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Japanische Schulkinder

© EPA

Wissen: Japans kleine Patrioten

Aufstand in Fernost: Der Premierminister will Schüler und Lehrer zu mehr Vaterlandsliebe verpflichten

Wenn es nach Japans Ministerpräsident Shinzo Abe geht, dann kehrt in die Herzen der japanischen Schulkinder bald wieder Stolz auf ihr Land ein. „Nach dem verlorenen Weltkrieg nistete sich im Geist der Japaner die Gleichung ein: Staat = schlecht. Jetzt gilt es, unseren Stolz zu heilen“, schrieb Abe im vergangenen Jahr in das programmatische Buch „Hin zu einem schönen Land“. Im September wurde er Regierungschef – und verlor keine Zeit mit der Umsetzung. Spätestens kommenden Monat werden voraussichtlich drei von Abe inspirierte Gesetze zur „Wiederbelebung der Schulerziehung“ vermutlich mit Regierungsmehrheit durchs Parlament kommen. Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Eltern kritisieren das Projekt heftig.

Im Dezember hat Abe bereits das Rahmengesetz für die Schulausbildung geändert, um „eine Haltung der Liebe zu unserem Land und unserer Heimat“ zum Erziehungsziel zu erklären. Im Eilverfahren hat eine Kommission aus Bildungsexperten von Dezember bis Januar Abes Bildungsprogramm in konkrete Vorgaben umgewandelt, aus denen das Bildungsministerium innerhalb weniger Wochen einen Gesetzentwurf entwickelte. Außer dem Patriotismus finden sich darin eine Steigerung des Wettbewerbs der Schulen untereinander sowie eine stärkere Verpflichtung, sich an den Lehrplan zu halten. Außerdem will die Regierung den „lockeren Unterrichtsstil“ teils zurücknehmen, den Japan in den vergangenen Jahrzehnten eingeführt hat, um vom Frontalunterricht wegzukommen.

Um die Schlagkraft der Gesetze zu erhöhen, konzentriert Abe zudem Kompetenzen im Bildungsministerium in Tokio – zum Ärger der bisher weitgehend unabhängigen Schulträger in den Präfekturen und Städten. Der konservative Premier will damit sicherstellen, dass die traditionell politisch eher links stehenden Lehrer seine Pläne nicht bei der Umsetzung unterlaufen.

Den meisten Schulen sind die neuen Regeln aus Tokio suspekt. Doch Beispiele aus einzelnen propatriotischen Lehranstalten zeigen, wohin die Reise gehen kann. Eine Schule in der südjapanischen Stadt Fukuoka vergibt bereits eine Zeugnisnote für Vaterlandsliebe. Die Note soll bewerten, „wie sehr die Kinder Japans Geschichte und Traditionen wertschätzen, wie stark die Liebe zu ihrem Land ist und wie sehr sie sich als Japaner identifizieren, die auf Frieden in der Welt hinarbeiten“. Es handelt sich jedoch um keine reguläre Note, sondern um einen Zeugniszusatz mit einer Skala von eins bis drei.

Tokios Bürgermeister Shintaro Ishihara verpflichtet Lehrer wie Schüler schon seit 2003, zur Abschlussfeier die Nationalhymne zu singen und die Fahne zu ehren. Im März dieses Jahres fingen sich 35 Lehrer eine Disziplinarstrafe ein, weil sie die patriotischen Gesten verweigerten. Damit hat die Stadtregierung bereits 381 Pädagogen gemaßregelt, weil sie den nationalen Symbolen keinen Respekt zeigten. Musiklehrern drohte der Rausschmiss aus dem Schuldienst, weil sie die Nationalhymne nicht auf dem Klavier begleiten wollten.

Die Rettung kam vorerst vom Präfekturgericht Tokio, das im September entschied, der Hymnenzwang widerspreche der Meinungsfreiheit. Ishihara ist offen nationalistisch eingestellt und kommt ursprünglich aus der gleichen Partei wie Abe, der liberaldemokratischen LDP. Die Wähler haben ihn im April mit deutlicher Mehrheit für weitere vier Jahre im Amt bestätigt, weil er Tokio sauber und sicher hält.

Pädagogik-Professor Hidenori Fujita von der International Christian University bei Tokio sieht den Aspekt der Vaterlandsliebe in Abes Schulreform kritisch: „Ich habe nichts dagegen, wenn Leute ihre Heimat lieben, aber so etwas sollte nicht durch ein Gesetz angeordnet werden.“ Gerade wegen der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hätten viele Lehrer wie Schüler negative Gefühle gegenüber einer Zurschaustellung des Nationalismus. Diese Menschen zu zwingen, trotzdem patriotisch zu tun, laufe der Erziehung zur Freiheit komplett zuwider. Wie viel Zwang tatsächlich ausgeübt werde, hänge jedoch von der späteren Ausgestaltung ab. So extrem wie in Tokio werde die Interpretation in der Fläche vermutlich nicht ausfallen.

Die Demokratische Partei Japans (DPJ) will als größte Oppositionspartei die Schulreform in ihrer jetzigen Form verhindern und arbeitet derzeit mit Hochdruck an einem eigenen Gesetzentwurf. Auch sie will das Schulsystem modernisieren und dafür sorgen, dass die Schulen nicht mehr nur auf die Uni-Aufnahmeprüfungen hin trainieren, sondern wieder mehr Bildung vermitteln. Im Wahlkampf in Tokio sprachen sich die DPJ-nahen Kandidaten klar gegen Strafen für Lehrer aus, die die Hymne verweigern.

Die DPJ zielt damit auf Wählerstimmen von Eltern, die mit der zurückhaltenden und unaufgeregten japanischen Nachkriegsordnung völlig zufrieden sind und wenig vom plötzlichen Spuk um die Vaterlandsliebe halten. „Herr Abe sollte sein konservatives Weltbild nicht von oben verordnen, es ist letztlich Sache der Heranwachsenden, sich eine Meinung zu bilden“, sagt die Mutter einer Jugendlichen.

Auch Lehrerverbände und die Anwaltskammer protestierten gegen das Gesetzesvorhaben. Die Schulen sollten eher zur Anerkennung unterschiedlicher Ansichten erziehen als zum Nationalstolz, sagt der Tokioter Rechtsprofessor Akira Nakagawa.

Abe dagegen nennt die „Wiederbelebung der Schulerziehung“ einen unverzichtbaren Baustein in seinem Reformprogramm, das letztlich auch die Konjunktur ankurbeln soll. Er verweist auf die Schulreform der britischen Premierministern Margaret Thatcher von 1988: Die neoliberale Politikerin hatte damals argumentiert, nur ein selbstbewusstes Land könne wirtschaftlich stark sein. Abe zufolge soll der Stolz auf Japan auch andere Probleme lösen. Seine Reform werde helfen, Schülerselbstmorden wegen Hänseleien entgegenzuwirken. Die drei Schulreformgesetze haben Ende vergangener Woche das Unterhaus passiert, jetzt fehlt nur noch die Zustimmung der zweiten Kammer, in der die regierende Koalition aus LDP und Buddhisten aber derzeit ebenfalls eine Mehrheit haben. Vor dem Parlament gab es eine Demonstration gegen die Gesetze, es gilt aber als sicher, dass sie verabschiedet werden. Den Gegenentwurf der DPJ hat das Unterhaus bereits abgelehnt.

Für Japans Nachbarn dürfte derweil weitere Änderungen an Japans Schulbüchern einen Anlass für Ärger bieten. Der Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe kritisierte kürzlich eine Empfehlung der Regierung, aus der nächsten Auflage von Geschichtsbüchern für die Oberstufe eine Reihe von Formulierungen zu tilgen: Durch die Änderungen werde nicht mehr klar gesagt, dass die japanische Armee Zivilisten während des Kampfes um Japans Südinseln im Jahr 1945 zu Massenselbstmorden aufgefordert habe, sagt Oe. Auf den Inseln starben 200 000 Menschen, darunter ein Viertel der Zivilbevölkerung. Augenzeugenberichten zufolge hatte die japanische Armee Handgranaten ausgeteilt. Dieses Detail soll der Empfehlung zufolge in den Geschichtsbüchern nicht mehr auftauchen.

Finn Mayer-Kuckuk[Tokio]

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