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Neurobiologie: Behandlung chronischer Schmerzen ohne Nebenwirkungen

Eine bekannte Klasse von Medikamenten kann für die bessere Schmerzbehandlung ins Auge gefasst werden.

Ein Medikament, das bei Mäusen gegen chronische Schmerzen ohne die üblichen mit Schmerzmitteln einhergehenden Nebenwirkungen wie Sedierung, Gewöhnung oder Suchtgefahr wirkt, wurde entdeckt.

Ob der Wirkstoff denselben Effekt bei Menschen hat, bleibt abzuwarten, Wissenschaftler äußern sich jedoch "vorsichtig optimistisch".

Der Wirkstoff gehört zu einer wohlbekannten Klasse von Medikamenten, Benzodiazepine genannt, die verbreitet Anwendung bei der Sedierung oder der Behandlung von Angstzuständen finden. Benzodiazepine wirken im Gehirn auf denselben Wegen, die an der Schmerzwahrnehmung beteiligt sind, haben sich bislang allerdings nicht als sehr wirkungsvoll in der Schmerzbekämpfung erwiesen. Ein Team unter der Leitung von Hanns Ulrich Zeilhofer an der Universität Zürich wollte wissen warum.

Als Erstes testeten sie Diazepam - gemeinhin bekannt unter dem Namen Valium -, das sie in das Rückenmark von Mäusen injizierten. Das Rückenmark ist einer der direkten Schmerzleitungswege des Körpers, und Schmerzsignale bereits dort zu blocken könnte helfen, Nebenwirkungen, wie sie entstehen, wenn das Medikament das Gehirn erreicht, zu vermeiden. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass Diazepam tatsächlich Schmerz bekämpfen kann - Mäuse, die entweder eine schmerzhafte Injektion bekamen oder denen ein Nerv eingeklemmt wurde, um einen chronischen Schmerzreiz zu simulieren, waren weniger gequält, wenn sie Rückenmarksinjektionen erhalten hatten.

Rezeptorwirkung

Forscher wissen, dass Valium mit dem Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Rückenmark interagiert und dass verschiedene Untergruppen des Botenstoffs existieren, die für die unterschiedlichen Effekte des Medikaments verantwortlich sein können. Um dies zu untersuchen, schaute sich das Team Mäuse an, die vier verschiedene Mutationen trugen, so dass jeweils ein GABA-Rezeptor inaktiv war.

Sie fanden heraus, dass die Untergruppen α2 und α3 vorhanden sein mussten, damit Valium seine schmerzstillende Wirkung entfalten konnte. Dankenswerterweise ist es eine andere Untergruppe - α1 -, die Schläfrigkeit verursacht, wenn das Medikament das Gehirn erreicht. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in Nature (1).

"Wir haben gezeigt, welche Rezeptoren gezielt angegangen werden müssen", sagt Zeilhofer. Die Möglichkeit, das Ziel der Schmerzmedikamente derart benennen zu können, ist das Interessanteste an dieser Arbeit, sagt Clifford Woolf, Anästhesiologe am Massachusetts General Hospital in Charlestown.

Medikamentenentwicklung

Wäre es praktikabel, Menschen Medikamente über das Rückenmark zuzuführen, könnte das Team einfach Benzodiazepine zur Schmerzlinderung ohne Nebenwirkungen verwenden. Dafür ist jedoch ein Katheter notwendig und das ist für die meisten Patienten ungeeignet.

Das Team testete daher die Effekte eines Benzodiazepins, von dem bekannt ist, dass es nicht mit den α1-GABA-Rezeptoren interagiert: ein Wirkstoff mit der einprägsamen Bezeichnung L-838,417. Sie verabreichten Ratten den Wirkstoff oral und tatsächlich wirkte er gegen den Schmerz, ohne sie zu sedieren wie andere Schmerzmittel. Mehr noch: Er verlor seine Wirkung nicht, als die Behandlung über einige Tage fortgesetzt wurde. Gewöhnung stellt bei Medikamenten wie Morphium gemeinhin ein Problem dar.

Darüber hinaus beobachteten sie das Gehirn der Ratten mittels Magnetresonanztomographie, um zu sehen, welche Effekte L-838,417 auf die schmerzverarbeitenden Bereiche des Gehirns hat. Wie erwartet reduzierte das Medikament die Aktivität in Hirnregionen, die mit Schmerz assoziiert sind, ebenso wie in Regionen, die mit emotionalen Belastungen, die mit Schmerz einhergehen, assoziiert sind.

Der nächste Schritt besteht darin, Medikamente zu finden, die auf dieselbe Weise bei Menschen wirken. Benzodiazepine, die nicht mit a1 interagieren, sind bereits für die Behandlung von Angstzuständen entwickelt worden, ohne dass sie mit Müdigkeit einhergehen. α2 und α3 könnten bei Menschen jedoch anders sein als bei Ratten.

Woolf steht diesen Ergebnissen "vorsichtig optimistisch" gegenüber. "Es ist immer ein langer Weg von vorklinischen Studien zum Machbarkeitsnachweis bei Patienten", sagt er.

(1) Knabl, J. et al. Nature 451, 330-334 (2007)

Dieser Artikel wurde erstmals am 16.1.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2008.443. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Kerri Smith

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