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Blick in den OP: Einem Toten werden Spenderorgane entnommen.

© Imago

Organspende: Das Vertrauen ist erschüttert

Der Skandal um manipulierte Wartelisten wirkt noch immer nach. Jetzt wurde der Mann freigesprochen, der ihn auslöste. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Übertriebener Ehrgeiz, Geltungssucht, Machtstreben, Gier nach Bonuszahlungen – das waren die Motive, die den Göttinger Leberchirurgen Aiman O. antrieben. Das behauptete jedenfalls die Staatsanwaltschaft, die acht Jahre Haft und lebenslanges Berufsverbot für den Mediziner forderte. O. hatte Wartelisten manipuliert, um seinen Patienten rascher ein Organ zu verschaffen. Trotzdem wurde er nun vom Göttinger Landgericht freigesprochen. Zwar seien seine Verstöße moralisch zu missbilligen, aber zum Zeitpunkt der Tat nicht strafbar gewesen, befand das Gericht. Der Antrag der Staatsanwältin, die dem Angeklagten vorgeworfen hatte, „Gott zu spielen“, war kläglich gescheitert.

War es das mit dem 2012 ausgelösten Transplantationsskandal? War am Ende alles halb so schlimm, viel Lärm um ziemlich wenig? Für O. mag die Sache im Großen und Ganzen tatsächlich erledigt sein. Für die schwer kranken Patienten indes, die auf ein lebensrettendes Organ warten, ist sie es noch lange nicht.

Zwischen 2010 und 2013 ging die Zahl der Organspender in Deutschland um ein Drittel zurück, von 1296 auf 876. Zumindest ein Teil dieses Abwärtstrends ist auf den Skandal um O’s Machenschaften zurückzuführen. Er trägt eine moralische Mitschuld.

Von 1296 auf 876: Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine niederschmetternde Bilanz. Sie besagt, dass viele, womöglich Hunderte von Patienten starben (und sterben werden), weil Spender oder ihre Angehörigen das Vertrauen in die Transplantationsmedizin verloren haben. Das ist der verheerende Fallout des Skandals. Es wird noch Jahre dauern, bis er abgeklungen ist, der Trend sich umkehrt.

Politik und Ärzteschaft haben größtenteils umsichtig auf den Skandal reagiert. Das Transplantationsgesetz wurde verschärft, die Kontrollen ausgeweitet. Manipulationen der Warteliste, mit denen Patienten begünstigt werden sollen, sind nun strafbar. Ein Freispruch O’s wäre nach heutiger Rechtslage wohl nicht mehr drin.

Allerdings stellte sich aufgrund der umfassenden Kontrollen im Gefolge des Skandals heraus, dass Göttingen in Sachen Lebertransplantation kein Einzelfall war. Auch in den Zentren Leipzig, München (rechts der Isar) und Münster wurden rückblickend „schwerwiegende Richtlinienverstöße“ festgestellt, wie die Prüfungskommission in ihrem Bericht festhielt. Es wird ermittelt, in München ist mittlerweile Anklage gegen einen Transplantationschirurgen erhoben worden. Die neuen Regeln machen es nun schwieriger zu betrügen. Zudem sind die Konsequenzen schwerwiegender. Vielleicht noch wichtiger sind die „immateriellen“ Lehren des Skandals.

Seit jeher operiert die Transplantationsmedizin auf einem ethisch heiklen Terrain. Der Tod des einen ist das Leben des anderen, so lautet nun einmal ihr Grundgesetz. Das bedeutet, dass die Frage nach dem Tod eines Menschen von der Medizin eindeutig beantwortet werden muss.

Die andere schwierige Frage lautet, wem eines der knappen Spenderorgane zusteht. Sie wird sich niemals endgültig zufriedenstellend lösen lassen. Umso wichtiger ist, dass sich alle Beteiligten streng an die Regeln halten. Der Skandal hat gezeigt, dass die Öffentlichkeit hier keine Verstöße verzeiht. Selbst wenn es edlere Motive als die von Dr. O. geben mag.

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