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Naturkundemuseum

© Thilo Rückeis

Naturkundemuseum: Auferstehen aus Ruinen

Virtuelle Ozeane neben Dinosauriern: Wie das Berliner Naturkundemuseum seine Zukunft plant.

Es gibt einen Ort in Berlin, wo man jederzeit heile Familien, Schulklassen und neugierige Mädchen und Jungen aus den Kindergärten treffen kann: das Naturkundemuseum in der Invalidenstraße. Eines fernen Tages könnten Familien dort einen virtuellen Ozean besichtigen. Wenn Visionen Wirklichkeit werden.

Auf Stegen entlang der einen Innenhof umschließenden Gebäude könnten die Besucher von den Küsten und Inseln über die Korallenriffe immer tiefer hinabsteigen, bis sie auf dem Grund das Meeresleben vor 250 Millionen Jahren entdecken. Viele Schaustücke für solch einen virtuellen Ozean besitzt das Naturkundemuseum schon heute: eine Skelettsammlung von Walen, eine reichhaltige Korallen- und Fischsammlung – einen ersten Vorgeschmack darauf bietet die Ausstellung zum Internationalen Jahr des Riffs, die nächste Woche eröffnet wird.

Dem Generaldirektor des Naturkundemuseums, Reinhold Leinfelder, schwebt die Vision des virtuellen Ozeans vor, schließlich ist er selbst Korallenforscher. Darf ein Museumsdirektor träumen? Zumal dann, wenn er an ein Weltmuseum berufen worden ist, das seit den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erst von der DDR und danach vom Land Berlin und der Bundesregierung jahrelang sträflich vernachlässigt wurde?

Ja, der Generaldirektor des Naturkundemuseums darf träumen, weil sich seit der Neugestaltung der Ausstellungsräume atmosphärisch schon sehr viel verändert hat. Die Ausstellung mit den gewaltigen Dinosaurierskeletten und glitzernden Mineralien hat von Juli bis Dezember vergangenen Jahres knapp 400.000 Besucher angezogen. Im laufenden Jahr rechnet das Museum mit bis zu 600.000 Interessierten. Mit allen Lichteffekten sind die Skelette der Saurier ins Blickfeld gerückt worden. Die trübe Lichtspende aus dem Glasdach von früher ist Vergangenheit. Die Besucher können Zeitreisen in der Evolutionsgeschichte unternehmen: von der Kontinentalverschiebung bis in die Tierwelt der Gegenwart.

Heute führt Generaldirektor Leinfelder prominente Sponsoren durch das Naturkundemuseum, ohne dass die potenziellen Spender die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie die heruntergekommenen Säle in den Seitenflügeln besichtigen. Und gewahr werden, dass Deckenteile herabgefallen sind, Feuchtigkeitsflecken an den Wänden wuchern und zur Erhaltung der Bestände noch nicht einmal klimatische Bedingungen gewährleistet werden können, die in einem Weltmuseum vorauszusetzen sind. Die Sponsoren konnten bis vor kurzem nur aufstöhnen, dass solch eine Totalsanierung für sie zu teuer würde.

Jetzt, da ein Anfang gemacht worden ist und die ersten Visionen von Leinfelder zu sehen sind, melden sich Sponsoren, um dem Naturkundemuseum zu helfen. Zu diesem Silberstreifen am Horizont trägt auch die Tatsache bei, dass das Naturkundemuseum endlich in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen worden ist und damit eine verlässliche Finanzperspektive zumindest bis zum Jahr 2015 erhalten hat. Diese Finanzperspektive reicht bisher nur zu dem unbedingt Nötigen, nicht jedoch für Visionen. Wann die historisierende Renaissance-Fassade des Baus renoviert werden kann, steht noch in den Sternen.

Was muss geschehen, wenn man von dem Himmel der Visionen auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeworfen wird? Wenn Wissenschaftler im Berliner Naturkundemuseum eine internationale Tagung abhalten wollten, scheitert das schon an den räumlichen Voraussetzungen. Es gibt überhaupt nur einen funktionierenden Hörsaal mit 100 Plätzen, der noch nicht einmal abgedunkelt werden kann. Einige kleine Seminarräume strahlen den Charme der 1950er Jahre aus, genügen aber nicht den Hightech-Anforderungen der Gegenwart. Die Elektrizitätsleitungen sind so marode, dass durch Kurzschlüsse und dadurch entstehende Schwelbrände eine Katastrophe wie bei der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar ausgelöst werden könnte.

Dabei gehört das Naturkundemuseum zu den fünf bedeutendsten Einrichtungen seiner Art auf der Welt. Wissenschaftler, die sich mit der Evolution der Tierwelt beschäftigen, finden hier die Referenzsammlungen für die Artenbestimmung: Sie können die für DNA-Bestimmungen wichtigen Daten erhalten. Es gibt 9600 bisher bekannte Vogelarten auf der Welt. 95 Prozent werden im Berliner Naturkundemuseum aufbewahrt – insgesamt 250 000 Vögel.

Sie werden in Räumen aufbewahrt, in denen sich Teile der Decke gelöst haben. Die Sammlung von Fellen und Felltieren ist so unzureichend untergebracht, dass ein Schädlingsbefall nur schwer kontrolliert werden kann. Die Karbonsammlung ist immer noch unter einer nicht isolierten Holzdecke aus der unmittelbaren Nachkriegszeit untergebracht – mit Temperaturschwankungen zwischen minus zehn Grad im Winter bis zu plus 30 Grad an heißen Sommertagen. Wenn die Präparate in den Alkoholsammlungen zu starken Temperaturschwankungen ausgesetzt werden, platzen die Deckel bei Minusgraden ab. Allein 280 000 Gläser mit Fischen, Reptilien und Spinnen müssen dringend in Räumen mit einer modernen Klimaanlage untergebracht werden. Dafür ist der im Bau befindliche Ostflügel vorgesehen, der bisher aber noch nicht über eine Entkernung der Kriegsruine und die Sicherung der Restfassaden durch Stahlstützen hinausgekommen ist. Seit 2006 werkelt man an diesen geringen Baufortschritten.

Die Senatsverwaltung schätzt den Gesamtbedarf für die Sanierung des Museums auf 128 Millionen Euro. Davon sind bisher 59 Millionen Euro gesichert. 18 Millionen Euro wurden für die Neugestaltung der Ausstellungsräume verbraucht, 29,6 Millionen Euro sind für den Wiederaufbau des Ostflügels vorgesehen. Leinfelder hat sich als Datum für die Wiedereröffnung des Ostflügels das Jahr 2010 vorgenommen. Wenn das funktionieren soll, muss der Neubau bereits 2009 stehen, weil die restliche Zeit für den Umzug der Alkoholsammlung benötigt wird.

Denn die Alkoholsammlung mit den Tierpräparaten soll in Zukunft nicht mehr hinter verschlossenen Türen stehen, sondern teilweise für die Besucher zugänglich sein. Dieses Ziel hat sich Leinfelder auch für den zweiten großen Bauabschnitt vorgenommen, in dem die Vogelsammlung untergebracht wird. Dieser zweite Bauabschnitt wird mit Bundes- und Ländergeldern und erheblichen Berliner Beiträgen finanziert. Bis zum Jahr 2015 sind dafür 28,5 Millionen Euro veranschlagt worden. Die Finanzierung erscheint durch die Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft gesichert.

Mit der Aufnahme ist eine neue Rechtsstellung verbunden. Bisher ist das Naturkundemuseum Teil der Humboldt-Uni. Das war keine spannungsfreie Beziehung. Beim Neubau des Ostflügels hat es Verzögerungen gegeben, die auf diese Konstruktion zurückzuführen sein dürften. Für die Bund-Länder-Förderung im Rahmen der Leibniz-Gemeinschaft ist eine Selbstständigkeit des Museums unabdingbar. Künftig wird es eine öffentlich-rechtliche Stiftung, in deren Stiftungsrat der Berliner Wissenschaftssenator und die Bundesforschungsministerin vertreten sind. Auch der HU-Präsident ist Mitglied, weil die Professoren des Naturkundemuseums zugleich Professuren an der HU wahrnehmen.

Nach 2015 geht es um Visionen, weil den Plänen Leinfelders die finanzielle Basis fehlt. Leinfelder möchte nicht nur eine Grünanlage mit Café und visuellen Präsentationen vor dem Ostflügel des Naturkundemuseums schaffen. Er braucht auch zusätzliche Flächen für neue Labors, Hörsäle und Bücherbestände. Schließlich mehren sich Angebote zur Übernahme ganzer Sammlungen, die bisher nicht akzeptiert werden konnten. Die Technische Universität möchte eine Mineraliensammlung im Naturkundemuseum unterbringen, wofür kein Platz vorhanden ist. Langfristig wünscht sich Leinfelder einen Neubau hinter dem Westflügel des Naturkundemuseums. Die alleinige Überdachung von Innenhöfen, um neuen Raum zu gewinnen, dürfte nicht ausreichen. Öffentliche Gelder auch nicht. Bleibt die Hoffnung auf Sponsoren.

Uwe Schlicht

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