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Medizin-Nobelpreis

© - Foto: dpa

Nobelpreis: Einst Straßenkind, jetzt Wissenschaftsstar

Mario Capecchi hat einen langen Weg bis zum Nobelpreis für Medizin hinter sich.

Als Mario Capecchi, der diesjährige Gewinner des Medizinnobelpreises, viereinhalb Jahre alt war, war er ein Straßenkind, das sich bettelnd und stehlend durch das Italien von 1942 schlug. Der Zweite Weltkrieg tobte, die Mutter war von der Gestapo verhaftet und als politische Gefangene ins Konzentrationslager Dachau verschleppt worden. „Ich begab mich in Richtung Süden, lebte manchmal in den Straßen, manchmal schloss ich mich den Gangs anderer Straßenkinder an.“ Oft gab es nicht mehr als eine Tasse Kaffee und ein winziges Stück Brot am Tag.

So ging das vier Jahre lang – und dann, als der Krieg zu Ende war und Europa in Schutt und Asche lag, fand ihn seine Mutter, nach einem Jahr des Suchens, wieder. Das war an seinem neunten Geburtstag.

Wenige Wochen später kehrten die beiden Europa den Rücken zu und gingen zurück nach Amerika, wo die Familie ursprünglich hergekommen war.

Es war Capecchis Großmutter gewesen, die von den USA nach Italien gesegelt war, um in Florenz ihr Glück als impressionistische Malerin zu versuchen. Sie wurde tatsächlich eine, ihre Gemälde schmücken heute Capecchis abgelegenes Haus in den Rocky Mountains, einige Kilometer von der Mormonenmetropole Salt Lake City entfernt. An der dortigen University of Utah forscht und lehrt Capecchi heute als Genetikprofessor – erstaunlich für einen, der von sich selbst behauptet, nie einen Biologiekurs an der Uni besucht zu haben.

Stattdessen trieb er sich in den Labors herum. In den 1960er Jahren ging er nach Harvard und traf dort auf den absoluten Star der Molekularbiologie: James Watson, Ko-Entdecker der DNS-Doppelhelix und selbst Nobelpreisträger. „In Jims Labor zu arbeiten war fantastisch. Er hat mir beigebracht, sich nicht mit kleinen Fragen abzugeben, weil die meist auch nur kleine Antworten liefern.“

In den 1970er Jahren wechselte er zur University of Utah. Er war inzwischen Ende 30, Anfang 40, und nun machte er nach und nach die Entdeckungen, für die er jetzt den Nobelpreis bekommt: Er entwickelte ein Verfahren, mit dem sich Gene einzeln ausschalten lassen.

Bis dahin jedoch sollte er noch so manchen Kampf durchstehen müssen, nicht umsonst lautet eins von Capecchis Lieblingswörtern „Durchhaltevermögen“. So meinten noch im Jahr 1980 die Gutachter der Nationalen Gesundheitsinstitute der USA, seine Forschung sei „nicht förderungswürdig“.

Capecchi jedoch ließ sich nicht von seinen Ideen abbringen, und vier Jahre später bekam er das Forschungsgeld – und eine Entschuldigung obendrauf: „Wir sind froh, dass Sie unserem Rat nicht gefolgt sind.“

Manchmal denkt Capecchi, der vergangenen Sonnabend seinen 70. Geburtstag feierte, an seine Kindheit in Italien zurück. Wie sie ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist. In seinen ersten Jahren, so hat er einmal gesagt, habe er wohl „die Antithese einer stimulierenden Umwelt erlebt, von der wir alle tief drinnen gerne glauben möchten, sie sei die entscheidende Voraussetzung, um einen kreativen Menschen hervorzubringen“. Und dann fragt er sich, ob es nicht gerade diese harten Jahre in Italien waren, die ihm die Beharrlichkeit gaben, die er später so gut gebrauchen konnte. Bis heute, bis hin zum Nobelpreis.

Capecchi teilt sich die Auszeichnung mit seinen Kollegen Oliver Smithies und Martin Evans.

Smithies wurde 1925 in Großbritannien geboren und wusste schon mit „sechs oder sieben Jahren, dass ich Erfinder werden wollte“. Und er wurde einer: In den 1950er Jahren erfand er die Gelelektrophorese – eine Methode, mit der sich Moleküle trennen lassen. Später nutzte er die Technik des Genausschaltens zur Erforschung von Krankheiten. Smithies ist Pathologe an der University of North Carolina in Chapel Hill und steht mit 82 immer noch (fast) täglich im Labor. „Ich bin nie erwachsen geworden“, sagt er.

Martin Evans, der Dritte im Bunde, wurde 1941 ebenfalls in Großbritannien geboren. Der 66-Jährige ist Gen- und Stammzellforscher an der Cardiff University in Wales. 1981 gelang ihm die Herstellung embryonaler Stammzellen von Mäusen. 2004 schlug ihn die Königin Elizabeth II. zum Ritter. bas

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