräche zu führen. Den Studierenden wiederum fehlt oft die Zeit, sich mit den Lehrinhalten zu beschäftigen. Sie arbeiten sehr viel für ihren Lebensunterhalt, viele sind Teilzeitstudierende. Es müssen mehr Stipendienplätze geschaffen werden, aber auch viel mehr Arbeitsplätze auf dem Campus, etwa für Tutoren. Die Lehre krankt auch an den Infrastrukturen: Es fehlt an Technik, Lehrinhalte passen oft nicht zu Prüfungsinhalten. Und die Reputation der Lehre ist gering: Einen Ruf oder Zuschläge auf ein W2- oder W3-Gehalt bekommt man aufgrund von Forschungsleistungen, nicht von Leistungen in der Lehre.

Warum hat sich der Wissenschaftsrat so schwer getan, Empfehlungen zur Lehre auszusprechen?

Wir hinken in Deutschland allgemein hinterher mit der Rechenschaftspflicht der Hochschulen, sie haben sich lange nicht hinter ihre Türen schauen lassen. Die Lehre wurde nicht bewertet, ebenso wenig wie die Forschung. Erst in den letzten Jahren haben wir Forschungsbewertungen eingeführt, jetzt empfiehlt der Wissenschaftsrat auch ein Qualitätsmanagement für die Lehre. Dass es so lange gedauert hat, ist auch dem Festklammern am Humboldtschen Ideal der Einheit von Forschung und Lehre zu verdanken, ohne dieses Ideal zu hinterfragen.

Gehen die Empfehlungen weit genug, um die Situation grundlegend zu ändern?

Das Überzeugende an dem Konzept ist, dass es Maßnahmen auf ganz unterschiedlichen Ebenen vorsieht. Man will die Kultur des Lehrens verbessern, und einen Reputationsgewinn für die Lehre erzielen. Den Studierenden soll ganz klar gemacht werden, was ihre Rechte und Pflichten sind. Und die Betreuungsverhältnisse sollen deutlich verbessert werden. Wenn tatsächlich diese 1,1 Milliarden Euro pro Jahr in die Hochschulen hineingegeben werden, erwarte ich einen echten Lehr-Ruck.

Glauben Sie, dass Bund und Länder das Geld tatsächlich zur Verfügung stellen?

Im Wissenschaftsrat sitzen Bund und Länder ja mit am Tisch. Da wäre es ja fatal, wenn Beschlüssen keine Leistungen folgen würden. In Deutschland absolvieren heute nur 20 Prozent eines Altersjahrgangs eine Hochschulausbildung – sehr viel weniger als in anderen Industriestaaten. Die demographische Entwicklung verläuft dramatisch. Das sind bekannte Größen, also muss man schleunigst etwas tun. Wir müssen die Absolventenzahlen sehr deutlich erhöhen, allein um den Status quo an Hochgebildeten halten zu können.

Neben der Professur mit dem Schwerpunkt Lehre soll es jetzt doch auch vermehrt Personal geben, „das nicht forscht“. Der Wissenschaftsrat hatte den Lecturer zuvor als „Lehrknecht und Billigdozenten“ abgelehnt. Wie hat sich diese Personalkategorie jetzt durchgesetzt?

Wir empfehlen Personal, das fachspezifisches Allgemeinwissen vermittelt. Das können Tutoren und Lecturer leisten. Wir haben uns das in England angeschaut und immer die Frage gestellt, wie ein Lecturer auf einem hohen akademischen Niveau lehren kann. Dies soll durch Evaluationen und obligatorische Weiterbildung gewährleistet werden. Angesichts der doppelten Abiturjahrgänge, die auf die Hochschulen zukommen, brauchen wir Dozenten unterhalb der Professur. Und wenn wir wollen, dass wesentlich mehr Personen eines Altersjahrganges studieren, müssen wir die Hochschulen stärker auf Personen vorbereiten, die eine umfassende Allgemeinbildung, Lernfähigkeit und Selbstmotivation nicht von zu Hause mitbringen.

Sollte die Lehre als eine weitere Linie in den Elitewettbewerb für die Universitäten aufgenommen werden – wie es die Grünen fordern, was aber Bundesforschungsministerin Schavan ablehnt?

Das wäre nach meiner persönlichen Auffassung eine logische Folge aus diesem Papier. In den Empfehlungen sagen wir ja: Die Universität muss forschen und lehren, aber innerhalb der Hochschulen kann es Personen geben, die mehr in Richtung Forschung und andere, die mehr in Richtung Lehre gehen. Das ist quasi eine Erneuerung des Humboldtschen Ideals. Dann muss man folgerichtig eine Exzellenzinitiative auch für die Lehre auflegen oder die Lehre in den Elitewettbewerb integrieren. Das gilt auch für Rankings. Universitäten, die sich künftig auf die Exzellenz in der Lehre konzentrieren, müssen sich ein entsprechendes Label anheften können.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat jetzt Standards zur Gleichstellung in der Wissenschaft beschlossen. Sind Sie zufrieden?

Nein. Es ist ein großer Fortschritt, dass sich die DFG nochmals mit Gleichstellung auseinandergesetzt hat, wie zuvor schon der Wissenschaftsrat. Auf der anderen Seite sehe ich beim Anstieg von Frauen auf Professoren- und Direktorenstellen, dass die Entwicklung in keiner Weise parallel mit ihrem Anteil an den Habilitierten verläuft. Der Anstieg auf allen Ebenen unterhalb der Professur ist enorm, aber bei W2- oder W3-Stellen fällt er sehr flach aus. Da muss man Quoten festsetzen, die sich an den fachspezifischen Habilitationen anlehnen, sonst warten wir zu lange. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, gleiche Zugangschancen zu den Führungspositionen zu gewähren.

Die Chancengleichheit hat es schwer im Wissenschaftssystem. Die vier außeruniversitären Forschungsorganisationen wollen den DFG-Standards nicht beitreten. Welche Interessen stehen hinter diesen Abwehrkämpfen?

Politisch neutral ausgedrückt steht dahinter das Argument, wissenschaftliche Exzellenz zu sichern. Es heißt immer, bei jedem Wettbewerb um jede Position soll sich der wissenschaftlich Stärkste durchsetzen. Viele Kollegen vertreten die Meinung, dass es beim Kampf um die Gewinnung wissenschaftlicher Exzellenz keine Geschlechterdimension gibt. Ich glaube, dass das Geschlecht die Wahrnehmung wissenschaftlicher Exzellenz beeinflusst.

Was erwarten Sie vom „Nationalen Bildungsgipfel“ zu dem die Bundeskanzlerin im Oktober eingeladen hat?

Da man jetzt wunderbarerweise etwas zur Verbesserung der akademischen Lehre tun will, erwarte ich vom Bildungsgipfel massive Investitionen am anderen Ende. Ich erwarte einen länderübergreifenden Pakt zur Verringerung von Bildungsarmut. Viel mehr Menschen müssen wir das Minimum eines Hauptschulabschlusses oder einer Berufsausbildung ermöglichen. Auch die Zahl der funktionalen Analphabeten muss radikal verringert werden. Jeder vierte junge Mann hat so gut wie keine Zukunftschancen. Wenn sehr viel mehr Jugendliche Zugang zu mittleren und gymnasialen Schulabschlüssen haben und wir sie dann in neu ausgestatteten Hochschulen besser ausbilden, führt das zu einem Mehr an Chancengerechtigkeit für Kinder aus Migrantenhaushalten, aus bildungsfernen Familien oder aus solchen, die extrem lange Arbeitslosenphasen hatten. Das würde Deutschland international wettbewerbsfähig machen.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

JUTTA ALLMENDINGER (51)

ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Mitglied des Wissenschaftsrats.

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