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Wissen: Leibniz’ Ehre

In der Gemeinschaft soll es nach Leistung gehen. Aber das gilt nicht mehr für alle, sagen Kritiker

„Gut ist uns nicht gut genug“ – das sagt die Leibniz-Gemeinschaft gerne über sich. Bislang wohl zu Recht. Die 87 Leibniz-Institute, die zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte von den Ländern getragen werden, stehen unter Bewährungsdruck. Regelmäßig kommen die gefürchteten Gutachtergruppen zur wissenschaftlichen Evaluierung vorbei. Ergreift ein Institut nach der zweiten Gelben Karte nicht seine Chance und verbessert sich, muss es die Gemeinschaft verlassen. Diesem grausamen Leistungsprinzip haben die Leibniz-Institute ihren guten Ruf zu verdanken. Es verhindert, dass die Leibniz-Gemeinschaft neben den anderen drei Wissenschaftsorganisation zur Halde der Übriggebliebenen verkommt.

Umso größere Aufmerksamkeit findet der Fall des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). Für das IWH scheint Leibniz seine Regeln aufzuweichen, so der Eindruck empörter Insider. Sie stoßen sich daran, dass der Senat der Leibniz-Gemeinschaft das Votum der wissenschaftlichen Gutachter – anders als üblich – nicht beherzigt hat.

Über 20 peers hatten dem Institut, nach einer ersten negativen Bewertung im Jahr 2007, unlängst die zweite Gelbe Karte gezeigt. Sie vermissen weiterhin ein „konsistentes Forschungsprogramm“ mit Schwerpunkt auf den ökonomischen Transformationen ehemaliger sozialistischer Staaten und vieles andere mehr. „Befriedigend“ seien die Leistungen des IWH. Im Leibniz-Jargon bedeutet dies: durchgefallen, das IWH muss raus.

Bislang gehörte es zum Selbstbild der Leibniz-Gemeinschaft, dass ihr 40-köpfiger Senat sich die Meinung der externen Experten zu eigen macht, ja, sich ihrem Ergebnis „unterwirft“, wie Insider sagen. Es gehe schließlich darum zu beweisen, dass man sich an die strengen Regeln des Wissenschaftsrats hält, der früher für die Evaluation von Leibniz zuständig war.

Wie es zu dem Bruch mit dem guten Brauch kam, ist nicht zu ergründen. Gab es Telefonketten? Brandreden? Bund und Länder sind im Senat nur mit sechs Stimmen vertreten. Allerdings plauderte Birgitta Wolff, Sachsen-Anhalts Ministerin für Wissenschaft und Wirtschaft (CDU), schon zwei Tage vor der Sitzung des Leibniz-Senats öffentlich aus, das Land werde angesichts des „denkbar schlechten“ Evaluationsergebnisses gute Vorschläge für den Verbleib des IWH bei Leibniz machen müssen: „Auch der Ministerpräsident wird sich einschalten.“

Dass Politiker sich massiv für ein Leibniz-Institut ihres Landes ins Zeug legen, gilt wiederum als Bruch mit den guten Sitten. Genau wie der Leibniz-Senat respektiert die Politik das Urteil der Evaluierung. So lässt es auch Berlin schweigend über sich ergehen, dass sein Fachinformationszentrum Chemie gerade aus der Leibniz-Gemeinschaft verstoßen wird.

Sachsen-Anhalts Ministerin Birgitta Wolff wird nachgesagt, sich auch bei einer Ausschuss-Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im September in Magdeburg heftig für das IWH engagiert zu haben. Denn in der GWK von Bund und Ländern wird das Schicksal des IWH entschieden. Doch während für die GWK der Beschluss üblicherweise eine Formalie ist – sie folgt dem Urteil des Leibniz-Senats, weil dieser der Evaluation folgt – kam es diesmal anders: Die Abteilungsleiter und Amtschefs von Bund und Ländern im GWK-Ausschuss brachten die nötige Mehrheit für das IWH nicht zustande. Sie könnten die Entscheidung nun bei ihrer Sitzung im Februar treffen. Es sei denn, die Minister nehmen die Sache am kommenden Montag selbst in die Hand, wenn sie in Berlin tagen. Leibniz-Präsident Karl Ullich Mayer lässt lediglich verlauten: „Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, deshalb äußern wir uns dazu nicht. Die nächsten Entscheidungen liegen bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz.“

Mayers Amtsvorgänger Ernst-Theodor Rietschel sagt auf Anfrage: „Der Fall ist für Leibniz sehr bedeutsam.“ Er freue sich zwar, dass das Institut gerettet worden sei, denn es habe unter „extrem unglücklichen Umständen gelitten“. Damit spielt Rietschel auf den Institutsleiter Ulrich Blum an, der von seinem Posten inzwischen zurückgetreten ist. Letztlich zeige der Fall aber, dass die Kuratorien der Institute ihre Aufsichtspflicht aufmerksam wahrnehmen müssten. Rietschel wünscht sich auch, dass der Leibniz-Präsident wie der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit haben soll, in Institute einzugreifen.

Ministerin Wolff verteidigt die Entscheidung des Senats damit, er habe nicht nur „fachliche Kriterien im engsten Sinne, sondern auch wissenschaftspolitische“ zu berücksichtigen: „Insofern überrascht es nicht, dass es auch einmal zu unterschiedlichen Voten kommen kann, wenngleich es selten ist“, teilt sie auf Anfrage mit. Tatsächlich ist das IWH das einzige bedeutende Wirtschaftsinstitut in Ost-Deutschland und gehört immerhin zum Kreis der Institute, die für die Bundesregierung die Gemeinschaftsdiagnose über die Konjunktur abgeben dürfen.

Die Freunde des Qualitätsprinzips beeindruckt das nicht. Erfolg ist bei Leibniz machbar: Nach den 70 Evaluationen der vergangenen fünf Jahre wurden nur zwei Institute ausgeschlossen. Manch einer hofft nun, die GWK werde sich an der Evaluierung orientieren, den Beschluss des Leibniz-Senats einkassieren und Leibniz’ Ehre wiederherstellen. Anja Kühne

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