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Helga Nowotny.

© dpa/pa

Lob des Risikos: Leuchtende, dunkle Zukunft

Die Sozialwissenschaftlerin Helga Nowotny preist die Ungewissheit. Sie sei eine „subversive Kraft, bereit uns zu dienen".

„Ungewissheit“ und „Risiko“ sind Begriffe, die kein gutes Image haben. Wir wollen stattdessen Gewissheit, und das Risiko sollte so gering wie möglich sein. Aber man kann die Dinge auch anders sehen. Der Wiener Sozialwissenschaftlerin Helga Nowotny hat es vor allem die verpönte Ungewissheit angetan. So sehr, dass die emeritierte Professorin der ETH Zürich vor Kurzem ein ganzes Buch darüber geschrieben hat. Titel: „The Cunning of Uncertainty“, „Die List der Ungewissheit“ (Polity Press, 220 Seiten, 24,90 €). Worin aber besteht diese List?

Altgewohntes infrage stellen

Ungewissheit „öffnet den Riss in der Wand, durch den das Neue dringt“, schreibt Nowotny. Sie ist eine „subversive Kraft, bereit uns zu dienen, wenn wir bereit sind, mit ihr zu gehen“. Sie stellt Altgewohntes infrage. Und ermöglicht uns, neue Ziele zu stecken, indem wir einen frischen Blick auf die Zukunft werfen. Sie lehrt, Uneindeutigkeit und Ambivalenz nicht auszugrenzen. Sondern anzuerkennen, dass diese dem Leben mehr Bedeutung und Erfahrung geben können. Sie erinnert uns daran, dass es nicht nur Wahrheit und Lüge gibt, sondern „eine Zone dazwischen, die sich in die eine oder andere Richtung verschieben kann“.

"Ungewissheit" ist etwas anderes als "Unsicherheit"

Allerdings ist „Ungewissheit“ etwas anderes als „Unsicherheit“, eine wichtige Unterscheidung, auf die Nowotny im Gespräch großen Wert legt. Denn bei der Unsicherheit gehe es in erster Linie um materielle Probleme. Nowotny will diesen Begriff nicht positiv besetzen. Eher schon den des „Risikos“. „Es kann auch sein Gutes haben, etwas zu riskieren“, sagt sie.

Wobei das Risiko viel konkreter als die nebulöse Ungewissheit ist. Spricht man von Ungewissheit, dann weiß man häufig nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis eintritt: „Es könnte regnen“. Spricht man vom Risiko, dann weiß man, wie wahrscheinlich es ist: „Die Chancen stehen fifty-fifty, dass es regnet!“

Vorbildlich ist der Umgang der Wissenschaft mit Ungewissheit, findet Nowotny. „Die Grundlagenforschung ist ungewiss“, sagt Nowotny. „Sie bricht ins Unbekannte auf.“ Das bringt das Risiko mit sich, dass ein wissenschaftliches Vorhaben fehlschlägt. Aber „riskante“ Forschung kann auch ganz neue Türen in die Zukunft aufstoßen.

Wissenschaftliche Pionierarbeiten zielen ins Unbekannte

Von 2010 bis 2013 hat Nowotny den Europäischen Forschungsrat geleitet. Hier war es ihre Aufgabe, aus der Masse herausragende wissenschaftliche Vorhaben zu fördern, also jene Pionierarbeiten, die „ins Unbekannte“ zielen. „Es war nicht einfach, dass der Europäischen Kommission zu vermitteln“, erinnert sich Helga Nowotny. Galt es doch, von genau festgelegten Arbeitsprogrammen mit „Meilensteinen“ abzusehen. Dort, wo noch keiner war, gibt es (noch) keine Meilensteine.

Die Gesellschaft muss Unbestimmbarkeit aushalten

Es sind gerade die Wissenschaften, von denen klare Antworten zu Zukunftsfragen verlangt werden. Häufig ist es aber mit einem einfachen „ja“ oder „nein“ nicht getan. Stattdessen gibt es eine „Bandbreite der Ungewissheit“, wie sie in Klimaberechnungen oder Krankheitsprognosen sichtbar wird. Man weiß zwar vieles, aber ein gewisses Maß an Unbestimmbarkeit muss die Gesellschaft aushalten. Und die Wissenschaft kann uns lehren, uns über die „richtigen“ Probleme zu sorgen. Dennoch bleibt die Zukunft eine Nebelbank, auch wenn die Wissenschaften mit großen Scheinwerfern hineinleuchten.

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Einer dieser Scheinwerfer sind „big data“, große Sammlungen elektronisch erhobener Informationen, die statistisch ausgewertet werden. In der Medizin wie in der Klimaforschung spielen sie eine wachsende Rolle. Aber auch im Wirtschaftsleben. So können Firmen aus den Spuren, die wir im Internet hinterlassen, wichtige Rückschlüsse auf unser Kaufverhalten ziehen. Es ist nicht nötig, dass sich Experten über unseren Geschmack bei Büchern, CDs oder DVDs den Kopf zerbrechen. Der Internethändler Amazon schaut einfach nach, was bisher in unserem Einkaufskorb gelandet ist und macht uns dann die „richtigen“ Angebote („Das könnte Ihnen auch gefallen“). Man kann das angenehm finden. Oder beunruhigend.

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