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Stammzellen: Den Nerv getroffen

Der deutsche Forscher Rudolf Jaenisch hat erstmals aus den Hautzellen von Patienten Stammzellen gezüchtet, die keine Krebs erregenden Gene mehr enthalten. Wie wichtig ist dieser Durchbruch?

Die neue Methode von Rudolf Jaenisch, die an diesem Freitag veröffentlicht wird, ist doppelt wichtig: für eine eventuelle Therapie genauso wie für die Grundlagenforschung. Denn sie eröffnet neue Möglichkeiten auf dem Gebiet künstlich erzeugter Stammzellen. Dabei gibt es diese Stammzellen, kurz iPS genannt, seit nicht einmal drei Jahren. Ende 2006 hatten japanische Forscher berichtet, dass sie mit einem Virus vier Gene in die Hautzelle einer Maus schleusen und sie so in den Zustand einer Stammzelle zurückzwingen konnten. „Dass man Zellen mit so einer kleinen Manipulation komplett umprogrammieren kann, das hat wohl keiner erwartet“, sagt der Stammzellforscher Jürgen Hescheler von der Universität Köln. Aber es funktionierte, und im folgenden Jahr zeigte die japanische Gruppe, dass die Technik auch bei menschlichen Zellen wirkt.

Im Februar konnte der Münsteraner Forscher Hans Schöler nun beweisen, dass zumindest bei manchen Zellen des Menschen schon ein einziges Gen ausreicht, um sie wieder auf „Null“ zu setzen. Und Anfang dieser Woche gab ein Team von Wissenschaftlern aus Amerika und Großbritannien bekannt, dass es ihnen gelungen sei, iPS-Zellen herzustellen ohne dabei Viren als Genfähre zu benutzen. Für eine Therapie galt das bisher als großes Hindernis. Das Virus integriert die Gene zwar in das Erbgut der Zelle, doch wo es das tut, ist Zufall. So kann es passieren, dass ein wichtiges Gen gestört wird, das die Zellteilung reguliert. Die Zelle hört dann nicht mehr auf, sich zu vermehren, ein Tumor entsteht. Diese Gefahr besteht mit der neuen Methode kaum. Den Großteil ihrer Experimente machten die Forscher allerdings an Mauszellen, auch wenn die ersten Versuche an menschlichen Zellen darauf hindeuten, dass die Methode auch dort funktioniert.

Nun ist der deutsche Wissenschaftler Rudolf Jaenisch noch einen Schritt weiter gegangen und hat aus den Hautzellen von Parkinsonpatienten Stammzellen erzeugt. Dazu benutzte er zwar ein Virus, das er aber anschließend wieder aus dem Erbgut der Zelle entfernen konnte. Die iPS-Zellen verwandelte Jaenisch dann in genau die Gehirnzellen, die Parkinsonpatienten fehlen. „Das große Versprechen dieser Methode ist, dass wir Parkinson jetzt sozusagen in der Petrischale erforschen können“, sagt er.

Allerdings betont Jaenisch selbst, dass es noch ein sehr weiter Weg sei, bis iPS-Zellen am Menschen eingesetzt werden könnten. „Jede Krankheit hat ihre eigenen Hürden, die da noch überwunden werden müssen.“ Für ihn seien die Stammzellen vor allem interessant als Methode, um Krankheiten zu verstehen und so nach neuen Medikamenten zu suchen. Eine Therapie, die aus der Stammzellforschung komme, müsse nicht unbedingt eine Stammzelltherapie sein. „Das Gebiet der iPS-Zellen entwickelt sich allerdings rasend schnell“, gibt er zu.

Unstrittig ist, dass für eine Therapie mit iPS-Zellen noch wichtige Schritte fehlen. „Wir müssen erst einmal herausfinden, welche Zellen wir eigentlich wo genau hinspritzen müssen“, sagt Jaenisch. Ein entscheidendes Problem nennt auch Jürgen Hescheler: „Was passiert eigentlich, wenn ich diese Zellen in das Gewebe gebe? Integrieren die sich dann richtig?“ Doch er ist optimistisch. Wahrscheinlich werde eine Stammzellentherapie viel schneller kommen, als man denke, sagen beide Forscher. Hescheler spricht von „wenigen Jahren“. Seine Befürchtung sei eher, dass Versuche gemacht würden, bevor man die Stammzellen ausreichend verstehe. Ein unnötiger Fehlschlag könne dem ganzen Forschungsgebiet schaden.

Die Diskussion um embryonale Stammzellen hat sich damit allerdings längst nicht erledigt. Obwohl die ersten Politiker sich schon zu Wort melden und embryonale Stammzellen für überflüssig erklären, werden diese ethisch umstrittenen Zellen in der Forschung dringend benötigt. iPS-Zellen haben zwar den Vorteil, dass für ihre Herstellung keine Embryonen getötet werden müssen. Aber vieles deutet darauf hin, dass sie sich im Detail anders verhalten als ihre embryonalen Vorbilder. „Deswegen brauchen wir embryonale Stammzellen als Vergleich“, sagt Hescheler. Was die Wissenschaft über iPS-Zellen wisse, das habe sie vor allem durch die Forschung an den embryonalen Stammzellen herausgefunden.

„Ich denke, dass es ein Riesenfehler war, dass wir uns in Deutschland aus politischen Gründen so wenig mit embryonalen Stammzellen beschäftigt haben“, sagt Hescheler. Auch Jaenisch, der in Amerika forscht, meint, dass die Beschränkungen in Deutschland die Forschung massiv behindert haben. „Das war eine absurde Debatte, die typische Ideologisierung in der deutschen Politik.“

Inzwischen sind Therapieansätze mit embryonalen Stammzellen weiter fortgeschritten. Im Januar sorgte die Nachricht für Schlagzeilen, dass die amerikanische Regulierungsbehörde FDA einen ersten klinischen Test mit embryonalen Stammzellen genehmigt hat. Geron heißt das Biotechunternehmen, das ab dem Sommer Querschnittsgelähmten diese Zellen spritzen will und hofft, dass sie durchtrennte Nervenbahnen in der Wirbelsäule wieder zusammenbringen. Sollte das auch nur im Ansatz gelingen, würde die Stammzellforschung wohl ein Momentum entwickeln, dem Deutschland sich schwer entziehen könnte. Dann bliebe Kritikern nur zu hoffen, dass die iPS-Zellen möglichst schnell dasselbe Potenzial entfalten.

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