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Gesundheit: Mythen der Medizin

Nutzen wir wirklich nur zehn Prozent unseres Gehirns? Sind acht Glas Wasser am Tag gesund? Forscher haben populäre Ansichten zur Gesundheit überprüft.

Lies nicht bei schlechtem Licht! Du musst mehr trinken! Vorsicht mit dem Mobiltelefon im Krankenhaus! Haben Sie auch im Hinterkopf diese Stimme, die Ihnen sagt, was Sie zu tun und zu lassen haben, um Leib und Seele Gutes zu tun? Nicht immer sind die Ratschläge, die unser Unbewusstes uns erteilt, richtig. Oft beruhen sie nur auf Mythen, selbst wenn Ärzte oder anderes medizinisches Fachpersonal sie uns mit der Kraft ihrer Autorität verkünden.

Die Probe aufs Exempel haben jetzt zwei amerikanische Wissenschaftler aus Indianapolis gemacht, die sieben populäre Behauptungen aus der Medizin auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersuchten, indem sie die medizinische Datenbank Medline und die Internetsuchmaschine Google nach Informationen durchforsteten. Ergebnis der Recherche von Rachel Vreeman von der Universität Indiana und von Aaron Carroll vom Regenstrief- Institut: Alle Behauptungen erwiesen sich als unwahr oder konnten nicht belegt werden. Das berichten die Forscher im Fachblatt „British Medical Journal“.

Mythos eins: „Trinke acht Glas Wasser am Tag – mindestens“

Wasser trinken ist zu einer kleinen Religion geworden. Überall auf der Welt sieht man die Menschen unterwegs an kleinen Plastikwasserflaschen nippen. Dahinter steckt möglicherweise mehr als Erfrischung. Viele Wassertrinker haben vielleicht auch Angst auszutrocknen. Eine der Quellen dieser Furcht könnte eine Empfehlung amerikanischer Ernährungsexperten aus dem Jahr 1945 sein, meinen Vreeman und Carroll. Damals hatte es geheißen, dass man 2,5 Liter Wasser am Tag zu sich nehmen sollte.

Dieser Rat wurde ungemein populär, vergessen wurde jedoch der Nachsatz: Der größte Teil der Flüssigkeit ist in der normalen Nahrung enthalten. Wir nehmen also über das Essen bereits Wasser auf, der restliche Bedarf wird durch Saft, Milch und sogar koffeinhaltige Getränke im Normalfall gedeckt. Es muss also gar nicht Wasser sein. Zudem kann es sogar schädlich sein, zu viel davon zu trinken, meinen die Forscher.

Mythos zwei: „Wir nutzen nur zehn Prozent unseres Gehirns“

Dieser Irrtum hat sich über mehr als 100 Jahre hartnäckig gehalten. Manche Menschen führen die Behauptung auf Albert Einstein zurück, aber dafür gibt es keine Belege. Auch die Scientology-Organisation wirbt für Kurse mit der Zehn-Prozent-Behauptung und einem Foto Einsteins.

Die moderne Hirnforschung kann belegen, dass mitnichten 90 Prozent unseres Gehirns brachliegen. Kein Teil des Gehirns ist stillgelegt oder nicht aktiv, jeder erfüllt spezielle Aufgaben. Das weiß man nicht zuletzt von Menschen mit Hirnverletzungen. Denn wenn ein Teil des Gehirns zerstört wird, hat das stets ausgeprägte, typische und oft dauerhafte Folgen.

Mythos drei: „Haare und Nägel wachsen nach dem Tod weiter“

Damit Haare und Nägel wachsen können, bedarf es komplizierter Stoffwechselvorgänge. Nach dem Tod sind diese nicht mehr vorhanden, selbst wenn Hautzellen noch einige Stunden überleben können. Der Eindruck, dass Haare und Nägel bei Toten noch gewachsen sind, beruht auf einer Täuschung. Denn die Haut trocknet aus und zieht sich ein wenig zurück. So kann der Eindruck entstehen, dass die Haare und Nägel noch gewachsen sind – in Wirklichkeit eine optische Täuschung.

Mythos vier: „Häufiges Rasieren lässt die Haare schneller wachsen, dunkler und stärker werden“

Dieser Irrtum ist schon seit einer Studie aus dem Jahre 1928 wissenschaftlich widerlegt. Rasieren hat keinen Einfluss auf das Wachstum oder die Dicke des Haares. Beim Rasieren werden nur die toten, äußeren Anteile des Haares abgeschnitten. Blickt man dann auf das frisch rasierte Haar, wirkt es oft dicker und dunkler, weil es noch nicht ausgebleicht ist und noch keine fein zulaufende Spitze hat.

Mythos fünf: „Lesen bei schummrigem Licht verdirbt die Augen“

Wer bei schwachem Licht liest, strengt die Augen an. Bei Dämmerlicht ist es schwieriger, scharf zu sehen. Und weil man weniger zwinkert, trocknet die Hornhaut auch leichter aus. Das reizt das Auge zusätzlich. Aber diese Effekte sind nur vorübergehend und geben sich von selbst wieder. Die vorherrschende Expertenmeinung ist heute, dass Lesen bei schlechtem Licht den Augen nicht dauerhaft schadet. Ob es komfortabel ist, ist allerdings eine andere Frage.

Mythos sechs: „Truthahn essen macht müde“

Ein vor allem in Amerika verbreiteter Irrglaube, wo das Truthahnessen zum Erntedankfest nationale Tradition ist. Er geht zurück auf die Tatsache, dass Truthahn – wie anderes Geflügel – Tryptophan enthält, eine unter Umständen schläfrig machende Aminosäure. Allerdings enthalten zum Beispiel Schweinefleisch oder Käse mehr Tryptophan.

Vermutlich sind es andere Gründe, warum ein opulentes Truthahnessen dösig macht: Das Blut strömt in den Verdauungstrakt, damit sinkt die Durchblutung und der Sauerstoffgehalt im Gehirn. Ein an Proteinen oder Kohlenhydraten reiches Essen kann ebenfalls müde machen. Schließlich soll auch noch hier und da Wein eine Rolle spielen.


Mythos sieben: „Mobiltelefone im Krankenhaus sind gefährlich“

Wer kennt sie nicht, die Mobiltelefon- Verbotsschilder an der Kliniktür? Die Belege für eine Gefährdung medizinischer Apparaturen durch elektromagnetische Wechselwirkungen mit dem Handy sind jedoch sehr dürftig. Sie gehen meist auf Anekdoten zurück. Systematische Untersuchungen fanden ein allenfalls geringes Risiko von Wechselwirkungen, und das auch nur auf eine Entfernung von weniger als einem Meter.

Neue technische Entwicklungen dürften die Gefahr weiter verringert haben, meinen die Wissenschaftler. So ergab eine 2007 veröffentliche Untersuchung, dass der normale Gebrauch von Mobiltelefonen in Behandlungsräumen keine Zwischenfälle verursachte. Genau genommen ist sogar das Gegenteil der Fall: Eine große Umfrage unter Narkoseärzten zeigte, dass die Benutzung von Handys die Gefahr von medizinischen Irrtümern oder Verletzungen verringerte, weil man schneller kommunizieren konnte.

Allerdings hat der Handymythos für Krankenhäuser handfeste finanzielle Vorteile. Auf diese Weise bleiben die Patienten darauf angewiesen, in der Klinik ein Festnetztelefon zu mieten.

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