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Wortgewaltig. Die wahre Stärke der USA entspringe „der Macht unserer Ideale“, erklärte Barack Obama nach seinem Wahlsieg am 4. November 2008. Sein Umgang mit Sprache habe internationale politische Prämissen verändert, schreibt Susan Neiman.

© AFP

Rechts-Links-Debatte: Obama wird zur Ikone der Linken

Die Philosophin Susan Neiman will den Begriff der Moral für die politische Linke zurückgewinnen – und beruft sich auf Barack Obama.

Es gibt zwei Begriffe, ohne die wir heute im politischen Diskurs nicht mehr auskommen, ohne die wir kaum noch definieren können, wo sich diese oder jene Ansicht im ideologischen Spektrum demokratischer Politik befindet: links oder rechts. Derart verwurzelt sind diese beiden Begriffe in unserem politischen Urteilsvermögen, dass wir Namen und Schlagworte spontan der einen oder anderen Seite zuordnen können. Gerhard Schröder, Tarifverträge, Ja zur Homo-Ehe, Taz? Links. Angela Merkel, freie Wirtschaft, Wahrung der traditionellen Kleinfamilie, Faz? Rechts. Die Unterscheidung in eine Linke und Rechte geht zurück auf das Pariser Parlament des vorrevolutionären Frankreich, in dem Klerus und Adel auf der rechten, Bürgerliche auf der linken Seite des Saales saßen.

Während die Grenze zwischen diesen beiden Polen in Deutschland zunehmend verwischt, teilt sie die Politik der USA heute schärfer als je zuvor. Namen und Themen sind dort immer noch fein säuberlich getrennt der einen oder anderen politischen Seite – Demokraten und Republikanern – zugehörig. Entsprechend hoch das Identifikationspotenzial mit der ein oder anderen Partei (siehe Tea-Party-Bewegung), entsprechend hitzig die Diskussion um ein Thema wie Obamas Gesundheitsreform, die uralte linke wie rechte Argumentationsmuster auf den Plan ruft.

Susan Neiman ist nicht die Erste, die sich mit der Problematik dieses hartnäckigen Links-Rechts-Paradigmas auseinandersetzt, aber sie tut es ausführlicher als die meisten. In ihrem jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buch „Moralische Klarheit. Leitfaden für erwachsene Idealisten“ schreibt die amerikanische Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums: „Zwei Jahrhunderte nach der Französischen Revolution scheint es witzlos, unseren politischen Diskurs auf der Sitzordnung der Ständeversammlung zu gründen.“ Und so geht es in ihrem fast 500 Seiten starken Buch auch um die Frage, was das eigentlich bedeutet: links und rechts.

Vor allem die Moral treibt sie um, denn während die dogmatische Rechte diesen Begriff für sich vereinnahmt hat und damit in den USA immer mehr Land gewinnt, hat die Linke sämtliches moralisches Vokabular kampflos aufgegeben und sich selbst damit in die Defensive begeben. Neiman ist nicht bereit, dieses begriffliche Defizit – eine „rhetorische Selbstverstümmelung“, wie sie schreibt – in Kauf zu nehmen. Die Rede von Gut und Böse, Heldentum und Ehre, Würde, Edelmut und Moral sei unverzichtbar im politischen Diskurs, aber eben spätestens seit 2001 fest in konservativer Hand und damit für die Linken kontaminiert. Neiman kritisiert den linksintellektuellen Gestus des moralischen anything goes: „Der Entschluss, niemandem die eigene moralische Weltsicht aufzuzwingen, mündet oft darin, überhaupt keine Urteile mehr zu fällen.“

Neimans Diagnose: „Aus Angst vor Missbrauch werden die stärksten Begriffe, die wir haben, gerade denjenigen überlassen, die sie am ehesten missbrauchen. Wer aber die Missstände einer Gesellschaft verändern möchte, steht ohne eine Sprache der Moral mit leeren Händen da.“ Entsprechend hohe Ziele hat sich die Philosophin mit ihrem Buch gesteckt. Neiman will sich die Sprache der Moral zurückholen und wieder nutzbar machen für einen aufklärerischen Werten verpflichteten politischen Diskurs. Wenn die Linke nicht noch mehr an politischer Gestaltungsmacht verlieren wolle, müsse sie wieder lernen, von Moral zu sprechen, ohne sie in postmodern-ironische Anführungszeichen zu setzen.

Neiman bringt den großen philosophischen Kanon in Anschlag. Sie liest die Bibel, Platon, Kant, Hobbes, Foucault und Co, sie erklärt und analysiert, stellt infrage und beobachtet scharf. Auf diesem nicht ganz leicht verdaulichen Lektüreweg zeichnen sich mehrere Kristallisationspunkte ab, um die Neiman kreist. Einer davon ist Barack Obama, dessen Wahl zum ersten schwarzen Präsident der Vereinigten Staaten den zeitgenössischen Fluchtpunkt bildet, auf den das Buch zuläuft.

„Barack Obamas Fähigkeit, moralische Bedürfnisse anzusprechen, war der Schlüssel zu seinem unwahrscheinlichen Erfolg im Jahr 2008“, diagnostiziert Neiman. Damit dient ihr Obama gewissermaßen als methodische Stütze, die eine neue Relevanz der Moral im politischen Diskurs beweisen soll. In seiner Wahlsiegansprache am 4. November 2008 sagte Obama: „Die wahre Stärke unserer Nation entspringt nicht der Macht unserer Waffen oder der Größe unseres Reichtums, sie entspringt der Macht unserer Ideale.“ Hier sei „kein Weichspüler am Werk“, sondern Obama sei der empirische Beweis, dass der Idealismus Wunder wirken kann. Neiman möchte dafür sensibilisieren, wie bedeutsam und performativ das Vokabular ist, das Politiker benutzen. Sprache präge unseren Glauben an das Mögliche, und „Obamas Umgang mit Sprache hat bereits wesentlich dazu beigetragen, an den internationalen politischen Prämissen zu rütteln“.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama mag bestes Beispiel dafür sein, dass Politikerworte eben nicht nur Schäume, sondern verwirklichbare Träume sind, deren Bewegkraft die Rechte unterschätzt und die Neiman für die Linke als unverzichtbares Potenzial neu sichtbar machen möchte.

Um ein zentrales Paradigma linker Politik kommt auch Neiman nicht herum. Einerseits sieht sie die Toleranz und buchstäbliche Gleich-Gültigkeit politischer und moralischer Gesinnungen als zentrales Problem der Linken, die sich damit eines einfachen politischen Instruments beraubt hätten: nämlich für eine Sache – zum Beispiel Demokratie – kategorisch und ausnahmslos einzutreten. Andererseits kann auch Neiman nicht umhin, sich widersprechende Werte und Vorstellungen für gleich gültig zu erklären, nämlich wenn sie sich mit dem religiös motivierten Fundamentalismus und Terrorismus auseinandersetzt.

Sie argumentiert, dass der Terrorismus in demselben Impuls wurzele, „der immer schon den Wunsch nach Heroismus beflügelt hat: in dem Wunsch nach Transzendenz oder der Weigerung, in den Banden einer Welt zu verharren, in der alles verhandelbar ist.“ Dieser Gedanke ist radikal, denn er führt die Motivation des Terrorismus nicht auf eine religiöse Gesinnung, sondern auf eine anthropologische Grundkonstante zurück: die Sehnsucht, „die Sorte Freiheit zu erfahren, die uns wie nichts anderes das Gefühl gibt, lebendig zu sein. Was wie Todessehnsucht aussieht, ist weniger das krude Verlangen, in eine andere Welt einzugehen, als der Wunsch, die Fesseln dieser Welt zu sprengen.“ Mit anderen Worten: der Wunsch, idealistisch sein zu dürfen. Linke Politik war schon immer die kompliziertere und anstrengendere, denn sie muss damit leben, dass es Werte, aber keine Wahrheit gibt und die Würde auch eines Selbstmordattentäters unverhandelbar bleibt. Unter diesen Prämissen lässt sich in ein Land nicht mit Waffen einmarschieren, um ihm Demokratie zu bringen.

Neimans Buch ist weniger ein praktikabler philosophischer Leitfaden, wie der Untertitel suggeriert. Es ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem langen philosophischen Rattenschwanz, der sich hinter unserer Grobeinteilung politischer Möglichkeiten in links und rechts verbirgt. Vor allem aber ist dieses Buch ein Debatteneinwurf, der sich komplexe, komplizierte Politik zu denken traut. Der Ausdruck „Moralische Klarheit“ (moral clarity) ist in den USA mit George W. Bush konnotiert, der ihn wiederholt benutzte. Nun steht er auf dem Buchcover einer Linksintellektuellen. „Momente moralischer Klarheit sind selten, sie sind kostbar, und es gibt für sie keine Garantie“, schreibt Neiman. Zu hoffen wäre, dass sie ins politische Alltagsgeschäft einsickern.

Susan Neiman: Moralische Klarheit. Leitfaden für erwachsene Idealisten. Hamburger Edition 2010. 496 Seiten, 32 Euro

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