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Position: "Tierversuche sind nicht alternativlos"

Es gibt immer mehr Ersatzmethoden, die Tierexperimente überflüssig machen. Doch die Forschung dazu wird kaum unterstützt, kritisiert Horst Spielmann, Tierschutzbeauftragter des Landes Berlin, in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel.

Seit Jahren nimmt die Zahl der Tierversuche in Deutschland zu – der aktuellste Wert stammt von 2012, da waren es 1,57 Millionen. Das hat die Diskussion um die ethische Vertretbarkeit solcher Versuche wieder entfacht. Die Kritik konzentriert sich auf die Grundlagenforschung, insbesondere in Berlin auf die geplante Tierversuchsanlage am Max-Delbrück-Centrum, wo Platz für weitere 12 000 Mäuse geschaffen werden soll.

Die Fronten sind verhärtet: Tierschutzorganisationen kritisieren Berlin als „Hauptstadt der Tierversuche“, Wissenschaftler warnen vor dem Ende des international attraktiven Forschungsstandorts, wenn die Versuche nicht mehr stattfinden können. In der hitzigen Debatte geht unter, dass Berlin auch die „Forschungshauptstadt für Alternativmethoden zu Tierversuchen“ ist.

Das zeigt das Beispiel der Verträglichkeitsprüfungen von Kosmetika. Seit März 2013 dürfen dafür keine Tierversuche mehr unternommen werden – weil es Alternativen gibt. Maßgeblich daran beteiligt waren Berliner Forscher von der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen im Bundesinstitut für Risikobewertung sowie vom Institut für Pharmazie der FU Berlin. Sie haben Methoden entwickelt, mit denen beispielsweise die Verträglichkeit an der Haut mit biotechnologisch hergestellten menschlichen Hautmodellen überprüft wird oder die Reizwirkungen am Auge mithilfe von Zellkulturen untersucht werden.

Dank dieser Verfahren haben die Tierversuche in der Toxikologie stark abgenommen, denn auch Chemikalien und andere Produkte werden inzwischen vorrangig mit diesen Alternativmethoden getestet. Gleichzeitig haben aber die Tierversuche für die Entwicklung von Medikamenten und in der Grundlagenforschung zugenommen. Die EU-Kommission fördert die Arzneimittelentwicklung und damit auch indirekt die Grundlagenforschung in den nächsten fünf Jahren mit rund drei Milliarden Euro. Gleichzeitig hat sie für Alternativmethoden gerade 20 Millionen Euro bewilligt, also weniger als ein Prozent. Um hier ähnliche Erfolge wie bei der Prüfung von Kosmetika zu erzielen, sind nach vorsichtigen Schätzungen jährlich 100 Millionen Euro erforderlich.

Das Bundesforschungsministerium gibt für die Entwicklung von Alternativmethoden gerade zwei Millionen Euro aus, da diese Forschung als „nicht hochrangig“ gilt. Stattdessen wird gebetsmühlenartig in den Medien und in der Politik wiederholt, wie unverzichtbar Tierversuche bei der Entwicklung von Arzneimitteln seien, ohne deren Grenzen aufzuzeigen. So wurde der Wirkstoff TGN1412 zur Behandlung von Rheuma an Kleintieren und Primaten erfolgreich getestet. Doch während der Erstanwendung beim Menschen 2006 führte der Wirkstoff bei sechs gesunden Männern zu Organversagen und bis heute bleibenden Schäden.

Horst Spielmann ist Tierschutzbeauftragter des Landes Berlin. Er hat viele Jahre an der FU Berlin sowie am Bundesinstitut für Risikobewertung an Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht.
Horst Spielmann ist Tierschutzbeauftragter des Landes Berlin. Er hat viele Jahre an der FU Berlin sowie am Bundesinstitut für Risikobewertung an Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht.

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Wir sollten dringend Tierversuchsalternativen auch für komplexe Fragestellungen vorantreiben. Wissenschaftler bauen dazu menschliche Organe und sogar Organsysteme in Miniatur nach. Berlin ist hier wieder vorn dabei. Seit 2010 arbeiten Forscher an der TU Berlin an einem Mikrochip mit menschlichen Nerven-, Haut- und Leberzellen, in dem mit Mikropumpen ein Kreislauf aufrechterhalten wird. Die Hoffnung: Neue Arzneimittel könnten in Zukunft mit einem solchen „Miniaturmenschen“ entwickelt werden. Allerdings ist das Budget der Forscher mit 2,5 Millionen Euro bescheiden. Dass es anders gehen kann, zeigt ein Beispiel aus den USA. Dort arbeitet seit 2012 ebenfalls ein Konsortium an der Entwicklung einer Miniaturversion des Menschen („Human on a Chip“) für die Arzneimittelentwicklung. Bis 2017 unterstützen die Nationalen Gesundheitsinstitute, die Arzneimittelbehörde und das Verteidigungsministerium das Projekt mit 72 Millionen Dollar.

Trotz vieler Fortschritte muss man aber klar sagen, dass die Gesellschaft in absehbarer Zukunft auf eine großen Teil der Tierversuche nicht verzichten kann. Doch ihre Zahl kann reduziert werden, indem Forscher umdenken und wo immer möglich wissenschaftliche Probleme an menschlichen Zellen und Geweben studieren, anstatt sich auf „etablierte Tiermodelle“ zu verlassen.

Wie das gelingen kann, zeigt die FU Berlin. Seit April werden über die Berlin-Brandenburger Forschungsplattform „BB3R“ Ersatzmethoden oder zumindest weniger belastende Tierversuche entwickelt. Dazu gehört auch ein Graduiertenprogramm. Damit wird der Ansatz, Tierversuche zu minimieren, bereits in die wissenschaftliche Ausbildung integriert.

Der Autor ist Tierschutzbeauftragter des Landes Berlin. Er hat viele Jahre an der FU Berlin sowie am Bundesinstitut für Risikobewertung an Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht und diese Forschung für die EU-Kommission koordiniert.

Horst Spielmann

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