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Bauch

© Fotot: arc

Schwangerschaft: Bedenkzeit vor dem Abbruch

Ärzte wollen, dass Schwangere vor einer Spätabtreibung stets beraten werden. Am Donnerstag will der Bundestag über dieses Thema debattieren.

Betrachtet man allein die Zahlen, dann erscheint es nicht als großes Thema: rund 200 Mal im Jahr wird in der Bundesrepublik eine Schwangerschaft nach der 22. Woche abgebrochen, und das bei einer Gesamtzahl von rund 120.000 Abbrüchen. Doch auch wenn sie selten sind: Die späten Schwangerschaftsabbrüche sind ein Thema, das es in sich hat. Menschlich. Juristisch, medizinisch, psychologisch, ethisch. Und politisch: Am Donnerstag debattiert der Bundestag über Spätabtreibungen.

Wenn hier Leben und Tod besonders nah zueinander rücken, so hat das mit den Möglichkeiten der Medizin zu tun. Einerseits können heute kleinste „Frühchen“ unter 500 Gramm Geburtsgewicht überleben, die schon zur Halbzeit der normalen Schwangerschaftsdauer auf die Welt kommen. Andererseits liegen oft erst zu diesem Zeitpunkt die Ergebnisse vorgeburtlicher Untersuchungen vor, die auf eine schwere Behinderung des Ungeborenen hindeuten und die Eltern vor die Frage stellen, ob sie den Belastungen gewachsen sein werden.

Die Fristenlösung des Paragraphen 218 ist in diesen Fällen nicht der Maßstab. Wenn „Gefahr für das Leben oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ besteht, bleibt ein Schwangerschaftsabbruch auch zu einem späten Zeitpunkt straffrei.

Der Gesetzgeber hatte im Jahr 1995 bewusst die Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren als Kriterium für den Ausnahmefall herangezogen. Die alte, als diskriminierend empfundene „embryopathische“ Indikation wurde gestrichen. Sie ließ als Grund für einen Abbruch eine zu erwartende schwere Erkrankung oder Behinderung des Kindes gelten. Bei der „mütterlichen“ oder „medizinischen“ Indikation geht es dagegen allein um die Gesundheit der Schwangeren, um ihre ganz subjektiven Reaktionen auf die Diagnose, um ihre Einschätzung der Möglichkeit, ein behindertes Kind großzuziehen.

"Die derzeitige Regelung ist schlampig"

„Die Frauen sind in dieser Situation innerlich zerrissen“, sagt Heribert Kentenich, Frauenarzt an den DRK-Kliniken Berlin. Er findet es deshalb nicht verständlich, dass ausgerechnet in dieser schweren Konfliktsituation keine Beratung der Schwangeren im Gesetz verankert ist. Eine solche Beratung, wie sie für die Mehrzahl der Abbrüche vor der zwölften Schwangerschaftswoche heute ohnehin besteht, möchten er und seine Kollegen auch vor einem in Betracht gezogenen Abbruch aus „medizinischer Indikation“ im Paragraphen 218 StGB festschreiben. „Die derzeitige Regelung ist schlampig“, sagt Kentenich.

„Es ist doch paradox, dass eine Frau, die aus sozialen Gründen einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, zuvor beraten werden muss, eine Frau, der nach einer Ultraschalluntersuchung gesagt wird, ihr Kind werde unter einem offenen Rücken (Spina bifida) leiden, aber nicht“, sagt auch Klaus Diedrich, Gynäkologe an der Lübecker Uniklinik. Diedrich war Leiter der Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die im Dezember 2006 zusammen mit der Bundesärztekammer konkrete Änderungsvorschlä ge für den hochsensiblen Paragraphen 218 zu Papier gebracht hat.

Die Ärzte wünschen sich, dass eine Beratungspflicht des behandelnden Arztes im Gesetz fixiert wird. „Er muss der Frau erklären, was die Diagnose bedeuten kann“, sagt Diedrich. An dieses Gespräch soll sich, ebenfalls in Anlehnung an die für alle anderen Fälle übliche Regelung, eine dreitägige Bedenkzeit anschließen. „Die Frau oder das Paar braucht Zeit für die Entscheidung, man muss Informationen sammeln, man kann in dieser Zeit auch Kontakte zu Selbsthilfegruppen aufnehmen“, erläutert Kentenich. „Wir wissen aus Studien, dass jede zehnte Frau noch Jahre nach einem Abbruch traumatisiert ist und intensiv trauert.“

Eine Ausnahme soll es nur für die akuten Notfälle geben, in denen man nicht länger abwarten darf, um das Leben der Mutter nicht zu gefährden. Etwa wegen des Schwangerschaftsleidens Eklampsie oder weil die Schwangere selbstmordgefährdet ist. Nur in diesem Extremfall sollen Ärzte sich auch nicht weigern dürfen, an einem Abbruch mitzuwirken.

Auch für Ärzte ist der Abbruch sehr belastend

Auch für die Ärzte ist der späte Abbruch einer Schwangerschaft eine schwere Aufgabe. Eine Ausschabung oder Absaugung kommt dann nicht mehr in Frage. Kommt das Kind nach der Verabreichung wehenauslösender Medikamente mit schwachen Lebenszeichen auf die Welt, um kurz darauf zu sterben, so muss es nach der Personenstandsgesetzverordnung als Lebendgeburt im Standesamt mit Namen gemeldet werden.

Weil keiner weiß, wie qualvoll es das erlebt, gehen die Ärzte jedoch bei Föten, die schon lebensfähig wären, heute meist anders vor: Das Ungeborene wird im Mutterleib durch eine Kaliumchloridinjektion ins Herz getötet. Die Spritze wird durch die Bauchdecke der Schwangeren hindurch gegeben. „Dieser Sekundentod ist wahrscheinlich weniger qualvoll, doch nicht jeder Arzt bringt es fertig, die Spritze zu geben“, sagt Kentenich.

Die Ärztevertreter wollen mit ihrem Vorstoß nicht an der medizinischen Indikation rütteln. Bei der Verabschiedung des Gesetzes sei jedoch die Auflage des Bundesverfassungsgerichts an alle Beteiligten gewesen, die Entwicklung zu beobachten und über Verbesserungsmöglichkeiten nachzudenken. Die Probleme, die man nun erkenne, könne man allein mit dem Mittel des ärztlichen Berufsrechts nicht beheben, meint Ärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. „Um sie zu lösen, muss man aber nicht erneut das gesamte Gesetzespaket aufschnüren“, sagt der Gynäkologe Diedrich.

Adelheid Müller-Lissner

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