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Weißer Teppich. Wie Schneebälle schimmern die Fruchtbüschel des Wollgrases. Sie schmücken nicht nur intakte Moore. Die Pflanze gehört zu den ersten, die sich in neuen Feuchtgebieten ansiedeln.

© A. Pacek/ Westend 61/ Corbis

Klimaschutz: Mehr Moor

Torfbauern und Naturschützer schließen immer öfter einen Pakt. Die einen stechen zwar den Torf, überlassen die Moore danach aber nicht den Landwirten. Die anderen helfen bei der Wiedergeburt der Feuchtgebiete.

Die Schuhe sinken in den schwarzen Morast, der sich unter Graspolstern versteckt. Das Krähenmoor bei Nienburg an der Weser erinnert auf den ersten Blick an eine ausgedehnte Wiese, die von Wassertümpeln durchbrochen wird. Nur der weiche Untergrund verrät, dass man auf sieben Metern Torf läuft. „Das war eines der sechs wertvollsten Moore Niedersachsens“, sagt Thomas Beuster von der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer. Hier gab es besonders viele seltene Tiere und Pflanzen – damals, 1978, als das Land eine Inventur seiner Moore vornahm.

Aber das Feuchtgebiet ist nicht mehr das, was es einmal war. Ein Unternehmer wollte Torf abbauen und durchzog das Gelände schachbrettartig mit tiefen Gräben. Sie legten das Moor trocken. Heute verdecken dicke Grasbüschel die Furchen und machen sie zu Fallen in der friedlichen Landschaft. Abgeräumt hat der Torfbauer die Fläche nie, sie lag zu weit ab von den Zufahrtswegen. Doch weil das Wasser abfloss, „frisst sich das Moor seither selbst auf“, sagt Beuster. Die Torfmoose gingen ein. Kraniche verschwanden. Birken, die ärgsten Kontrahenten eines jeden Moores, wucherten. So wie in vielen anderen Torfabbaugebieten.

Heute kehren die Torfmoose zurück. Der Moorschützer Beuster renaturiert das Gebiet gemeinsam mit den Behörden. Sein Team errichtet mit schwerem Spezialgerät Wälle, um die Entwässerungsgräben zu blockieren. Dahinter sammelt sich Wasser in flachen Tümpeln. „Von den Wasserrändern her breiten sich die Torfmoose wieder aus“, sagt Beuster. „Wie ein grüner Perserteppich.“ Dieses Moos, von dem es 30 verschiedene Arten gibt, erhält jedes Moor am Leben. Es bildet den schwarzen Torf, wenn die unteren Lagen der Pflanze absterben und im sauren Sumpf konserviert werden. So wächst die Humusschicht um einen Millimeter pro Jahr. Auch Wollgras, eine andere typische Hochmoorpflanze, ist wieder da. Und ein Ornithologe entdeckte im Mai brütende Kraniche, Reiherenten und einen Baumfalken im Krähenmoor.

Nasse Moore sind besser für das Klima als trockene

Möglichst viele der 10 000 Jahre alten und nun abgegrabenen oder ausgetrockneten Kulturlandschaften wieder unter Wasser zu setzen, ist auch im Interesse der Politik. Denn ein trockengelegter Morast, auf dem beispielsweise Kartoffeln wachsen, setzt 29 Tonnen Kohlendioxid pro Hektar und Jahr frei. „Das entspricht einem Mittelklasse-Pkw, mit dem man 145 000 Kilometer im Jahr fährt“, sagt Hans Joosten, Moorkundler an der Universität Greifswald. Der kohlenstoffreiche Torf oxidiert. Man könnte sagen, er verbrennt beim Kontakt mit dem Sauerstoff der Luft zu schädlichem Kohlendioxid. „Trockengelegte Moore schaden deshalb dem Klima sehr. Sie verlieren jedes Jahr ein bis zwei Zentimeter Höhe, weil sie in die Luft gehen.“ Deutschland hat EU-weit den höchsten moorbedingten Treibhausgasausstoß: 45 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, fünf Prozent aller Emissionen.

„Um das zu verhindern, muss man jedes Moor vernässen“, meint Joosten. Der gebürtige Holländer ist mit dieser Forderung nicht allein. Weil Moorschutz Klimaschutz ist, haben die meisten Bundesländer entsprechende Programme. Bayern investiert jedes Jahr zwei Millionen Euro, um die Feuchtgebiete natürlicher zu machen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert trotzdem mehr Engagement. Bisher sind erst fünf Prozent der einstigen Moore wiederbelebt worden. Die Treibhausgasemissionen der übrigen Flächen sollen bis 2050 auf ein Zehntel sinken, verlangt das Gremium.

Nasse Moore sind besser für das Klima als trockene, darin sind sich Forscher einig. Allerdings sind die unter Wasser gesetzten Gebiete allenfalls klimaneutral. Denn sie nehmen nicht nur Kohlendioxid auf. Sie setzen auch Methan frei, ein 23-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. „Es kann sogar sein, dass die Moore mit der Erderwärmung noch mehr Methan bilden. Gerade für den Permafrost wird das diskutiert“, sagt Matthias Drösler, Vegetationsökologe an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

Moore sind die Nieren der Landschaft

„Unsere Zahlen sind noch nicht sicher genug, um das Binden von Kohlendioxid und die Methanfreisetzung gegeneinander zu verrechnen“, ergänzt Jörg Gelbrecht, Ökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Er hält die Belebung der Moore aus einem anderen Grund für eine gute Idee. Flüsse und Seen sind hierzulande teilweise stark mit Nitrat und Phosphat belastet. Die Kommunen versuchen mit Kläranlagen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. „Das wird nicht funktionieren“, sagt Gelbrecht. Es gebe zu viele diffuse Einträge aus der Landwirtschaft. „Die Moore dagegen sind die Nieren der Landschaft. Sie filtern sehr wirksam.“ Statt einer weiteren Klärstufe sollte lieber ein Feuchtgebiet angelegt werden.

Nützlich. Allein in deutschen Gewächshäusern, in Gärten und auf Balkonen werden Jahr für Jahr acht Millionen Kubikmeter Torf verbraucht. Er wird vor allem in Niedersachsen abgebaut, auf riesigen Flächen.
Nützlich. Allein in deutschen Gewächshäusern, in Gärten und auf Balkonen werden Jahr für Jahr acht Millionen Kubikmeter Torf verbraucht. Er wird vor allem in Niedersachsen abgebaut, auf riesigen Flächen.

© Imago

Doch viele Moore wurden nicht nur trockengelegt wie das Krähenmoor, sondern bis auf eine dünne Torfschicht abgebaut. Kann eine so geschundene Landschaft sich in ein intaktes Moor zurückverwandeln? Zumindest klimaneutral könnte sie in wenigen Jahren werden, sagt Drösler. Sein Team setzte am Alpenrand bei Königsdorf 1993 ein Stück Grünland unter Wasser, das einst ein Moor war. Nach drei Jahren fanden die Forscher Torfmoose. 2007 maßen sie, wie viel Kohlendioxid aufgenommen und wie viel Methan freigesetzt wurde. „Das Moor bindet nun mehr Kohlenstoff, als es abgibt“, berichtet er.

Beuster steht nachdenklich vor einer Fläche im Lichtenmoor, die die Torfbauern abgeerntet haben. In einigen Wasserlöchern wachsen Torfmoose, sonst vor allem Gras. Im Sommer fällt die Fläche immer wieder trocken. „Ein Hochmoor ist das nicht, aber eine nasse Landschaft. Davon haben wir auch zu wenig“, sagt er.

Die Wirtschaftsinteressen vor Ort geschickt nutzen

Als er Schüler war, brachte ihn der Raubbau der Torfindustrie in Neustadt auf die Barrikaden. Er wurde früh zum Moorschützer. Derzeit flutet Beuster mehr als eine Handvoll abgebauter oder trockengelegter Moore gleichzeitig. Die Jahre haben seinen jugendlichen Idealismus abgeschliffen. Wer ein Moor nass machen will, der muss die Wirtschaftsinteressen vor Ort geschickt nutzen.

Noch immer werden in Deutschland, vor allem in Niedersachsen, Moore abgebaut. Die Konzessionen erlauben das bis 2070. Auf gigantischen Flächen schälen Maschinen die Vegetation von der dunkelbraunen Erde und stechen backsteingroße Ballen aus dem Torf. In langen Reihen türmen sie sie zum Trocknen auf. Wie eine dunkelbraune Wüste erstrecken sich die Abbauflächen im Lichtenmoor bis zum Horizont. Nur in der Ferne werden sie vom Grün der Bäume gesäumt. „Im Januar fangen sie hier an zu stechen“, sagt Beuster. Rumänen setzen die Ballen von Hand zwei Mal um, damit die kostbare Erde trocknen kann. In Holland wird der Torf zu Gartenerde veredelt. Nirgends sprießt ein Grashalm. „Darauf legen die Holländer großen Wert. Steril muss ihr Produkt sein“, sagt Beuster.

Den meisten Verträgen zufolge dürfen die Torfbauern die schwarze Erde bis auf fünfzig Zentimeter Torf abernten. „Fünfzig Zentimeter sind zu wenig“, sagt Beuster. „Wir brauchen mindestens fünfzig Zentimeter Schwarztorf, der das Wasser im Sommer nicht versickern lässt. Darüber müssen noch speicherfähige Weißtorfe liegen, sonst trocknet die Fläche in der heißen Jahreszeit ständig aus.“ Beuster steht vor einer öden braunen Fläche. Sie soll später ein Acker werden – wie so oft. „Mais“, sagt er und lacht zynisch.

Jeder will etwas vom Moor

Sein Alltag ist ein Ringen zwischen Naturschutz, Torfabbau und Agrarindustrie. „Die Fläche sollte an den Naturschutz und nicht an die Landwirtschaft gehen.“ Auch die Torfbauern haben die Interessenlage durchschaut. Sie sagen: „Ihr wollt keinen Mais. Gebt uns das Moor, wir bauen es ab und machen euch später ein Feuchtbiotop daraus.“ Weil die Naturschutzbehörden zu wenig Personal haben, um die Gebiete zu pflegen, sind sie dankbar für solche Vorschläge. So schließen Naturschützer und Moorbauern schon mal einen Pakt. Der Unternehmer, der für Beuster in den Wintermonaten mit Spezialgeräten Wälle errichtet, baut mit seinem Personal im Sommer Moore ab.

Diese Zweckallianz funktioniert nicht immer. Beuster stoppt den Wagen abrupt vor einer Fahrrinne in einem Torfabbaugebiet, die mit Wasser vollgelaufen ist. „Schwachsinn“, zischt er. Der Torfbauer hat mit einem Fahrzeug eine Spur gezogen. Links davon häuft sich die Erde vielleicht zwanzig, dreißig Zentimeter hoch. „Das ist natürlich kein Bauwerk, das in fünf Jahren noch Wasser staut.“ Ein Meter mal ein Meter müsse ein Wall mindestens messen, um die Vernässung zu ermöglichen.

Der Kampf um Flächen ist so heftig wie nie zuvor. Die Preise sind gestiegen, jeder will etwas vom Moor. Derzeit hat der Landwirt die besten Karten. Die Bauern, die Mais für Biogasanlagen anpflanzen, werden gleich zwei Mal subventioniert. Erst für den Anbau und hinterher für die Erzeugung erneuerbarer Energien. Offiziell tragen sie damit zum Klimaschutz bei, weil weniger fossiles Gas oder Kohle verbrannt werden muss. So weist es Deutschland in seiner Klimabilanz für das Kyoto-Protokoll aus. „Das ist schlimmste Schönrechnerei“, echauffiert sich Joosten. „Die Bürokraten missachten, dass der Boden ein Moor ist und drei bis fünf Mal so viel Kohlendioxid in die Luft setzt, wie die Biogaserzeugung einspart. Eine Katastrophe für das Klima.“ Maisanbau auf Moorflächen sei nicht besser als die Palmölplantagen im Regenwald.

40 000 Hektar für die Torfmoos-Zucht

Auch der Pakt zum Abbau der Moore und dem anschließenden Vernässen ist nicht ideal. Acht Millionen Kubikmeter Torf werden Jahr für Jahr in deutschen Gewächshäusern, Gärten und Balkonen benutzt. Alle Tomaten-, Gurken- und Salatpflanzen wachsen zunächst in kleinen Töpfen voller torfhaltiger Erde heran. „Man baut den Torf nur deshalb ab, weil wir billige und hochwertige Gemüse im Supermarkt haben wollen“, stellt Joosten klar. „Alternativen zum Torf – Kokosfasern, Glas- und Holzwolle – bringen ähnliche oder noch größere Umweltprobleme. Außerdem sind sie teurer und nicht ausreichend verfügbar.“

Auf lange Sicht gebe es nur einen Ausweg: die Zucht von Torfmoosen. Im niedersächsischen Hankhausen baut Joostens Team mit dem Torfwerk Mokura auf fünf Hektar die Pflanzen auf einem ehemaligen Hochmoor an. „Das wächst viel schneller als erwartet. Wir bräuchten 30 000 bis 40 000 Hektar, um die Moore zu verschonen. Das ist nicht viel, um ein so großes Umweltproblem zu lösen“, findet der Moorexperte. Auf mehr als einer Million Hektar blüht hierzulande der Raps für den Biosprit.

Als Beuster auf einem schmalen Feldweg aus dem Moorgebiet hinausfährt, hebt ein Bauer die Hand zum Gruß. „Das Feindbild ist nicht so starr“, sagt er. Vielleicht wird es nach dem Land- und Energiewirt ja bald den Moorwirt geben. Ein Experte, der auf den Sumpflandschaften Torf an- statt abbaut.

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