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Der Fliegenpilz-Kupferstich stammt aus dem Jahr 1842. Zahlreiche Bände der Sammlung dokumentieren die historische Entwicklung der botanischen Illustration.

© Botanischer Garten Berlin

Privatsammler Christian Volbracht: Kleine Pilze ganz groß

Das Botanische Museum im Botanischen Garten hat eine der kulturgeschichtlich bedeutendsten Sammlungen von Pilzbüchern erworben.

Keine Wurzeln, keine Blätter, keine Blüten. Pilze, diese rätselhaften, einem unterirdischen Geflecht entsprungenen Sporenträger, führen ein verborgenes Leben. Abgesehen vom Mehltau auf der Rose oder von Bäckerhefe im Kühlregal, zeigen sich viele Pilze nur in einem eng begrenzten Zeitfenster: Vor allem im Herbst treten sie mit ihren vielgestaltigen Fruchtkörpern ans Tageslicht.

Doch der Spuk ist rasch vorbei. So schnell, wie sie gekommen sind, verschwinden sie wieder. Kein Wunder, dass Pilze bis in die Neuzeit fast überall mit dem Teufel oder dem Wahnsinn in Verbindung gebracht wurden.

Die Mykologie, also die Wissenschaft von den Pilzen, hinkte der Erforschung der Pflanzen lange hinterher. Der berühmte Naturforscher Carl von Linné interpretierte die winzigen Keimhyphen der Pilzsporen als Würmer und reihte sie in seiner Systema naturae von 1776 konsequenterweise bei den Tieren ein.

Als Begründer der systematischen Mykologie gilt der als „Linné der Pilze“ bekannte Schwede Elias Fries. Sein ab 1821 in mehreren Bänden veröffentlichtes Systema mycologicum markiert den Startpunkt der mykologischen Taxonomie, das heißt, bis heute sind nur Pilznamen gültig, die seit dem Erscheinen dieses Werkes vergeben wurden.

Volle Bandbreite: Champignons, psychoaktive Pilze, Kochen

1821 ist auch der zeitliche Startpunkt einer historischen Pilzbuchsammlung, die die Bibliothek des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin (BGBM) aus der Privatsammlung des Antiquars Christian Volbracht erworben hat.

Damit wird die bedeutendste und umfangreichste Büchersammlung zum Thema Pilze aus der Zeit von 1821 bis 1959 öffentlich zugänglich. Das Spezialgebiet Pilze reicht von schlichten Champignons über psychoaktive, pathogene und holzzerstörende Pilze bis zu Pilzmärchen, Pilzkochbüchern und Werken zur Systematik der Pilze.

Einen Großteil der Sammlung machen Bände aus, die Pilze in all ihrer Pracht zeigen und damit die Entwicklung der Drucktechniken widerspiegeln – vom handkolorierten Kupferstich über den mehrfarbigen Steindruck bis zum Offsetdruck.

Von Pilzkochbüchern bis Märchen.

© G. Hohlstein, Botanischer Garten Berlin

„Diese bedeutende Sammlung von Pilzliteratur ist in unserer Bibliothek bestens aufgehoben“, sagte Thomas Borsch, Direktor des Botanischer Gartens und Botanischen Museums Berlin, bei der feierlichen Übergabe.

Die mykologische Lehre und Forschung habe an der Freien Universität eine lange Tradition: Der Botanischen Garten beherbergt das größte Pilzherbarium in Deutschland und bietet seit 120 Jahren eine kostenlose Pilzberatung an.

Durch Kriegsverluste habe sich der Bibliotheksbestand an Pilzliteratur besonders aus dem 19. Jahrhundert deutlich verringert, sagte Professor Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. Mit der neu erworbenen Sammlung könnte die Bibliothek am Botanischen Garten nun zu einer der weltweit bedeutendsten Bibliotheken für Pilzliteratur werden.

Weltweit bedeutende Bibliothek für Pilzliteratur

Die Kulturstiftung der Länder unterstützte den Ankauf anteilig mit 90.000 Euro. Die Anschaffung der Sammlung mit einer Gesamtsumme von 270 000 Euro wurde gemeinsam mit der Lotto-Stiftung Berlin und durch einen Eigenanteil des BGBM ermöglicht.

Als einen „Glücksfall, auf einen Schlag eine solche Bibliothek zu erwerben“, bezeichnete Andrea Tatai, die stellvertretende Leiterin des Bibliothekssystems der Freien Universität, den Ankauf der Sammlung. So könne man auch dem Wunsch des Sammlers gerecht werden, die Sammlung in ihrer Gesamtheit zu erhalten.

Christian Volbracht war es wichtig, die seltenen Werke seiner Sammlung in guten Händen zu wissen. „Die Zahl der bibliophilen Sammler geht zurück“, sagte der Antiquar. Deshalb wollte er selbst über die Zukunft seiner Sammlung bestimmen.

Dass die Bücher in der Bibliothek des Botanischen Garten ihren endgültigen Platz finden, sei „ein schöner Lohn für ein langes Sammlerleben“.

Sein erstes Pilzbuch fand Christian Volbracht im Regal seines Großvaters. Damit streifte er über die steilen Hänge von Bad Harzburg, auf der Suche nach Maronen-Röhrlingen und Kahlen Kremplingen. Jahre später, inzwischen Journalist bei der Deutschen Presseagentur, verbreitete er exklusiv die Neuigkeit, dass dieser Krempling zu tödlichen Nierenschäden führen kann.

Christian Volbracht gibt nicht alles weg

Seine Beschäftigung mit der Mykologie intensivierte sich, und er begann überall, wo ihn der Beruf hinführte, alte Pilzbücher zu suchen und zu sammeln. Im englischen Brighton fragte er einen Antiquar, ob er Bücher über Pilze hätte: „Do you have books on fungi?“ Der antwortete: „No, but I have fungi on books.“ Und tatsächlich, im Bücherkeller wucherte der Schimmel.

Um die immer teureren Anschaffungen zu finanzieren, schickte er eine erste Liste mit Duplikaten an andere Büchersammler und Pilzfreunde. Aus dem Sammeln und Kaufen wurde ein Tauschen und Verkaufen.

Seit 1996 findet sich Volbrachts Nischenantiquariat MykoLibri auch im Internet. Dort wird er auch weiterhin mit Büchern handeln.

Der Schock, jetzt vor völlig leeren Regalen dazustehen, blieb dem Sammler erspart. Mehr als 500 seltene Bücher aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert hat er noch in seinem Besitz.

Übergabe im Botanischen Museum Berlin. Antiquar Christian Volbracht.

© Sören Maahs

Der Zeitraum der Sammlung sei ungeheuer spannend für die Pilzliteratur, sagte der Bibliotheksleiter des BGBM, Norbert Kilian. Einerseits nahm die mykologische Forschung im 19. Jahrhundert einen ungeheuren Aufschwung.

Und anderseits entfaltete sich ein gesellschaftliches Interesse an der belebten Natur. In der Folge entstand eine breite populärwissenschaftliche Literatur. Naturkundliche und mykologische Vereine schossen wie Pilze aus dem Boden.

Zeugnisse beider Entwicklungslinien – die Entstehung einer exakten Wissenschaft und die Tradition einer partizipativen Amateurmykologie – hat Christian Volbracht in seiner Sammlung verknüpft. Besonders für die Erforschung von kultur- und gesellschaftshistorischen Aspekten der Pilzliteratur bildet sie einen wichtigen Grundstock.

Pilzführer für Sammler

Neben den großen Farbatlanten mit ihren detailgetreuen Kupferstichen und Lithografien hat Volbracht die populären, kulturgeschichtlich interessanten Pilzführer zusammengetragen, die Sammlern helfen sollen, genießbare Pilze von giftigen zu unterscheiden.

„In Kriegszeiten erschienen davon deutlich mehr als in ruhigeren Epochen“, sagte der Sammler. Pilze seien als das Fleisch des Waldes und als wichtige Nahrungsreserve in Kriegszeiten gepriesen worden.

Eines der frühesten Beispiele angewandter, populärwissenschaftlicher Pilzbücher, sagt Norbert Kilian, sei etwa der Guide de l'Amateur de Champignons („Pilzführer für Amateure“) von François Cordier.

Der 1826 erschienene Band, der sich dank seines handlichen Kleinformats leicht auf Exkursionen mitnehmen ließ, ist eine umfassende Einführung in die Nützlichkeit der Pilze. So enthielt er auch eine Beschreibung des Zunderschwamms, der seit der Steinzeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts das am besten geeignete Material zur Entfachung eines Feuers war – daher der Ausdruck „brennt wie Zunder“.

Sparsam ging das Nachschlagewerk mit kostspieligen, weil handkolorierten Abbildungen um: Die 250 Seiten enthalten gerade einmal elf Tafeln.

Bis zur Entwicklung preisgünstiger Drucktechniken waren farbige Abbildungswerke kostbare Raritäten. Denn die Illustrationen anzufertigen, war oft ein mühseliges Geschäft. Claude Gillet ließ sich deshalb beim Ausmalen der 900 Tafeln seines 1874 erschienenen Standardwerkes „Champignons de France“ von seinen Kindern helfen.

Schimmel, ungemein vergrößert

Einmalig sind die Abbildungen in M. C. Cookes „Illustrations of British Fungi“, dem mit 1 200 Chromolithografien umfangreichsten farbigen Tafelwerk des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Dort kleben auf der Kappe eines Glimmertintlings hauchdünne Glassplitter. Sie stellen die wie Zuckerkristalle glitzernden Hautschüppchen auf dem Pilzhut dar.

Die Sammlung umfasst aber noch viel mehr. Neben den auffälligen Großpilzen existieren noch unzählige winzige Pilzorganismen, die in der Literatur zumeist wenig beachtet werden.

Eines der ersten Werke, das sich mit der mikroskopisch erfassbaren Welt der Pilze befasste, war die 1839 erschienene „Pracht-Flora europaeischer Schimmelbildungen“ von August Corda. 25 prächtige Tafeln zeigen den Schimmel ungemein vergrößert als fantastischen Mischwald oder als Flora fremder Sterne.

Auch diese Rarität, die der zeitgenössische Botaniker Matthias Schleiden als „sinnlos verschwenderisch“ kritisierte, gehört zur Sammlung Volbracht.

Sören Maahs

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