zum Hauptinhalt

Impfstoff-Verstärker: Nachschlüssel für das Waffenarsenal des Immunsystems

Nicht nur gegen Schweinegrippe: Impfstoff-Verstärker werden wichtiger. Ein Impfpflaster könnte eines Tages die Spritze ersetzen.

Es ist ruhig geworden um die Schweinegrippe. Die Pandemie ist im wesentlichen glimpflich abgegangen und wurde von der Weltgesundheitsorganisation für beendet erklärt. 2009 war das noch nicht abzusehen – der Furcht vor dem Pandemie-Virus folgte die Angst vor Impfverstärkern, vergrößert durch Verschwörungstheorien, angebliche Komplikationen und die Sprachlosigkeit überforderter Behörden.

Heute weiß man, dass die Schweinegrippe-Impfstoffe mit Verstärker, Adjuvantien genannt, gut vertragen wurden, die Sorgen also weitgehend unbegründet waren. „Der mit Adjuvans versehene Impfstoff ,Pandemrix’ wurde millionenfach angewendet, ohne das wesentliche Nebenwirkungen auftraten“, berichtete Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut in Darmstadt, der obersten deutschen Aufsichtsbehörde für Impfstoffe. Pfleiderer sprach bei einem Symposium der Wissenschaftsakademie Leopoldina in Berlin zum Thema „Schutzimpfung“.

Vor allem für Impfstoffentwickler ist das eine gute Nachricht. Denn die setzen auf Verstärker. „Adjuvantien spielen eine immer größere Rolle“, sagte Christian Mandl, Impfstoffforscher beim Pharmakonzern Novartis im amerikanischen Cambridge, beim Symposium.

Verstärker sollen das Immunsystem anlocken, es in Verbindung mit dem Antigen bringen. Also mit jenem Stoff, gegen den die Körperabwehr sich richten soll. Meist ist das Antigen ein Eiweißbestandteil eines Krankheitserregers.

Mit Adjuvantien ist es nicht nur möglich, Antigen einzusparen, den Impfstoff also zu strecken. Der wesentliche Vorteil der Verstärker liegt darin, dass sie das Immunsystem auch auf solche Antigene aufmerksam machen, die sonst kaum Aufsehen erregen würden. Das sind nicht nur manche Mikroben wie das Papillomavirus, das Gebärmutterhalskrebs hervorrufen kann. Adjuvantien ermöglichen es auch, den Impfstoff „sauberer“ zu machen, als nur genau jene Antigene hineinzumischen, die eine Antwort des Immunsystems auslösen sollen. Selbst gegen bestimmte Krebszellen kann die Körperabwehr mit Adjuvantien „abgerichtet“ werden.

Verstärker sind so etwas wie ein universaler Nachschlüssel für das Waffenarsenal des Immunsystems. Und sie dürften einer der Gründe sein, warum die Pharmaindustrie die lange vernachlässigte Impfstoffsparte wiederentdeckt hat.

Ein anderer sind Fortschritte in der Molekularbiologie, mit deren Hilfe Impfstoffe wesentlich gezielter als früher entwickelt werden können. Anhand des genetischen Bauplans eines Krankheitserregers lassen sich rasch jene Mikroben-Eiweiße ausfindig machen, gegen die ein Impfstoff sich richten könnte. Dieses Verfahren heißt reverse Vakzin-Entwicklung, es ist schneller als die bisherige Impfstoffsuche und hilft auch bei Erregern, gegen die bislang kein Impfstoff existiert.

Als Beispiel für reverse Vakzin-Entwicklung nannte Mandl die Impfung gegen Meningokokken der Gruppe B. Die Erbgutanalyse des Erregers ermöglichte es Novartis, fünf Antigene als geeignet für den Impfstoff herauszufiltern. Die Impfung ist in der letzten Prüfphase, erstmals könnte ein Schutz gegen diesen potenziell tödlichen Erreger von Hirnhautentzündung möglich werden.

Viele Menschen fürchten sich weniger vor der Impfung selbst als vielmehr vor dem Nadelstich. Hier könnte ein Impfpflaster Abhilfe schaffen, über das Jan ter Meulen von den Merck-Forschungslaboratorien in West Point/USA berichtete. In das Pflaster sind hunderte winziger Nadeln eingelassen, die aus langkettigen Zuckermolekülen und dem Impfstoff bestehen. Sie dringen lediglich in die oberste Hautschicht ein und lösen sich dann auf. Das könnte sogar besonders sinnvoll sein, weil in der Haut wichtige Abwehrzellen sitzen, die sich begierig auf den Eindringling stürzen.

All diese kleinen und großen Fortschritte werden strikte Impfgegner nicht überzeugen. Anders sieht es vielleicht bei lediglich skeptischen Impfkritikern aus, mit deren Argumenten sich der Kinderarzt Ulrich Heininger von der Uniklinik Basel seit langem auseinandersetzt.

Da ist etwa der Glaube, eine Impfung überschwemme den Körper mit Fremdeiweiß. Heininger hielt dagegen, dass moderne Impfstoffe nur noch einen Bruchteil der Antigene früherer Impfungen enthalten. Selbst wenn gegen mehr Erregerarten geimpft wird, nimmt daher die „Antigen-Belastung“ ab. Zudem hat das Immunsystem noch jede Menge freie Kapazität, um sich mit Tausenden von Antigenen auseinanderzusetzen.

Hartnäckig hält sich die Mär vom kindlichen „Entwicklungsschub“ durch eine Infektion. Aus Heiningers Sicht purer Zufall. Denn Kinder entwickeln sich nun einmal, auch wenn sie gelegentlich krank sind. Die vermeintlichen „Kinderkrankheiten“ seien zudem längst nicht immer harmlos. Mumps kann taub machen, Keuchhusten zu Hirnschäden führen, Masern eine Hirnentzündung auslösen und Windpocken Schlaganfälle wegen einer verkalkten Hirnschlagader verursachen.

Auch der Behauptung, eine „Kinderkrankheit“ trainiere die Körperabwehr, widersprach Heininger. „Das Immunsystem ist kein Muskel.“ Geimpfte Kinder sind nachweislich nicht infektanfälliger. Ebenfalls keine Belege gebe es für die These, dass Impfen Allergien begünstige. In der DDR wurde so ziemlich jedes Kind geimpft, doch waren dort Allergien seltener als im Westen.

Mitarbeit: Adelheid Müller-Lissner

Viele weitere medizinische Themen, Beratung und Information finden Sie auch in unserem Gesundheitsportal: www.gesundheitsberater-berlin.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false