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Materieforschung: Das Riesenmikroskop

Unter Hamburg entsteht ein Röntgenlaser, der präzise Bilder von Atomen ermöglichen soll.

Die ersten Bagger arbeiten schon, heute ist offizieller Baubeginn: Bis 2014 soll im Nordwesten Hamburgs eine unterirdische Großforschungsanlage der Superlative entstehen – der Röntgenlaser „European XFEL“. Damit wollen Forscher einzelne Atome fotografieren und sogar filmen, wie Moleküle miteinander reagieren. Das dreieinhalb Kilometer lange Mikroskop wird am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg beginnen, bis zu 38 Meter tief in der Erde verlaufen und bis unter die schleswig-holsteinische Stadt Schenefeld reichen. 14 Länder beteiligen sich am Bau der Anlage – Deutschland, elf weitere europäische Staaten sowie China und Russland. Etwa eine Milliarde Euro kostet das Vorhaben, Deutschland steuert 580 Millionen Euro bei.

In der Abkürzung XFEL steht X für Röntgen, FEL für Freie-Elektronen-Laser. Die Anlage soll mithilfe von frei beweglichen Elektronen ein Röntgen-Laserlicht erzeugen. Dazu schlägt zunächst ein konventioneller Laserstrahl Elektronen aus einem Metall heraus. Die Teilchen werden in einen zwei Kilometer langen Tunnel geleitet, wo sie von wechselnden elektromagnetischen Feldern fast auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Anschließend rasen die Elektronen durch unterirdische Undulatoren. Das sind bis zu 200 Meter lange, spezielle Anordnungen von Magneten. In den Magnetfeldern werden die Elektronen auf einen Slalomkurs gezwungen, was sie dazu veranlasst, Röntgenlicht auszusenden.

30 000 Röntgenblitze pro Sekunde

Diese Röntgenblitze benötigen die Forscher für ihre Experimente. Zwar gibt es schon heute Maschinen, die solche Pulse erzeugen können. Der European XFEL wird aber mehr und hellere Signale erzeugen, als das bisher möglich war. Er soll pro Sekunde 30 000 Röntgenblitze abfeuern, die jeweils kürzer sind als 0,1 billionstel Sekunden.

„Die Wellenlänge der Strahlung wird mit einem zehnmilliardstel Meter außerordentlich klein sein“, sagt der Physiker Thomas Tschentscher, einer der beteiligten Wissenschaftler. „Das entspricht dem typischen Abstand von Atomen in Festkörpern, somit können wir einzelne Moleküle in atomaren Details abbilden.“ Dazu werden die Forscher das jeweils interessierende Molekül mit den Röntgenblitzen beschießen. Die Strahlung wird am Molekül gebeugt und erzeugt ein charakteristisches Muster. Aus diesem Beugungsmuster wiederum lässt sich die dreidimensionale Atomstruktur des Moleküls ermitteln.

Im Prinzip können die Forscher das schon heute. Doch die vorhandenen Röntgenlichtquellen sind zu schwach, um einzelne Moleküle zu untersuchen. Das zwingt die Wissenschaftler dazu, die zu untersuchenden Verbindungen in großen Mengen zu kristallisieren, um ein stärkeres Messsignal zu bekommen. Das Problem: Viele Biomoleküle lassen sich nicht kristallisieren, folglich konnte man bislang ihre Atomstruktur nicht bestimmen.

„Die Laserblitze des XFEL werden bis zu eine Milliarde Mal heller sein als die bisheriger Röntgenquellen“, sagt Andreas Schwarz, der ebenfalls an der Entwicklung des Röntgenlasers beteiligt ist. „Wir hoffen, damit die Struktur von einzelnen Biomolekülen abbilden zu können.“ Möglicherweise lassen sich mit der Technik auch größere biologische Strukturen wie Viren atomgenau darstellen.

Die Forscher wollen filmen, wie Moleküle miteinander reagieren

Der XFEL soll aber nicht nur statische Bilder liefern. Mithilfe der Röntgenblitze wollen die Forscher auch sehr schnelle Vorgänge verfolgen. Wenn zum Beispiel zwei Moleküle chemisch miteinander reagieren, spielt sich das häufig innerhalb weniger billionstel Sekunden ab. „Die extrem kurzen Röntgenblitze des XFEL erlauben es uns, solche Vorgänge zu filmen“, sagt der Physiker Schwarz. Dazu soll zu verschiedenen Zeitpunkten der Reaktion jeweils ein Schnappschuss gemacht werden mit einer „Belichtungszeit“ von 0,1 billionstel Sekunden. Die Abfolge dieser Momentaufnahmen gibt den Verlauf der Reaktion im atomaren Detail wieder.

„Mit diesem Verfahren wollen wir unter anderem Bewegungen von Molekülen filmen, etwa das Andocken von Viren an die Membran von Zellen“, sagt Tschentscher. Die Erkenntnisse, die die Forscher dabei gewinnen, könnten zur Entwicklung von neuen antiviralen Medikamenten führen, hofft er.

Der European XFEL wird nicht der einzige Freie-Elektronen-Röntgenlaser auf der Welt sein. In den kommenden Jahren gehen in Kalifornien und in Japan zwei ähnliche Anlagen in Betrieb. Das Hamburger Röntgen-Mikroskop verfügt jedoch über supraleitende Elektronenbeschleuniger und kann deshalb 300-mal mehr Röntgenblitze pro Sekunde erzeugen als die Konkurrenz in Übersee.

In rund fünf Jahren soll es so weit sein. Dass die Finanzkrise den Aufbau verzögert, glaubt Schwarz nicht. Die Finanzierung sei langfristig angelegt und deshalb nicht von kurzfristigen Haushaltskrisen abhängig. „Und selbst wenn – dann wäre jetzt, in der Krise, der beste Zeitpunkt, in den XFEL zu investieren: in ein zukunftsorientiertes Forschungsprojekt.“

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