zum Hauptinhalt

Medizin: „Was wir tun, ist hochethisch“

Der Forschungschef von Bayer-Schering-Pharma Andreas Busch über die Entwicklung neuer Medikamente und das schlechte Image der Pharmaindustrie.

Was sind die neuen Arzneimittel, von denen Sie sich als Forschungschef am meisten versprechen?

Momentan haben wir da zwei Schätze. Das eine ist „Xarelto“, ein sehr innovatives Mittel gegen die Bildung von Blutpfropfen in den Gefäßen, ein Antithrombotikum. Wir haben die Zulassung in Europa beantragt und hoffen, bald damit auf den Markt zu kommen. Das zweite ist „Nexavar“, ein Mittel gegen Krebs. Es wird bereits zur Behandlung von Nieren- und Leberkrebs eingesetzt. Bei Leberkrebs ist es das erste Mittel, das überhaupt das Überleben verlängert. Daneben haben wir natürlich noch weitere Substanzen in der Entwicklung.

Bayer-Schering-Pharma hat die Pille für den Mann aufgegeben. Ist Verhütung kein Thema mehr für Ihr Unternehmen?

Wir sehen da nach wie vor eine Zukunft für uns und auch Innovationsbedarf. Den können wir aber mit unseren laufenden Forschungsvorhaben und mit neuen Kombinationen und Dosierungen bereits vorhandener Arzneimittel abdecken. Dagegen brauchen wir in der Frauenheilkunde echte Innovationen.

Welche Krankheiten sind das?

Wir entwickeln Medikamente gegen die Endometriose und gegen Myome, gutartige Geschwulste in der Gebärmutter.

Bisher werden diese Myome häufig operiert, nicht selten die Gebärmutter entfernt. Kann Ihr Präparat Frauen den Eingriff ersparen?

Das ist das Ziel. Es geht darum, das Wachstum der Myome komplett zu hemmen oder die Tumoren sogar zum Schrumpfen zu bringen. Ähnlich ist es bei der Behandlung der Endometriose. Bei dieser ebenfalls im Prinzip gutartigen Störung wuchert Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter. Abhängig vom Zyklus haben die Frauen oft starke Schmerzen, manche können deshalb keine Kinder bekommen. Beides sind Erkrankungen, für die ein hoher medizinischer Bedarf besteht.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung?

Wenn man davon ausgeht, dass ein Arzneimittel von der ersten Idee bis zu einem vermarktbaren Produkt 12 bis 14 Jahre braucht, stehen wir eher am Anfang. Wir sind dabei, Substanzen zu testen und zu verbessern, der Weg ist also noch lang. Aber bei einem Gebiet, das uns wichtig ist, sind wir auch bereit, einen langen Atem zu haben.

Wie entscheiden Sie, in welchen Wirkstoff Sie Zeit und Kapital investieren?

Wir fragen uns: Auf welchem Gebiet sind wir gut, wo gibt es den Bedarf für ein neues Medikament, wo gibt es einen entsprechenden Markt? Dann befragen wir die wichtigsten Köpfe auf diesem Gebiet: Wie schätzen sie die Chancen ein? Häufig stellt sich dann ein Gleichgewicht ein: Es gibt einen Bedarf, und es gibt einen Markt, der für uns interessant ist. Sie haben vorhin das Thema Empfängnisverhütung angesprochen. Da gibt es ein dichtes Netzwerk verschiedener Methoden. Aber bei anderen Erkrankungen, wie eben zum Beispiel der Endometriose oder bei Myomen, ist der Bedarf noch lange nicht gedeckt. Da können wir sowohl helfen als auch Geld verdienen.

Bei vielen neuen Medikamenten war ja auch der Zufall im Spiel. Das Potenzmittel Viagra war ursprünglich als Herzmedikament in der Erprobung.

Man braucht eine Strategie, aber man muss auch auf neue Möglichkeiten reagieren. Häufig wirkt ein Medikament an verschiedenen Stellen im Körper. Wenn wir neue Wirkstoffe erproben, fragen wir uns auch schon frühzeitig: Wo kann diese Substanz sonst noch hilfreich sein? Nehmen Sie als Beispiel unser Krebsmittel Nexavar. Es bremst das Gefäßwachstum in Tumoren, aber sein Einfluss auf die Blutgefäße macht es auch für Kreislaufleiden interessant. Wir haben es jetzt beim Lungenhochdruck getestet und sehen erste positive Effekte. Wir schließen also den Zufall nicht aus. Wir versuchen, ihn strategisch zu nutzen.

Die größten Probleme haben Sie im Moment mit Trasylol. Es wird bei Herzoperationen eingesetzt, um den oft sehr hohen Blutverlust zu verringern. Wegen des Risikos schwerer, unter Umständen tödlicher Nebenwirkungen mussten Sie den Blutstiller vorerst vom Markt nehmen.

Viele Herzchirurgen beklagen, dass Trasylol nicht mehr zur Verfügung steht. Sie rufen uns an und sagen: ,Wir können nicht mehr operieren ohne Trasylol.’ Das Medikament ist seit Jahrzehnten im Einsatz. Für uns ist klar: Die Sicherheit des Patienten steht im Vordergrund. Wir werden alles tun, um sie zu gewährleisten. Dazu schauen wir uns die Daten genau an. Wo die Reise hingeht, können wir im Moment noch nicht sagen.

Kritiker werfen Bayer vor, es hätte Trasylol eher vom Markt nehmen müssen.

Das sehen wir nicht so. Wir haben immer sehr sorgfältig die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen in unseren eigenen Datenbanken verfolgt und analysiert, waren in ständigem Austausch mit den Behörden und haben die wissenschaftliche Literatur berücksichtigt.

Die Pharmaindustrie hat allgemein ein eher schlechtes Image in der Öffentlichkeit. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Lange hat das Bild von Unternehmen vorgeherrscht, für die der Gewinn, weniger das Erfüllen des medizinischen Bedarfs im Vordergrund steht. Ich denke, was wir tun, ist hochethisch. Wir tun etwas, damit Kranke überleben oder die Lebensqualität verbessert wird. Übrigens bringen Medikamente der Gesellschaft auch ökonomischen Nutzen, das wird oft unterschätzt. Arzneimittel können die Zeit im Krankenhaus und die Ausfallzeiten im Beruf verkürzen. Auch die Gesellschaft als Ganzes profitiert also von innovativen Medikamenten.

Kritiker monieren, dass für den Hersteller ungünstige Arzneimittelstudien in der Schublade verschwinden, statt veröffentlicht zu werden.

Wir stehen zu maximaler Transparenz, im Interesse des Patienten. Da haben wir eindeutige Verhaltensregeln. Wir halten nichts zurück, was wichtig für den Patienten oder die Zulassung ist.

Besteht nicht auf der anderen Seite die Gefahr, dass die Industrie zu risikoscheu wird? Haben Sie noch den Mut, auf neue Therapiekonzepte zu setzen, statt auf Nummer sicher zu gehen und den 50. Betablocker auf den Markt zu werfen?

Ich bin natürlich nur dann risikobereit, wenn das auch honoriert wird. Innovation muss sich lohnen. Dann sind wir auch bereit, hohe Risiken zu tragen. Wie viele potenzielle Krebsmedikamente werden in einem fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung aufgegeben! Da kann man schnell einmal 300 Millionen Euro in den Sand setzen. Oder nehmen Sie Studien in der Herzmedizin, wo wir es mit bis zu 40.000 Patienten zu tun haben.

Welche Rolle spielt Berlin für Ihr Unternehmen?

Die Stadt hat viel Potenzial, aber wir brauchen ein noch stärkeres gegenseitiges Verständnis zwischen Wissenschaft und Industrie. Da haben wir erste Schritte unternommen, mit Hochschulpräsidenten, der Charité und dem Max-Delbrück-Centrum Gespräche geführt. Es wird wichtig sein, auch tatsächlich gemeinsame Vorhaben ins Leben zu rufen.

Ihr Unternehmen kooperiert unter anderem mit der Universität Stanford in Kalifornien. Was bedeutet Amerika für sie?

Ich habe an einem Institut in Portland, Oregon, geforscht. In Oregon ist auch der Sitz von Nike, und irgendwie hat deren Werbespruch „Just do it“ auf mich abgefärbt. Klingt jetzt nach Schleichwerbung, aber „Just do it“ ist wirklich typisch amerikanisch. Packe ein Problem an und löse es. Mach es einfach. Bei uns fragt man zuerst nach den Hindernissen, den Problemen. Ich glaube, amerikanischer Pragmatismus und deutsche Gründlichkeit sind eine sehr gute Kombination.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

ANDREAS BUSCH (44) ist Pharmazeut und Forschungsvorstand von Bayer-Schering-Pharma. Bevor er 2005 zur Bayer AG kam, leitete er die Forschung zur Herzmedizin bei Sanofi-Aventis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false