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Offene Worte. Bereits zu Beginn einer Psychotherapie sollten Klient wie Therapeut klären, ob „die Chemie stimmt“.

© picture alliance / dpa

Interview: "Misserfolg darf kein Tabu sein"

Der Psychiater Carsten Spitzer über die Verantwortung des Therapeuten

Es ist bekannt, dass wirkungsvolle Medikamente oft auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Muss man auch bei einer Psychotherapie vorübergehende Nebenwirkungen in Kauf nehmen?

Es kann passieren, dass ein Patient sich zu Beginn oder im Verlauf einer Psychotherapie schlechter fühlt als zuvor, das ist aber keineswegs immer so. Und wenn die Symptome sich verschlechtern, ist das nicht gleich Ausdruck eines dauerhaften Schadens.

Ein Beispiel?

Wenn sich eine Patientin wegen ihrer depressiven Stimmung in eine Therapie begibt und der Hintergrund in einer Eheproblematik besteht, kann es natürlich sein, dass sich ihre Depression zunächst verschlimmert, weil der Ehekonflikt in der Therapie zugespitzt zur Darstellung kommt. Möglicherweise kommt die Patientin im Verlauf der Therapie sogar zu dem Ergebnis, dass es für sie besser ist, sich von ihrem Mann zu trennen. Auch das kann dazu führen, dass es ihr zeitweise schlechter geht.

Eine große Verantwortung, die der Therapeut da auf sich nimmt.

Es ist richtig, dass er große Verantwortung trägt. Allerdings würde ich es ungern so stehen lassen, als wäre die Trennung eine Folge der Therapie. Im Idealfall wirkt die Psychotherapie wie eine Art Katalysator: Sie beschleunigt dann einen Prozess, der ohnehin abläuft. Man sollte also vorsichtig sein, eine ursächliche Verbindung zwischen Therapie und Trennung herzustellen.

Alarmierender als die zeitweiligen Nebenwirkungen sind echte Misserfolge. Bei jedem zehnten Patienten verschlimmern sich Ihren Untersuchungen zufolge die Beschwerden nach einer stationären Psychotherapie. Ist dann mit bleibenden Schäden zu rechnen?

Wir wissen bisher leider nicht, wie es diesen Patienten nach einem, fünf oder zehn Jahren geht. Dass wir hierzu bisher keine verlässlichen Langzeitdaten haben, ist eindeutig ein Manko. Nur von besonderen Risikogruppen, wie etwa Frauen, die sexuelle Grenzverletzungen ihrer Therapeuten erlebten, wissen wir, dass 90 Prozent von ihnen unter dauerhaften Schäden zu leiden haben. Über Psychotherapie-Patienten insgesamt weiß man in dieser Hinsicht noch wenig. In der Forschung gibt es großen Nachholbedarf, sie ist vorwiegend am Erfolg orientiert, und auch das nur kurzfristig. Was nicht gelingt, wird eher nicht veröffentlicht.

Was ist zu tun?

Wir müssen das Thema unbedingt aus der Tabuzone herausnehmen. Forscher, Therapeuten und Ausbildungsinstitute müssen sich ihm mit mehr Offenheit, Sensibilität und Selbstkritik widmen. Schon im Bereich der Zulassung eines psychotherapeutischen Verfahrens brauchen wir entsprechende Vorgaben, auch wenn es bei Psychotherapien schwerer ist als bei Medikamenten, Haupt- und Nebenwirkungen auseinanderzuhalten. Aber es spricht nichts dagegen, bei Wirksamkeitsstudien, die verschiedene Verfahren vergleichen, auch nach der Anzahl der Patienten zu schauen, deren Zustand sich verschlechtert. Wenn wir hier genauer hinschauen, können wir zu einer Differenzierung kommen, so dass wir eines Tages die Auswahl einer bestimmten Therapie nicht allein an die Diagnosen knüpfen, sondern an Merkmale des Patienten.

Müssen nicht auch die beiden Menschen zusammenpassen, der Psychotherapeut und sein Patient?

Im Idealfall passen Patient, Therapeut und Methode zueinander, das ist eine Dreieckskonstellation. Der größte Risikofaktor für den Patienten ist dabei erwiesenermaßen eine problematische Beziehung zum Therapeuten.

Woran erkennt man, ob man zusammen- passt?

Eine im Alltag extrem wichtige Frage. Voraussetzung ist, dass die Patienten sich vorstellen können, mit dieser Person ernsthaft und vertrauensvoll an ihren Problemen zu arbeiten, ohne dabei Angst vor Beschämungen oder Grenzverletzungen haben zu müssen. Der Therapeut wiederum sollte gleich klarstellen, worauf man sich einzustellen hat und dabei auch über Risiken und Nebenwirkungen aufklären. Als Faustregel gilt: Wer in den ersten Sitzungen keinen guten Draht zum Behandelnden bekommt, sollte sich einen anderen suchen. Etwas anderes ist es, wenn solche Probleme später eintreten. Dann sollten Patient und Therapeut gemeinsam nach Auswegen suchen. Es kann auch daran liegen, dass der Patient im Verlauf der Behandlung mit unliebsamen Aspekten der eigenen Person, des eigenen Erlebens und Verhaltens konfrontiert wird. Nur das bringt ihn weiter.

Die Fragen stellte Adelheid Müller-Lissner.

CARSTEN SPITZER ist Ärztlicher Direktor des Asklepios-Fachklinikums Tiefenbrunn. Er forscht seit Jahren über Risiken und Misserfolge der Psychotherapie.

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