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Neurobiologie: Altern lässt die Vorstellungskraft verdorren

Das Nachlassen der Erinnerung in höherem Alter kann ebenso eine weniger lebendige Vorstellungskraft bedeuten.

Das Alter stiehlt uns nicht nur heimlich unsere teuersten Erinnerungen, es scheint ebenfalls unsere Fähigkeit zu schmälern, uns Dinge vorzustellen.

Die Entdeckungen, die in der Januarausgabe von Psychological Science (1) veröffentlicht werden, stützen die Hypothese, dass sich die Zukunft vorzustellen und die Vergangenheit zu erinnern auf denselben neuronalen Mechanismen beruhen.

"Eine Schlussfolgerung dieser Studie lautet, dass Vorstellen ziemlich eng mit Erinnern zusammenhängt, vielleicht mehr als wir bislang angenommen haben", sagt Dan Schacter von der Harvard University.

Während dieser Studie baten Schacter und sein Team Gruppen junger bzw. alter Teilnehmer mit einem Altersdurchschnitt von 25 bzw. 72 Jahren anhand von Stichworten entweder eine persönliche Begebenheit aus ihrer Vergangenheit nachzuerzählen oder sich eine persönliche Erfahrung in der Zukunft vorzustellen.

Details der Erzählungen der Teilnehmer wurden in "intern" und "extern" kategorisiert. Interne Erinnerungen ähneln Szenen aus einem Film: Sie beinhalten spezielle Dinge und finden in einem bestimmten Umfeld und zu einer bestimmten Zeit statt. Externe Erinnerungen bestehen eher aus generellen Fakten, wie zum Beispiel "der Himmel ist blau".

Wie erwartet beinhalteten die Nacherzählungen der Vergangenheit der älteren Teilnehmer weniger und weniger detaillierte interne Erinnerungen. Dasselbe galt für ihre Vorstellungen künftiger Ereignisse.

Stell dir vor

Ein junger Teilnehmer, der zum Beispiel gebeten wird sich eine persönliche Szene aufgrund des Schlüsselworts "Motor" vorzustellen, würde sich möglicherweise sich selbst in einem roten Cabrio auf dem California's Pacific Coast Highway an einem Wochenende im Sommer vorstellen. Er könnte Möwen beschreiben, die über seinem Kopf kreisen, den Wind, der in seinem Haar spielt, und den Geruch der salzigen Luft.

Im Gegensatz dazu war die Antwort eines älteren Teilnehmers auf dieses Schlüsselwort: "Ich fahre dahin, in einem Saab und … mach mir keine Gedanken über die Benzinkosten ..."

Dies lag nicht daran, dass die älteren Teilnehmer Schwierigkeiten mit dem Sprechen gehabt oder weniger gesprochen hätten, fanden die Wissenschaftler. Die älteren Menschen erzielten normale Ergebnisse in Sprachtests und sprachen ausführlich über nichtpersönliche externe Erinnerungen.

Brian Levine, Neurowissenschaftler an der University of Toronto, ist überzeugt, dass die Daten einen tatsächlichen Rückgang des Vorstellungsvermögens hinsichtlich zukünftiger persönlicher Begebenheiten belegen. "Ich denke, dass die angewendete Methode andere Erklärungen ausschließt", sagt Levine. Er fügt hinzu, dass die Ergebnisse zu anderen Studien über das Denken an die Zukunft passen. "Die viel interessantere Frage lautet: Warum?", sagt er.

Szenische Details

Die Wissenschaftler spekulieren, dass persönliche Erinnerungen besonders anfällig für Alterungsvorgänge sind, da sie auf der Fähigkeit beruhen, im Geiste einzelne Informationen aufzurufen und zusammenzufügen, zum Beispiel wann und wo ein Ereignis stattfand. Die Einzelheiten einer Szene zusammenzusetzen - real oder vorgestellt - wird mit dem Alter schwieriger.

Im Lauf der letzten Jahre hat die eingangs erwähnte Hypothese immer mehr Anhänger unter Neurowissenschaftlern gefunden. Eine faszinierende Möglichkeit, die sich aus dieser Hypothese ergibt, besteht darin, dass die vorrangige Rolle des menschlichen Erinnerungsvermögens nicht darin besteht, das Vergangene zu erinnern, sondern auf die Zukunft vorzubereiten.

"Sind Dinge in der Vergangenheit einmal abgeschlossen, gibt es nichts, was man daran noch tun kann", sagt Levine.

(1) Addis, D.R. , Wong, A.T. & Schacter, D.L. Psychological Science. in press (2008)

Dieser Artikel wurde erstmals am 4.1.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2008.408. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Ker Than

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