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© Cinetext

Männer: Das extreme Geschlecht

Ihr Hang zum Außergewöhnlichen bringt die Männerwelt an die Spitze, sagen Forscher. Männer sind dümmer als auch schlauer als Frauen.

Valparaiso, ein kleiner Vorort Chicagos, am späten Abend des 22. Juni 2007. Zwei Männer machen sich auf den Weg zum Bahngleis, um sich dort einer makabren Mutprobe zu stellen. Top, die Wette gilt: Wer im Angesicht eines heranrasenden Zuges am längsten auf den Gleisen stehen bleibt, gewinnt. Es stellt sich heraus, dass der 23-jährige Patrick Stiff II. die stärkeren Nerven hat: Während sein Kumpel längst zur Seite gesprungen ist, steht Stiff immer noch. Er steht so lange, bis ihn der Zug überrollt. Stiff verliert sein Leben. Die Wette aber hat er gewonnen.

Damit brachte er es auf Platz vier der diesjährigen „Darwin-Awards“. 1994 riefen Biologiestudenten der kalifornischen Stanford-Universität die Auszeichnung ins Leben, um Menschen zu würdigen, die sich auf möglichst „dämliche Art und Weise vom Leben verabschieden“. Sterben allein genügt nicht, um nominiert zu werden. Nein, die Dummheit, mit der man aus dem Diesseits scheidet, muss schon von einer Dimension sein, dass der Gesellschaft mit dem Ableben ein Gefallen getan wird: „Diese Auszeichnung wird fast immer posthum verliehen, vorzugsweise vor der Vermehrung“, heißt es auf der deutschen Webseite des Preises; so werde das Überleben der Spezies langfristig gesichert.

Jahr für Jahr wird der Darwin-Award verliehen, Kandidaten gibt es immer reichlich, und kein Fall gleicht dem anderen. Ein Preisträger wurde von einem Cola-Automaten zerquetscht, nachdem er ihn umgekippt hatte, um so kostenlos an eine Dose ranzukommen. Drei Männer wurden ausgezeichnet, die gewettet hatten, wer am kräftigsten auf eine Tellermine treten konnte. Neben dem hohen Grad an Dummheit, mit dem sich die Darwin-Award-Zeitgenossen aus dem Leben katapultieren, haben die verschiedenen Fälle eine auffallende Gemeinsamkeit: Fast alle Preisträger sind Männer.

Das ist die eine Seite.

Die andere ist: Seit gut 100 Jahren gibt es den Nobelpreis. In diesem ganzen Zeitraum haben nur zwei Frauen die Auszeichnung in Physik bekommen. Eine der beiden war Marie Curie, sie wurde 1903 ausgezeichnet, lange vor der Emanzipationsbewegung. Bei allen anderen wissenschaftlichen Nobelpreisen sieht die Situation nicht viel anders aus.

Sowohl beim Darwin- also auch beim Nobelpreis also sahnen die Männer ab. Das für sich beweist noch nichts. Es führt aber an ein Phänomen heran, für das sich immer mehr systematische Befunde finden lassen. Auf eine kurze Formel gebracht lautet das Phänomen so: Männer sind extremer als Frauen.

Männer sind sowohl dümmer als auch schlauer als Frauen. Frauen dagegen „bewegen sich eher um den Durchschnitt“, wie es die britische Psychologin Helena Cronin von der London School of Economics formuliert – und das, meint die Expertin, könnte auch Licht auf die Frage werfen, weshalb Frauen bis heute so selten in den Spitzenpositionen der Gesellschaft anzutreffen sind. Denn natürlich sind auch Spitzenpositionen Extreme.

Lange Zeit hat man diesen Erklärungsansatz totgeschwiegen, nicht zuletzt aus politischer Korrektheit. Doch gibt es inzwischen so viele Hinweise, die für die „Extremhypothese“ sprechen, dass mehr und mehr Psychologen – oft Psychologinnen – sich hervorwagen.

Wie zum Beispiel die kanadische Entwicklungspsychologin Susan Pinker mit ihrem soeben erschienenen Buch „The Sexual Paradox“ (Scribner 2008). Schon im Kindesalter, führt Pinker in ihrem Buch aus, lasse sich das Phänomen der Extreme beobachten: „In über 20 Jahren als Kinderpsychologin, habe ich in meiner Praxis meist nur Jungs gesehen.“ Jungs sind in so gut wie jeder Hinsicht anfälliger, wenn man so will: das „schwächere“ Geschlecht. So leiden sie mit großem Abstand häufiger unter Lernproblemen, Hyperaktivität, Sprachstörungen, Autismus, bis hin zu verschiedenen Formen von geistiger Behinderung.

Grundschullehrer machen ähnliche Erfahrungen: Es sind fast immer die Jungs, die den Unterricht zur Hölle machen. Sie sind nicht nur impulsiver und aggressiver, sondern können auch weniger stillsitzen und haben generell Schwierigkeiten damit, zuzuhören.

Und die Mädchen? Sie sind die besseren Schülerinnen, im Schnitt auch die besseren Studentinnen. Sogar im Berufsleben haben sie, entgegen dem Vorurteil, nicht selten eine steilere Karriere vor sich: In etwa der Hälfte der weltweiten Top-Unternehmen („Fortune 500“), so eine Studie aus dem Jahr 2006, waren es nicht die Männer, sondern die Frauen, die schneller und häufiger in eine leitende Position befördert wurden. Nur ganz oben, in der Chefetage, kann man die Frauen immer noch an einer Hand abzählen. So haben lediglich acht der 500 umsatzstärksten Firmen eine Frau an der Spitze.

Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „gläsernen Decke“, die Frauen davon abhält, bis nach ganz oben vorzudringen. Und die herkömmliche Erklärung für die gläserne Decke lautet: Männer versperren den Frauen bewusst und gezielt den Zugang zu diesen Positionen. Obwohl kaum jemand bestreitet, dass darin ein Kern von Wahrheit liegt, bleibt eines an dieser Erklärung rätselhaft: In der Schule halten die Jungs die Mädchen keineswegs davon ab, die besseren Schülerinnen zu sein. An der Uni halten die Studenten die Studentinnen nicht davon ab, besser abzuschneiden. Die Männer scheinen die Frauen zumindest in der Hälfte der globalen Spitzenunternehmen nicht davon abzuhalten, schneller in leitende Funktionen zu gelangen. Und dies alles soll sich plötzlich komplett ändern, sobald es um die Chefpositionen geht?

„Ich habe in dieser Hinsicht meine Meinung geändert“, sagt die Psychologin Cronin. Auch sie glaubt, dass hier das Phänomen der Extreme zum Vorschein kommt: „Unter Männern kann die Variation, also der Unterschied zwischen den besten und den schwächsten, enorm ausfallen. Das heißt, die Männer sind fast zwangsläufig sowohl am unteren Ende als auch an der Spitze überrepräsentiert.“ Kurz gesagt: mehr Dummköpfe – aber auch mehr Genies.

Eigentlich ist die Idee nicht neu. Bereits Charles Darwin, dem britischen Vater der Evolutionstheorie, war aufgefallen: Im gesamten Tierreich unterscheiden sich die Männchen mehr als die Weibchen. Es ist, als würde sich die Natur sagen: Weibchen brauche ich für das Überleben der Arten unbedingt. Die Männchen sind nicht ganz so wichtig, da schon wenige Männchen viele Weibchen befruchten können. Also kann ich am männlichen Geschlecht mehr herumexperimentieren. Die US-Kulturhistorikerin Camille Paglia hat das Prinzip einmal so auf den Punkt gebracht: „Es gibt keinen weiblichen Mozart, weil es keinen weiblichen Jack the Ripper gibt.“

Dass Männer extremer sind, dafür liefern nicht nur Natur und die Geschichte etliche Belege, das hat sich auch in zahlreichen Studien offenbart, bei Intelligenzmessungen etwa. Im Schnitt schneiden Männer und Frauen in IQ-Tests ähnlich ab, was allerdings nicht weiter verwundert, da die Tests eigens so entwickelt wurden, dass sie geschlechterneutral ausfallen. Selbst bei diesen auf politische Korrektheit getrimmten Tests jedoch zeigt sich: Männer sind sowohl dümmer als auch klüger.

Die umfangreichste Messung in dieser Hinsicht stammt aus den 1930er Jahren. Damals warf ein Psychologe aus Edinburgh einen Blick auf den Intelligenzquotienten von über 80 000 schottischen Kindern. Wie sich zeigte, gab es weitaus mehr Männer als Frauen mit einem unterbelichteten IQ zwischen 60 und 90. Die Mädchen kreisten stärker um den Durchschnitt von 95 bis 115 Punkten. Erst ab einem IQ von 120 (ab 130 spricht man von „Hochbegabung“) übertrafen die Jungs die Mädchen wieder. Im Schnitt allerdings kamen die Mädchen und Jungs auf den exakt gleichen IQ von 103.

Der Schnitt aber ist nicht unbedingt das, was in unserer Gesellschaft den Ausschlag gibt, schon gar nicht in den Extrembereichen. „Wir fokussieren in der Diskussion oft auf den Durchschnitt und ignorieren die Extreme, und so erscheinen uns die Unterschiede zwischen Mann und Frau klein“, sagt Cronin. Jeder Unterschied an der Spitze muss uns somit zutiefst ungerecht vorkommen. Dabei spiegelt die gläserne Decke, wie Cronin meint, letztlich vielleicht kein politisches Phänomen wider, sondern ein statistisches.

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