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Gute Zeiten. Ob und wann das Selbstbild sich ändert, ist noch nicht gut erforscht. Psychologen der Humboldt-Uni arbeiten nun mit der Berliner Alternsstudie.

© picture-alliance/ ZB

Psychologie: Selbstbewusst altern

Auch in der letzten Lebensphase sind viele Menschen mit sich zufrieden. Entscheidend ist, das Gefühl zu haben, Kontrolle über das eigene Leben zu haben.

Was verhilft Menschen dazu, ihre eigene Person in einem positiven Licht zu sehen? Über die Faktoren, die in Kindheit und Jugend dazu beitragen, weiß die Psychologie inzwischen einiges: Für das Selbstwertgefühl nützlich sind ein gutes Verhältnis zu den eigenen Eltern, die Wertschätzung von Gleichaltrigen, gutes Aussehen, schulische und sportliche Erfolge. So weit, so wenig erstaunlich. Auch dass für das Selbstwertgefühl von Erwachsenen neben Bildungsgrad, beruflichen Erfolgen und Beziehungsstatus die sozialen Kontakte eine entscheidende Rolle spielen, leuchtet ein.

Viel weniger weiß die Psychologie allerdings bisher über Bedingungen für ein stabiles Bewusstsein bezüglich des Wertes der eigenen Person im hohen Lebensalter: Lässt es sich überhaupt aufrechterhalten, wenn die Kräfte schwinden, der Aktionsradius sich verkleinert, das Erscheinungsbild sich unablässig verändert, wenn zu allem Überfluss die sozialen Beziehungen durch mangelnde Kontaktmöglichkeiten und den Verlust nahestehender Menschen drastisch reduziert werden? Und wenn, nicht zuletzt, dies alles an die Nähe zum Tod gemahnt?

„Das hohe Alter stellt uns vor unglaublich große Herausforderungen“, sagt Jenny Wagner vom Institut für Psychologie der Humboldt-Universität. „Deshalb vermuten wir, dass sich auch die Quellen verändern, aus denen wir unser Selbstwertgefühl speisen.“ Wagner hat, zusammen mit HU-Forscher Dennis Gerstorf und ihren australischen und kanadischen Kolleginnen Christiane Hoppmann und Mary Luszcz, die Daten einer großen australischen Längsschnittstudie genutzt, um Erkenntnisse über die Auswirkungen dieser lebensgeschichtlichen Veränderungen auf den Blick Hochbetagter auf sich selbst zu gewinnen. Sie konnten die Daten von 1215 Menschen zwischen 65 und 103 Jahren aus der Region rund um die Stadt Adelaide auswerten, die für die 1992 gestartete Australian Longitudinal Study of Aging in einem Zeitraum von bis zu 18 Jahren wiederholt zu verschiedenen Themen befragt wurden.

Aus der deutlich größeren Gesamtstichprobe wurden dafür bewusst nur diejenigen Teilnehmer herausgegriffen, die zum Zeitpunkt der Auswertung bereits verstorben waren. „Wir wollten auch herausfinden, wie die Nähe zum Tod die Einschätzung des Wertes der eigenen Person verändert“, erläutert Wagner. Die psychologischen Besonderheiten der letzten Lebensphase hat die Forschung bisher nur ansatzweise in den Blick genommen. Klar ist bisher nur, dass parallel zum körperlichen dann meist auch das seelische Wohlbefinden deutlich abnimmt. Ab einem bestimmten Punkt ist dafür offensichtlich das kalendarische Alter weniger wichtig als die Frage, wie nahe der Tod bevorsteht.

Wichtigstes Ergebnis der Studie, die jetzt online im „Journal of Personality and Social Psychology“ erschienen ist: Im Unterschied zur körperlichen Gesundheit, zur allgemeinen Lebenszufriedenheit und zu den kognitiven Fähigkeiten erwies sich das Selbstwertgefühl als „ausgesprochen robust“, wie die Autoren schreiben. Es zeigt zwar mit zunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen und wachsender Nähe zum Tod einen leichten Abfall – doch nur im statistischen Mittel. Bei vielen Hochbetagten bleibt es gleich, bei einigen nimmt es gegen Ende des Lebens sogar zu.

Studien zur Entwicklung des Selbstwertgefühls im Alter ergaben bisher ein widersprüchliches Bild. Eine Studie aus dem Jahr 2010, für die Ulrich Orth von der Uni Basel und seine amerikanische Kollegin Kali Trzesniewski Daten der American’s Changing Live Study mit über 3500 Teilnehmern zwischen 25 und 104 Jahren ausgewertet hatten, war zu dem Ergebnis gekommen, dass schon ab einem Alter von 65 Jahren, also zeitgleich mit dem Ausstieg aus dem Berufsleben, der „Self-Esteem“ stetig abnimmt. Mit rund 60 Jahren erreicht er demnach seinen Höhepunkt. „Wir wollten das einfach nicht glauben, schon weil wir von einer großen Fähigkeit des Menschen ausgehen, sich an neue Situationen zu adaptieren“, berichtet Wagner. Inzwischen deute sich an, dass eine Bestätigung ihrer neuen Ergebnisse auch in den Daten der Berliner Altersstudie zu finden sei. Ihre Auswertung zum Thema wollen die HU-Forscher demnächst veröffentlichen.

Der australische Datensatz jedenfalls ergab: Am besten sind im Hinblick auf das Selbstwertgefühl diejenigen alten Menschen dran, deren Geist und Gedächtnis nicht eingeschränkt sind und die in dem Bewusstsein leben, Kontrolle über ihr Leben zu haben. Die Autoren vermuten, dass gerade dieser Punkt in der letzten Lebensphase für das Selbstwertgefühl entscheidend ist, weil die Situationen zunehmen, die „das Selbst auf Bewährungsproben stellen und hohe Anpassungsleistungen erfordern“. In weiteren Untersuchungen wollen die Forscher sich nun detaillierter der Frage widmen, welche Rolle in dieser Zeit die Beziehungen zu anderen Menschen für das Selbstwertgefühl spielen. „Die sozialen Netzwerke werden gegen Ende des Lebens meist kleiner, wahrscheinlich aber auch bedeutsamer“, sagt Wagner.

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