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Musik: Der Mensch – ein Homo musicus

Musikinstrumente aus der Morgendämmerung der Menschheit belegen eindrucksvoll, welche Bedeutung Melodie und Rhythmus für Homo sapiens von Anfang an gehabt haben müssen. Die Musik stillt einen Bedarf, den die Natur niemals erfüllen kann.

Schlank, leicht geschwungen und so lang wie eine moderne Blockflöte. Das Musikinstrument, dass ein Mensch vor fast 40 000 Jahren aus einem zerbrechlichen Vogelknochen fertigte, war sicher nicht das erste seiner Art. Und der Musiker, der sein Lied in der Steinzeithöhle „Hohle Fels“ auf der Schwäbischen Alb erklingen ließ, spielte vielleicht bereits die Weisen seiner Urahnen.

Die Musikinstrumente aus der Morgendämmerung der Menschheit belegen eindrucksvoll, welche Bedeutung Melodie und Rhythmus für Homo sapiens von Anfang an gehabt haben müssen. Musik hat den zivilisatorischen Aufstieg des Menschen begleitet und mitgeformt. Unser Appetit auf angenehme Klänge ist unstillbar, ein Leben ohne Musik für die meisten undenkbar.

Bereits Charles Darwin machte sich Gedanken über die Macht der Musik. Der Begründer der Evolutionstheorie spekulierte, dass Musik einem potenziellen Partner imponieren soll. Der menschliche Minnesänger reiht sich somit neben Singvögeln, Walen und Gibbons in die Riege der Lebewesen ein, die Gesang zur Liebeswerbung einsetzen. Das Lied des Troubadours ist ein akustischer Pfauenschwanz.

Zu den modernen Vertretern dieser Theorie gehört der Evolutionsbiologe Geoffrey Miller von der Universität von New Mexico. Musik, sagt Miller, ist eine menschliche Universalie, die Grundsätze von Rhythmus, Tonalität und Melodie würden kulturübergreifend gelten. Es koste Zeit und Energie, Musik zu produzieren, und zumindest ein Teil unseres Talentes sei uns in die Wiege gelegt, also genetisch gesteuert.

All diese Indizien sprechen aus Millers Sicht dafür, dass Musik eine Funktion entweder für das Überleben oder die Vermehrung hat. Miller tippt auf Letzteres. Jazzmusiker sind als junge Erwachsene musikalisch am produktivsten, hat Miller herausgefunden. Auch Anekdoten über sexuell aktive Musiker gibt es zuhauf. Miller zitiert gern das Beispiel des Gitarristen Jimi Hendrix, der sich in seinem kurzen Leben mit Hunderten von Groupies vergnügte.

Rhythmische Eleganz als Tänzer und das perfekte Singen einer Melodie sind für Miller untrügerische Zeichen genetischer Fitness. Beim Tanzen und Musizieren können Menschen ihre Koordinationsfähigkeit und Körperbeherrschung demonstrieren. Mehr noch: Die Musik lässt Raum für Improvisation und damit für individuelle Kreativität. Sie ist eine perfekte Bühne, um geistige und körperliche Beweglichkeit zu zeigen.

Eine andere Theorie besagt, dass Musik Menschen zusammenführt und als eine Art sozialer Klebstoff fungiert. Es könnte sein, dass sich Musik aus dem gemeinschaftlichen Lausen einer Affenhorde entwickelt hat, nimmt Robin Dunbar von der Universität Oxford an.

Das Lausen dient vor allem dazu, das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe zu stärken. Aber weil menschliche Gruppen zu groß wurden, stieg man vom gegenseitigen Kraulen auf das Singen um. Aus dem wortlosen Gesang habe sich dann möglicherweise die Sprache entwickelt.

Eine umgekehrte Hypothese geht davon aus, dass Musik ein zwar nettes, aber nutzloses Abfallprodukt der Sprache ist. Vergleichbar den Zwickeln in gotischen Kathedralen, die architektonisch ohne Funktion, aber schön ausgemalt waren.

Ein Anhänger dieser Auffassung ist der Psychologe Steven Pinker von der Harvard-Universität. Für ihn ist Musik „akustischer Käsekuchen“. Unser Gehirn ist darauf trainiert, Geräusche und Töne in Bedeutung zu übersetzen. Es berauscht sich an der Überfülle von Tönen, Melodien und Rhythmen, die uns die Musik anbietet. Genauso, wie Käsekuchen Zucker und Fett im Übermaß enthält. Die Musik stillt also einen Bedarf, den die Natur niemals erfüllen kann. Und das seit 40 000 Jahren.

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