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Nanoröhren: Winzlinge unter Verdacht

Nanoröhren haben faszinierende Eigenschaften. Dabei könnten sie so gefährlich wie Asbestfasern sein.

Nanoteilchen sind nur millionstel Millimeter groß, doch sie haben faszinierende Eigenschaften. Leicht wie Plastik, können sie doch fest sein wie Stahl. So wird die Nanowissenschaft oft als Schlüsseltechnologie gesehen. Die Hoffnung ist aber verbunden mit der Sorge, die kleinen Teilchen könnten die Gesundheit gefährden. Denn die winzigen Dimensionen erleichtern es, in den Körper zu gelangen und in Lunge, Blutgefäßen oder gar im Gehirn Unheil anzurichten. Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Studie, die Autoren um Ken Donaldson (Universität Edinburgh) im Fachmagazin „Nature Nanotechnology“ online veröffentlicht haben.

Die britisch-amerikanische Forschergruppe interessierte sich für die Wirkungen von Nanoröhrchen aus Kohlenstoff. Diese erst 1991 entdeckten dünnwandigen Gebilde gelten als besonders interessant. „Sie können sich wie das Metall Kupfer verhalten oder wie der Halbleiter Silizium wirken“, erklärt Nanoexpertin Stephanie Reich (Freie Universität Berlin). Die extrem stabilen Röhrchen könnten zur Beschichtung von Oberflächen, Festplatten etwa, oder zur Herstellung von Klebstoffen und Wärmeleitpasten dienen. Da sie leicht und zugleich robust sind, werden sie Verbundmaterialien zugesetzt, aus denen etwa Tennis- oder Golfschläger hergestellt werden.

Die lang gestreckten Nanoröhrchen erinnern mit ihrer faserähnlichen Gestalt an Asbestpartikel. So wollten Donaldson und seine Kollegen von der Universität Manchester und vom Woodrow Wilson Center in Washington wissen, ob die Nanoteilchen ähnlich gefährlich sein könnten wie Asbestfasern. Werden Letztere eingeatmet, können sie sich in der Lunge oder im Brustfell festhaken. Nach Jahrzehnten kann sich daraus Krebs entwickeln. Vor allem Menschen, die mit asbesthaltigem Material arbeiten mussten, waren von Lungen- oder Brustfellkrebs betroffen. Die Asbestose ist als Berufskrankheit anerkannt.

Die Wirkung der Nanoröhrchen untersuchten die Forscher an Mäusen. Um das Eindringen über die Atemwege zu simulieren, injizierten sie den Nagetieren unterschiedliche Proben in die Bauchhöhle: einmal kurze Nanoröhrchen, etwa fünf Mikrometer (tausendstel Millimeter) lang, dann 20 Mikrometer lange Nanoröhrchen, zudem kurze und lange Asbestfasern sowie klumpenförmigen Kohlenstoff. „Das Ergebnis ist eindeutig“, sagt Donaldson. „Lange, dünne Nanoröhrchen zeigen dieselben Effekte wie dünne Asbestfasern.“

Es kam zu Entzündungen am Mesothelium, dem Gewebe, das die Lungen und andere Körperorgane umhüllt. Zudem entstanden kleine Knötchen, Granulome, die zu Tumoren führen können. Bei kurzen Fasern traten dagegen nur bei einer Maus Entzündungen auf.

Wie Donaldson betonte, wurde kein Fall von Krebs nachgewiesen. Um die Risiken ganz abschätzen zu können, müssten noch weitere Details geklärt werden. „Wir wissen nicht, ob die Nanofasern überhaupt in die Luft gelangen und eingeatmet werden“, sagte der britische Forscher. Zudem sei unklar, ob die Fasern sich von der Lunge in das Außengewebe durcharbeiten könnten. Geschähe das allerdings, dann könnten die Betroffenen Tumoren entwickeln – vielleicht erst Jahrzehnte später. Donaldson appellierte an die Regierung, die Gefahr ernst zu nehmen und die Menschen vor der Exposition mit Nanopartikeln zu schützen.

„Diese Ergebnisse decken sich etwa mit den Fakten, die wir über die Risiken der Nanopartikel kennen“, sagt Volkmar Richter. Der Physiker vom Fraunhofer-Institut (FHI) für Keramische Technologien und Systeme in Dresden koordiniert das Projekt „INOS“, das die Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterial bewerten soll. Das Bundesforschungsministerium fördert dieses Projekt und andere Vorhaben wie „NanoCare“ oder „Tracer“, in denen sich Forschungsinstitute, Universitäten und Unternehmen darum bemühen, mögliche Risiken der Nanotechnologie zu entdecken.

Als wichtiges Ergebnis der Studien nennt Richter beispielsweise, dass Partikel mit bis zu 100 Nanometern Größe schnell in alle bisher untersuchten Zelltypen eingedrungen sind. Dort können sie sich auflösen, verändern oder chemisch reagieren. Nanopartikel seien aber nicht von vornherein giftig, sagt der Experte. Langzeiteffekte würden derzeit untersucht. „Auch bei unseren Versuchen haben sich genau die Nanoröhren als riskant herausgestellt, die spitz und starr sind“, sagt Richter. Unklar sei aber, ob die Teilchen unter realen Bedingungen überhaupt in die Lunge gelangen könnten. Sollten sich die Ergebnisse der aktuellen Studie bestätigen, plädiert er dafür, auf weniger riskante Kohlenstoff-Nanoröhrchen auszuweichen. Zumindest müsse sichergestellt sein, dass die Fasern während der gesamten Lebensdauer des Materials, also bei Herstellung, Verarbeitung, Gebrauch und Entsorgung, nicht freigesetzt würden.

Konkret bedeutet dies, dass an dem Material nicht gebohrt oder gesägt werden solle. Im „krassesten Fall“ müsse man auf Produkte, die Kohlenstoff-Nanoröhrchen enthalten, verzichten. Diesen Ernstfall belege die aktuelle Studie aber noch nicht. Zudem sei bereits gründliche Vorsorge zur Minimierung des Risikos getroffen, sagt Richter. Entsprechende Produkte in der Mikroelektronik würden in Reinsträumen gefertigt, versiegelt und dann fest eingebaut. Für die Entsorgung seien eventuell weitere Regeln erforderlich.

Paul Janositz

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