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Darwin-Nandus im Zoo in Berlin

© - Foto: dpa

Serie Evolution: Darwins Beweise aus der Kombüse

Straußenvögel und Spottdrosseln bringen den jungen Engländer auf eine revolutionäre Idee.

Als Charles Darwin in den 1830er Jahren Südamerika bereist, fällt ihm auf, dass die dort lebenden Tiere variieren – und zwar entsprechend ihrer geografischen Verbreitung. Eine Beobachtung, die ihn Jahre später seine Theorie von einer Evolution – dem Wandel der Arten durch Auslese – entwerfen lässt.

Eine große Rolle spielt dabei der Nandu, ein Straußenvogel, der von Nordost brasilien bis zum Rio Negro in Argentinien vorkommt. Diesen Rhea americana kennt Darwin, seit er zu Pferd die weiten Grasländer der Pampa durchstreift, während sein Schiff „Beagle“ für Vermessungsarbeiten durch den Atlantik kreuzt. Darwin teilt für Monate das wilde Leben der Gauchos. Abends am Feuer erfreut er sich mit ihnen an gebratenem Gürteltier, dazu Eierknödel vom Nandu. Die Gauchos erzählen auch von einem eigentümlichen Zwergnandu. 1834 kämpft sich Darwin wochenlang am Santa-Cruz-Fluss entlang, wo der Vogel angeblich lebt – aber er kann ihn nicht entdecken.

Erst als er zufällig ein für die Bord küche geschossenes Tier während einer Abendmahlzeit an Bord der Beagle verspeist, dämmert es Darwin. Ihm gelingt es gerade noch, einige nicht essbare Reste des Rhea – Kopf, Hals, einen Flügel, die Beine, einige große Federn und eine Hautpartie – aus der Kombüse zu retten. Diese armseligen Überreste schickt er nach London, wo der Ornithologe John Gould diesen kleineren und im Gefieder etwas dunkleren patagonischen Strauß als Rhea darwinii, als Darwin-Nandu, beschreibt und nach dem benennt, der ihn einst aß.

Die eigentliche Bedeutung des Nandus besteht darin, dass Darwin an ihm als einer der Ersten die Bedeutung erkennt, die geografische Zusammenhänge im Vorkommen von Tieren für die Artenfrage haben. Er notiert in Südamerika erstaunt, „wie miteinander nah verwandte Tierarten einander ablösen, wenn man auf dem Kontinent nach Süden kommt“.

Ähnliche Indizien erkennt Darwin auch auf den Galapagosinseln vor der Westküste Südamerikas, die die Beagle während der Rückreise im September und Oktober 1835 besucht. Es gehört zu einer der hartnäckigsten Legenden, dass Darwin angeblich durch die Beobachtung der verschiedenen Tiere des Galapagosarchipels auf den Evolutionsgedanken gebracht worden sei. Es lässt sich nachweisen, dass ausgerechnet die nach ihm benannten Finken für Darwin kaum eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich brachte der Naturforscher die von ihm auf den einzelnen Inseln gesammelten Finken anfangs achtlos durcheinander.

Vielmehr half ihm das eigenhändig gesammelte Material einer anderen Vogelgruppe, der Spottdrosseln, noch während der Rückreise dabei, den ersten Zweifel an der Schöpfungsgeschichte zu formulieren. Ahnungsvoll notierte er, dass die auf dem Archipel zu gewinnenden Erkenntnisse die Vorstellung von der Unveränderlichkeit der Arten untergraben würden: „Wenn ich mir die in Sichtweite voneinander entfernt liegenden Inseln mit ihrer nur spärlichen Fauna vorstelle, welche diese sich nur geringfügig unterscheidenden und sämtlich den gleichen Platz in der Natur einnehmenden Vögel bewohnen, muss ich vermuten, dass es sich lediglich um Varietäten handelt.“

Und dann fügte Darwin jenen entscheidenden Schlüsselsatz an, in dem Wissenschaftshistoriker heute den ersten schriftlichen Beleg für seine Evolutionsidee erkennen: „Wenn diese Bemerkungen auch nur im geringsten Grade begründet sind, dann ist die Zoologie von Archipelen es wohl wert, genauer untersucht zu werden; denn derartige Fakten würden die Auffassung von der Unveränderlichkeit der Arten untergraben.“

Bis Darwin aus seinen Gedanken die explizite Evolutionstheorie entwickelt, vergehen noch anderthalb Jahre. Zu diesem Zeitpunkt, im Frühjahr 1837, hat er die Beagle längst verlassen und ist zurück in England. 

Matthias Glaubrecht

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