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Gefahr gebannt. Auf dieser rasterelektronenmikroskopischen Aufnahme ist gut zu erkennen, wie Krebszellen (gelb eingefärbt) einer Abwehrzelle des Immunsystems („Fresszelle“, violett eingefärbt) „ins Netz gehen“ und verdaut werden. Eine Chemotherapie kann solche Strategien des Körpers gegen Tumorzellen offenbar stimulieren. Foto: Mauritius

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Medizin: Krebsbekämpfung: Hoffnungsvolle Medikamente früh testen

Manchmal können Chemotherapien mehr, als nur Krebszellen abzutöten. Der Molekularbiologe Guido Kroemer zum Stand der Forschung

Notorisch unzufrieden zu sein gilt gemeinhin nicht als eine angenehme menschliche Eigenschaft. Der Molekularbiologe Guido Kroemer legt Nachwuchsforschern allerdings ans Herz, sie zu kultivieren, zumindest beruflich. „Wir müssen immer wieder unzufrieden und auch ungeduldig sein, weil die Patienten nicht warten können“, sagte der Krebsforscher, der im Institut Gustave Roussy in Villejuif bei Paris und am Nationalen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung arbeitet und aufgrund seiner beeindruckenden Publikationen als Star der Krebsforschung gilt, in Berlin. Kroemer sprach im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) anlässlich des Krebstages, einer Veranstaltung des MDC und der Charité.

Unzufrieden war Kroemer zum Beispiel mit der Erklärung dafür, wie Chemotherapien Krebs bekämpfen. Zwar ist bekannt, dass sie Gift für Zellen sind, die sich besonders schnell teilen, ein Charakteristikum der bösartigen Tumorzellen. „Wir vermuteten allerdings, dass das eine zu einfache Sicht der Dinge ist und dass noch mehr hinter ihrer Wirkung steckt“, berichtete der Krebsforscher. Das „Mehr“ muss sich im Immunsystem verbergen, so die Annahme seiner Arbeitsgruppe.

Zunächst fanden die Wissenschaftler heraus, dass einige gängige Krebsmedikamente bei Mäusen nicht nur direkt wirken, indem sie Krebszellen abtöten, sondern auch indirekt, indem sie die Aufmerksamkeit der körpereigenen Abwehr gezielt auf diese bösartigen Zellen lenken: Die Tumorzellen präsentieren, vom Einfluss der Zellgifte unter Stress gesetzt, auf ihrer Oberfläche ein Eiweiß namens Calreticulin. Das führt dazu, dass das Immunsystem die Bedrohung erkennt und den Kampf gegen die Feinde aufnimmt. Die sterbenden Krebszellen wirken also wie eine Art Impfung: Falls später Nachfolger von ihnen in Erscheinung treten, weiß die körpereigene Abwehr Bescheid und kann Gegenmaßnahmen ergreifen. Das klappt allerdings nur bei einigen Mitteln, und auch nur bei Mäusen mit intaktem Immunsystem. „Dazu passen die Ergebnisse einer noch unveröffentlichten Arbeit“, sagte Kroemer: „Sie zeigt, dass Krebsmedikamente aus der Gruppe der Anthrazykline erfolgreicher sind, wenn das Immunsystem der Patienten nicht geschwächt ist.“

Möglicherweise können auch Arzneimittel, die zur Behandlung ganz anderer Erkrankungen eingesetzt werden, dem Immunsystem im Kampf gegen bösartige Zellen behilflich sein, lautete der nächste Gedanke der Forscher. Sie testeten systematisch 980 Arzneimittel, indem sie unter einem Spezialmikroskop beobachteten, welche Wirkungen sie im Kontakt mit isolierten Tumorzellen erzielten. Zu ihrer Überraschung erwiesen sich dabei einige Verwandte von Digitalis (Fingerhut), einem Klassiker der Herzmedizin, ebenfalls als Anheizer der körpereigenen Abwehr. Der Digitaliswirkstoff Digoxin, den sie anschließend in Kombination mit dem Krebsmittel Cisplatin testeten, wirkte bei krebskranken Versuchstieren wirklich wie eine Impfung. Allerdings nur, wenn ihr Immunsystem intakt war.

Um ihre Entdeckung weiter zu untermauern, studierten Kroemer und seine Mitarbeiter Krankenakten von 145 Patienten vergangener Jahrzehnte, die wegen Tumoren der Brust, des Darms, der Leber oder des Hals-Kopf-Bereichs eine Chemotherapie bekommen hatten und gleichzeitig wegen Herzschwäche mit einem Digitalisglykosid behandelt worden waren. Bewusst berücksichtigten sie dabei nur Chemotherapien mit Mitteln, die selbst nicht auf das Immunsystem einwirken. Und siehe da: Im Vergleich zu 290 Krebspatienten, die keine Herzmittel bekommen hatten, überlebten deutlich mehr von ihnen die kritische Zeit von fünf Jahren. Und das, obwohl sie zusätzlich durch das Herzleiden belastet waren.

Im nächsten Schritt soll nun eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie mit Digoxin bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren getestet werden, im Vergleich mit einer Patientengruppe, die das Herzmittel nicht bekommt.

Kroemer plädierte dafür, in Zukunft schon in einem frühen Stadium der Testung neuer hoffnungsvoller Krebsmittel die Reaktionen des Immunsystems zu ermitteln, im Labor und an Versuchstieren. „Wir müssen messen, wie der Kampf des Immunsystems gegen den Tumor auf molekularbiologischer Ebene verläuft. Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, hier die richtigen Substanzen herauszufiltern.“

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