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Kommunikationstechnik: Der schnelle Forscher

Holger Boche arbeitet daran, mobile Kommunikation zu verbessern. Jetzt bekommt er den Leibnizpreis.

Schreibtisch, Besprechungstisch, Sideboard, alles in Braun. Ein Beamer hängt von der Decke, ein kleiner Beistelltisch trägt Monitor und Tastatur. An der Wand eine weiße Tafel mit blauem Formelgekritzel, seitlich drei Kinderzeichnungen. Nichts ist ungewöhnlich an diesem Büro eines deutschen Professors. Doch das Outfit des 40-jährigen, frisch gekürten Leibnizpreisträgers überrascht. Holger Boche trägt Jeans, Turnschuhe, kurzärmliges weißes Hemd, und mit seinen kurzen, blonden Haaren wirkt er jungenhaft, dynamisch und doch entspannt.

Der blaue Teppichboden ist übersät mit Ausdrucken von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Bücher stapeln sich auf Sideboard und Schreibtisch. Sieht es hier immer so chaotisch aus? „Ich bereite ein Buch vor“, sagt der Professor für Mobilkommunikation an der Technischen Universität (TU) Berlin. Ähnlich sehe es in seinem zweiten Büro im nahe gelegenen Heinrich-Hertz-Institut (HHI) aus. Boche ist einer der beiden Leiter dieses Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik. Zudem fungiert der doppelt promovierte Ingenieur als Direktor des „German-Sino Lab for Mobile Communications“ mit Sitz in Berlin und Peking, finanziert vom deutschen und chinesischen Forschungsministerium.

„Ich habe meine Doktorarbeit in Mathematik in drei Wochen geschrieben“, sagt Boche nüchtern, als sei das ganz normal. Nein, seinen Intelligenzquotienten wisse er nicht, antwortet er. Er interessiert sich nicht dafür. Viel spannender findet er intellektuelle Herausforderungen – die Kommunikationstechnik zum Beispiel.

Die ganze Gesellschaft wird dadurch umgekrempelt, sagt Boche. „Vor 20 Jahren gab es fast ausschließlich schnurgebundene Telefone.“ Heute telefonieren drei Milliarden Menschen per Handy. „2017 dürften auf jeden der dann sieben Milliarden Nutzer durchschnittlich tausend Endgeräte kommen“, sagt Boche voraus. Seine Prognose lautet: Die mobile Kommunikation zwischen Menschen wird rasant zunehmen, ebenso die Vernetzung von Mensch und Maschine. Aber auch Autos werden miteinander kommunizieren, Sensoren werden zunehmend im privaten wie im öffentlichen Bereich und in der Industrie eingesetzt. Intelligente Assistenzsysteme können den Verkehr leiten oder im Haushalt helfen. In chemischen Fabriken können Daten wie Temperatur, Druck oder Mischungsverhältnisse von Chemikalien per Funk übertragen werden.

Zählt für Sie nur die Forschung? Boche lacht und sagt: „Ich lebe nicht im Elfenbeinturm.“ Die Familie sei ihm sehr wichtig. Er spielt gerne Schach und Fußball mit seinen beiden Söhnen. Der Vater freut sich, dass die sieben und neun Jahre alten Jungs sehr gut in Naturwissenschaften und Mathematik sind. Er selbst liest gern, die deutsche Romantik, Novalis etwa, auch Hölderlin und Kleist sowie die Weimarer Dichter, Goethe und Schiller.

Der Forscher interessiert sich auch für Philosophie, liest Immanuel Kant, Bertrand Russell oder Kurt Gödel. Mathematik liefert die universelle Sprache, um naturwissenschaftliche Phänomene zu beschreiben, sagt Boche. So reichten ihm Elektrotechnikstudium und Promotion 1994 an der TU Dresden nicht aus. Er erwarb 1992 in Dresden das Mathematikdiplom und legte 1998 an der TU Berlin die Promotion in diesem Fach ab. Seitdem arbeitet er in Charlottenburg am Heinrich-Hertz-Institut. 2002 berief ihn die TU zum Professor für Mobilkommunikation.

„Eigentlich sollte ich Chemiker werden, das war Familientradition“, sagt Boche, der zu Weihnachten 1966 im brandenburgischen Schwedt an der Oder geboren wurde. Zunächst ging er den vom Vater vorgezeichneten Weg, besuchte noch zu DDR-Zeiten die Polytechnische Oberschule und wurde industrieller Messtechniker. Doch dann entschied er sich, Elektroingenieur zu werden. Sein Vorstoß in die wissenschaftliche Welt war schnell von Lorbeeren gekrönt. Er war 1994 bester Absolvent an der TU Dresden und bekam diverse Auszeichnungen. Jetzt der bedeutendste deutsche Forschungspreis, der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis 2008.

„Es war fast wie beim Nobelpreis“, erzählt Boche, als am Nikolaustag das Telefon klingelte und die Nachricht der Deutschen Forschungsgemeinschaft aus Bonn eintraf. Für ihn ist es „eine Riesenauszeichnung“, denn um die Auszeichnung konkurrieren die besten Wissenschaftler. Er hat ihn bekommen und davon profitieren auch die Mitarbeiter. Kann der Preisträger doch frei über 2,5 Millionen Euro für Forschungszwecke verfügen.

Vor allem zwei neue Gebiete will Boche damit aufbauen. Er möchte die Unmenge an Informationen, die in Quantenzuständen stecken, nutzbar machen. Das könnte zum Quantencomputer führen.

Das zweite Ziel findet Boche in der Mikroökonomie. „Ich möchte einen Beitrag zur Fairness leisten“, sagt Boche. Es geht ihm um wissenschaftliche Kriterien, wie die Ressourcen im Mobilfunk – auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten – am besten verteilt werden könnten. Angesichts beschränkter Frequenzbänder gibt es zwangsläufig Konkurrenz. Jedes neue Serviceangebot erfordert zusätzliche Kapazitäten. Falls diese nicht zur Verfügung gestellt werden können, leidet die Übertragungsqualität.

Für Qualität setzt sich Boche auch im Bildungswesen ein. „Die Schule muss mehr individuell fördern“, sagt der Absolvent des Einstein-Gymnasiums in Angermünde in der Uckermark. Er will dazu beitragen, Schüler für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern, und lädt seit 2003 den Jahrgangsbesten seines Einstein-Gymnasiums nach Berlin ein. Der Abiturient kann den Forscher dann überall hin begleiten und an einem speziellen Projekt mitarbeiten. Ein Engagement mit schönen Folgen: Der erste Schülerpraktikant studiert bereits in Cambridge mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Boche ist ein glühender Verfechter des Elitewettbewerbs. Auch wenn er bedauert, dass die TU Berlin nicht zum Zuge gekommen ist. Doch er sieht positive Signale an seiner Universität wie auch überhaupt in der Stadt, in der er gerne lebt, nicht zuletzt wegen der Kultur. So hat er auch einem Angebot aus Princeton widerstanden.

Ihm ist wichtig, dass sich Berlin noch mehr als Wissenschaftsstandort profiliert. Da ist Boche auch die Idee einer Superuniversität recht, wie sie Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner propagiert. Exzellenzen müssten gebündelt werden, sagt er, ähnlich wie es an der ETH Zürich gelungen sei, an der Boche als Gastprofessor wirkte. Er hofft, dass damit der eklatante Mangel an Studenten und Fachkräften in der Nachrichtentechnik behoben werden kann. „Unsere Absolventen haben Superchancen“, sagt der Berliner Leibnizpreisträger 2008. Holger Boche, der unkonventionelle Wissenschaftler, weiß das ganz genau.

Paul Janositz

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