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Die Sonde – bereits mit Isolierungen versehen – kurz vor dem Start. Bis Anfang Januar besteht theoretisch die Chance, „Phobos-Grunt“ wieder auf Kurs zu bringen. Die Chancen dafür sind aber gering.

© dpa

Russische Marssonde: Ratlos am Boden

Die Marssonde „Phobos-Grunt“ sollte die russische Weltraumforschung wiederbeleben. Doch die Mission ist offenbar gescheitert. Beteiligt ist auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Es hatte ein spektakuläres Comeback der großen Raumfahrtnation werden sollen: Russlands erste interplanetare Mission seit 15 Jahren und zugleich der erste Versuch in der Raumfahrtgeschichte überhaupt, makroskopische Proben von einem Himmelskörper jenseits des Mondes zur Erde zu bringen.

Aber bereits kurz nach einem Start der Sonde „Phobos-Grunt“ am vergangenen Mittwoch begannen die Probleme. Das Triebwerk, mit dem die 13,5 Tonnen schwere Sonde Kurs auf den Mars und seinen kleinen Mond Phobos nehmen sollte, zündete nicht, zudem riss die Funkverbindung ab. Seitdem bemühen sich Ingenieure der Bodenkontrolle, Kontakt zu Phobos-Grunt aufzunehmen. Bisher vergeblich.

Die Chancen, dass die Mission gerettet werden kann, schwinden, die Stimmung ist schlecht. „Wir haben so viele Jahre daran gearbeitet“, sagt Alexander Sacharow, Physiker am Moskauer Institut für Weltraumforschung und Chefwissenschaftler von Phobos-Grunt. „Wir haben uns davon die Wiedergeburt unserer wissenschaftlichen Raumfahrt erhofft.“ Darauf hatte auch das Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof gesetzt und sich an der Mission beteiligt. „Für die russische Kollegen ist das ein schwerer Schlag“, sagt DLR-Forscher Jürgen Oberst. „Aber auch für uns ist es sehr frustrierend. Gerade noch hatte man das Gefühl, es ginge mit der russischen Raumfahrt voran.“

Schafft Phobos-Grunt den Weg zum Mars wider Erwarten doch noch, soll die Sonde ein Landegerät auf dem kleinen Marsmond Phobos absetzen. Das würde dort Bodenproben nehmen und sie anschließend zur Erde zurückbringen. Bis zu 200 Gramm Material sollen auf dem kartoffelförmigen Mond gesammelt werden. Die Russen sind die Einzigen, die mit solchen Missionen Erfahrungen haben: Sie brachten mit ferngesteuerten Sonden mehrmals Mondproben zur Erde, das erste Mal 1970 mit Luna-16.

Phobos-Grunt sollte an solche Erfolge anknüpfen, der russischen Öffentlichkeit wurde das Vorhaben immer wieder als Symbol eines Neubeginns in der wissenschaftlichen Raumfahrt des Landes präsentiert. Die letzte erfolgreiche interplanetarische Mission fand 1986 statt, also noch zu Sowjetzeiten. Damals brachten zwei Venussonden erfolgreich Landegeräte und Atmosphärenballons zum inneren Nachbarplaneten der Erde. Doch dann ging dem Riesenreich das Geld aus, nach dem Ende der Sowjetunion im August 1991 gab es kaum noch Forschung mit Raumsonden. Eine der wenigen Missionen, die das postsowjetische Russland startete, war vor 15 Jahren „Mars-96“, doch sie scheiterte wegen eines Raketenfehlstarts.

Eigentlich wollte Russland seine langjährige Raumfahrtkrise nun beenden. Nach Zeiten chronischer Unterfinanzierung wird nun wieder deutlich mehr für Raumfahrt ausgegeben. In diesem Jahr sind es umgerechnet 2,5 Milliarden Euro, die höchste Summe der letzten zwei Jahrzehnte. Der seit April amtierende Chef der Raumfahrtagentur Roskosmos, Wladimir Popowkin, will die Raumfahrtindustrie reformieren, die Forschung im Weltraum wiederbeleben und das Land auf dem Weltmarkt für kommerzielle Satellitenstarts attraktiver machen.

Doch erst einmal macht die russische Raumfahrt mit Pannen Schlagzeilen: Im August stürzte eine unbemannte „Sojus“-Rakete ab. Bereits in den Monaten zuvor waren mehrmals Satelliten durch Raketenfehlstarts verloren gegangen.

Das Scheitern von Phobos-Grunt wäre das fünfte Unglück binnen eines knappen Jahres. Experten tun sich schwer mit Aussagen darüber, ob es nur um eine Pechsträhne geht oder um Systemfehler. „Phobos-Grunt war sehr ambitioniert, vielleicht haben sie sich da etwas übernommen“, sagt der Berliner Planetenforscher Gerhard Neukum, der die hochauflösende Stereokamera für die Sonde „Mars-Express“ entwickelt hat, die im Auftrag der europäischen Raumfahrtagentur Esa den Roten Planeten erkundet. Neukum half mit, für die Phobos-Grunt-Mission die Landestelle auszuwählen. Die russische Hardware und Antriebstechnik bezeichnet er als gut. Aber: „Es hapert an der Kontrolle der Missionsabläufe, außerdem müssen sie Softwareprobleme besser in den Griff kriegen.“

René Pischel, Leiter des Esa-Büros in Moskau, kennt den russischen Raumfahrtsektor wie wenige andere Nichtrussen. Er warnt davor, ein Scheitern der Mission zum Anlass für Negativ-Urteile zu nehmen. „Fehler sind ja auch den Amerikanern 1999 mit ihren Sonden ,Mars Climate Orbiter‘ und ,Mars Polar Lander‘ passiert“, sagt Pischel.

Tatsächlich hat Russland auch Erfolge vorzuweisen. Mitte Juli beispielsweise wurde das Weltraumteleskop „Spektr-Radioastron“ erfolgreich ins All gebracht, mit seinem ausklappbaren 10-Meter-Parabolspiegel ein technisches Meisterstück und eines der leistungsfähigsten Radioteleskope überhaupt. In Planung sind weitere ambitiöse Missionen: Ab 2014 will Russland unter anderem mit einem Landegerät am Mond-Südpol nach Wassereis suchen, gegen Ende des Jahrzehnts soll auf der glutheißen Venus ein Landegerät für eine Langzeitbeobachtung abgesetzt werden.

Phobos-Grunt war allerdings die zentrale Mission der neuen russischen Raumfahrt. Dutzende Forscherteams aus fast allen naturwissenschaftlichen Bereichen waren beteiligt.Es war der Versuch, gegen die Überalterung der Fachleute in der nationalen Raumfahrt anzukämpfen, den Technologieverlust aufzuhalten, Forschung in Russland für junge Menschen wieder attraktiv zu machen.

All das steht nun auf dem Spiel. Das jedenfalls glaubt der Chefwissenschaftler Alexander Sacharow. „Wenn die Mission scheitert, dann wird das sehr, sehr schlecht für uns. Dann müssen wir unsere gesamte Raumfahrt von Grund auf überdenken und ganz neu anfangen.“

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