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INTERVIEW: „Von Insekten lernen, heißt siegen lernen“

Der Biologe Andreas Vilcinskas über erfolgreiche Tiere, biologische Kriegsführung und Medizin aus Marienkäfern

Herr Vilcinskas, Sie leiten eine Arbeitsgruppe für „Insektenbiotechnologie“. Was kann ein Biotechnologe denn mit Insekten anfangen?

Wir wenden biotechnologische Methoden an, um die Stoffe und Zellen von Insekten für Dienstleistungen nutzbar zu machen, also etwa neue Medikamente oder Konservierungsstoffe zu entwickeln. In Asien ist das gerade ein boomendes Gebiet.

Wir können also einiges lernen von Insekten?

Ich sage immer: Von Insekten lernen, heißt siegen lernen. Wie definiert man denn Erfolg in der Biologie? Ich würde sagen: Wer die größte Artenvielfalt erreicht hat, ist am erfolgreichsten, und mit 1,2 Millionen beschriebenen Arten sind Insekten mit Abstand die erfolgreichste Gruppe.

Was hat sie denn so erfolgreich gemacht?

Ein Grund ist sicher ihr gutes Immunsystem. Insekten haben eine Vielfalt von Peptiden, die gegen Mikroben wirksam sind.

Peptide sind kurze Eiweißstücke.

Genau. Und die Vielfalt, die wir auf der Artenebene bei Insekten sehen, die sehen wir auch auf der Ebene dieser Moleküle. Die Insekten in ihrer Gesamtheit repräsentieren eine Wirkstoffbibliothek, die es zum Wohle der Menschheit zu nutzen gilt.

Aber Eiweiße werden im Darm abgebaut. Sie denken also nicht an eine Antibiotikapille, sondern an eine Salbe für Wunden oder ein Pflaster?

Das alleine ist in Deutschland ja ein Zwei-Milliarden-Euro-Markt. Natürlich werden wir Penicillin so schnell nicht ersetzen können. Aber wenn man ein Peptid gefunden hat, das besonders gut gegen bestimmte Krankheitserreger wirkt, dann können wir die dreidimensionale Struktur analysieren und versuchen, sie nachzuahmen.

Wie finden Sie unter all den Arten die interessantesten?

Eine Idee war, dass invasive Arten ein besseres Immunsystem haben. Das sind Arten, die sich weltweit ausbreiten und andere Tiere verdrängen. Dabei treffen sie überall auf neue Krankheitserreger. Wenn man die alle überlebt, muss man topfit sein. Wir haben den asiatischen Marienkäfer, der den einheimischen Marienkäfer verdrängt, gewählt, um das zu testen.

Und was haben Sie herausgefunden?

Wir haben den ersten Fall biologischer Kriegsführung gefunden. Marienkäfer haben keine Fressfeinde außer sich selbst. Sie fressen die Eier anderer Marienkäfer. Wenn ein asiatischer Marienkäfer die Eier eines einheimischen Marienkäfers frisst, passiert nichts. Aber wenn es umgekehrt ist, stirbt der einheimische Marienkäfer.

Warum?

Die asiatischen Marienkäfer sind voll mit Mikrosporidien, winzigen einzelligen Parasiten, aber sie haben einen Stoff, Harmonin, der sie resistent macht. Der einheimische Marienkäfer hat diesen Stoff nicht und geht an den Parasiten zugrunde. Das ist wie damals, als die Europäer nach Amerika kamen. Die haben auch mehr Einheimische mit Masern und Pocken getötet als mit Waffen.

Und Sie wollen das Harmonin jetzt als Medikament nutzbar machen?

Wir haben herausgefunden, dass es gut gegen den Malariaerreger wirkt. Deswegen versuchen wir, das Harmonin jetzt als Grundstruktur zu nehmen, um ein neues Medikament zu entwickeln.

Die Fragen stellte Kai Kupferschmidt

Andreas Vilcinskas erforscht Insekten an der Universität Gießen und leitet die Abteilung „Bioressourcen“ am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie.

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