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Orientalische Kunst: Wanderer zwischen zwei Welten

Künstler aus dem Orient sind längst international gefragt. Die Berlinische Galerie zeigt mit Mona Hatoum und Yehudit Sasportas zwei von ihnen.

Sie sind seit einigen Jahren nicht mehr wegzudenken aus dem internationalen Kunstzirkus zwischen Biennalen und Documentas: Künstler und Künstlerinnen aus dem Vorderen Orient, die längst international agieren und in New York, London oder Berlin leben. Die Iranerin Shirin Neshat zum Beispiel, mit ihren elegant schwarzweißen, vehement die Rollen von Mann und Frau in der iranischen Gesellschaft hinterfragenden Videofilmen und kalligrafisch bearbeiteten Fotografien. Ebenfalls aus dem Iran kommt Parastou Forouhar, die in ihren Installationen und Zeichnungen immer wieder provokant mit Kopftuch und Verschleierung arbeitet. Oder auch der Regisseur und Fotograf Abbas Kiarostami mit seinen elegischen Landschaftsbildern. Die Atlas Group, gegründet von Walid Raad, verarbeitet in ihren Installationen quasidokumentarisch die Kriegsfolgen im Libanon.

Sie alle waren auch schon in Berlin in Ausstellungen vertreten. Und auch die Berlinische Galerie, die gerade ihre große Herbstausstellung „Neue Heimat“ eröffnet hat, hat mit Mona Hatoum und Yehudit Sasportas zwei in Berlin lebende „Orientalinnen“ im Programm. Sie beide stellen wir exemplarisch vor. Tsp

MONA HATOUM

Nein, Zeit für ein Treffen hat sie an den drei Tagen, die sie zwischen einer Italien-Reise und einem New York-Trip in Berlin Station einlegt, wirklich nicht. Man mag sie am einen Abend zwar zufällig treffen mit Freunden und ihrem Galeristen im „Sale e Tabacchi“ im Anschluss an die Ausstellungseröffnung in der Berlinischen Galerie. Aber Zeit für ein Gespräch, die findet sie da erst recht nicht.

Mona Hatoum ist permanent unterwegs – im Leben wie in der Kunst. Ihrem Alltag ist diese Unstetigkeit eingeschrieben durch immer neue Einladungen zu Ausstellungsbeteiligungen und Biennaleauftritten in aller Welt. Berlin und das Atelier in Moabit bilden seit ihrem daad-Aufenthalt vor drei Jahren zwar einen Fixpunkt, aber spätestens nach zwei Wochen packt sie wieder die Reiselust, wie die Künstlerin eingesteht. Psychologen würden dies vermutlich als die Neuinszenierung einstiger Ängste deuten, hat die 1950 in Beirut geborene Bildhauerin einmal in einem Interview erklärt. Doch eigentlich sind ihr solche Interpretationen gar nicht recht – weder für ihr Leben noch für die Kunst. Trotzdem passiert es der seit ihrem 23. Lebensjahr im Exil lebenden Palästinenserin immer wieder, dass ihre Arbeiten gerade vor diesem Hintergrund gesehen werden. Zwingend notwendig ist dies nicht, denn Mona Hatoums Werke sprechen für alle Menschen gültige Seinszustände und Gefühle an, die mit dem Wissen um ihr persönliches Schicksal nur noch schicksalshafter erscheinen.

Wer einmal eine Arbeit der energischen Künstlerin mit dem widerspenstigen, lockigen Haar gesehen hat, der wird es nicht so schnell wieder vergessen. Zu den Schlüsselwerken der Documenta 10 vor fünf Jahren gehörte ihre Installation eines unter Starkstrom gesetzten Hausstands. Wohl selten hat man die unmittelbare Nähe von Alltag und tödlicher Bedrohung in der Kunst einander so nahe gesehen. Diese Doppelspur kehrt in vielen Arbeiten der früheren Performance-Künstlerin, die in London ihre Studium absolvierte, wieder. Da haben Rollstühle statt üblicher Handgriffe messerscharfe Klingen, und der Lattenrost von einem Kinderbettchen besteht aus Neonröhren, die bei der kleinsten Belastung zerspringen würden.

In ihrem Beitrag für die Ausstellung „Neue Heimat“ in der Berlinischen Galerie beschleicht den Betrachter diese Existenzangst auf samteneren Pfoten. Auch hier wird gewöhnlicher Hausrat in einen anderen Kontext versetzt: ein Tisch, ein Stuhl, ein Koffer, Spitzendeckchen und ein Plüschhase ziehen zwischen Absperrgittern, wie man sie vom Straßenverkehr kennt, an stählernen Drähten hin und her. „Mobile Home“ lautet der lakonische Titel, der schlagartig den Verlust von Heimat ins Bewusstsein holt.

Gerade darin besteht die besondere Qualität von Mona Hatoums Werk: dass es den Betrachter regelrecht physisch erfasst. „Ich komme aus einer Kultur, in der es diese ungeheure Trennung zwischen Körper und Geist nicht gibt,“ so die Künstlerin. In ihren Arbeiten kehrt diese Einheit zurück. Nicola Kuhn

YEHUDIT SASPORTAS

Nichts verbinden die Deutschen so sehr mit dem Begriff Heimat wie den Wald. Kindheitserlebnisse, Naturerlebnisse, Sehnsuchtsformel und Identitätsmoment: der „deutsche Wald“ ist seit den Romantikern ein fester Begriff. Auch die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas musste erst nach Deutschland kommen, um das Thema „Wald“ für sich zu entdecken: auf langen Wanderungen im Schwarzwald oder in den Alpen, wohin sie regelmäßig aus der Großstadt flieht.

Auch heute noch tauscht sie ihre Berliner Atelierwohnung immer wieder für Wochen mit der Hütte in der Natur, zeichnet und filmt direkt vor Ort. Um dann, im Atelier, aus den Erinnerungen ein höchst komplexes Bildprogramm zu schaffen, auf dem, ja, Bäume eine dominierende Rolle spielen, aber keineswegs als bloße Abbilder. Sasportas’ Bäume wachsen von oben nach unten, spiegeln sich in Sümpfen und Tümpeln, sind nur durch höhlenartige Löcher zu sehen, tragen Blätter verschiedener Baumsorten an einem Ast und oft stehen sie nur kahl und abgestorben im Raum.

Auf das Thema angesprochen, reagiert die Künstlerin amüsiert: „Die Deutschen fragen immer nach dem Wald.“ Vielleicht liegt es auch daran, dass in Deutschland von Yehudit Sasportas vor allem ihre großformatigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit Waldmotiven bekannt sind, wie sie auch jetzt wieder in der Berlinischen Galerie zu sehen sind. Die Künstlerin selbst sieht sich keineswegs als reine Zeichnerin, mindestens ebenso wichtig sind ihr die Installationen, die sich auch mit moderner Architektur und Städtebau auseinandersetzen.

Wie zum Beispiel im Israelischen Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig, den Sasportas in eine Großrauminstallation verwandelt hat: mit Wandpaneelen, die an japanische Fensterfronten erinnern und den Blick in ihre typischen hybriden Naturszenarien freigeben, aber auch mit Bodenobjekten, die wie ein runder Brunnen den Blick in die Tiefe lenken und an denen, Rudern gleich, runde Stäbe wie ein Mikadospiel lehnen. Besonders augenfällig: der Blick aus einer dunklen, laubbewachsenen Höhle auf Teich, Stäbe und Berge. Das Vexierspiel zwischen außen und innen: hier erinnert es an Platons Höhle, an unseren Erkenntnisprozess.

Der Israelische Pavillon in Venedig war für die 1969 in Tel Aviv geborene Tochter marokkanischer Einwanderer der bislang größte und prestigeträchtigste Auftritt, eine Art Download, der ihre 17-jährige Arbeit zusammenfasst. Danach möchte sich die Künstlerin erst mal eine Auszeit gönnen. Auch die Professorenstelle an der Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem hat sie vorerst aufgegeben und pendelt nur noch gelegentlich zu Familienbesuchen nach Israel. Wie an einer Schwelle zwischen zwei Zuständen fühle sie sich nach Venedig, erzählt sie beim Treffen in Berlin. 2004 ist sie im Rahmen eines Bethanien-Stipendiums in die Stadt gekommen, zunächst für ein halbes Jahr. Doch die Entspanntheit, Weitläufigkeit und Internationalität habe sie fasziniert, und so ist sie geblieben. Nur bis in den Schwarzwald ist es etwas weit. Christina Tilmann

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