zum Hauptinhalt
Mobil trotz Lähmung. Eine Patientin mit dem Ekso-Roboter in München.

© HWPR

Medizin: Steh auf und geh

Ein Roboter zum Überziehen ermöglicht Querschnittsgelähmten wieder eigene Schritte. Vorerst ist "Ekso" aber nur für den Einsatz in Rehakliniken vorgesehen.

Wenn ein Mann, der 38 Jahre gelähmt war, einfach aufstehen, sein Bett tragen und davongehen kann, wie in Johannes 5, 1–18 geschildert, dann haben wir es mit einem biblischen Wunder zu tun. Wenn ein Mann, der vor drei Jahren einen schweren Unfall hatte und seitdem vom fünften Brustwirbel abwärts komplett gelähmt ist, aufsteht und geht, dann steht massive technische Hilfe dahinter: Ein Roboter zum Anziehen, der mit Motorkraft teilweise die Kraft der Muskeln ersetzt, die wegen der Nervenschäden nicht mehr aktiviert werden können. Am Donnerstag wurde das Produkt der kalifornischen Firma Eksobionics im Rehazentrum Potsdam vorgestellt.

„Ekso“ ist nicht das, was man sich üblicherweise unter einem Roboter vorstellt. Er sieht eher aus wie eine moderne Ritterrüstung und ist in Wirklichkeit Technik zum Anziehen. Ein Anzug mit 20 Kilo Eigengewicht, die allerdings nicht auf den Schultern des Trägers lasten, sondern am Boden abgefangen werden. Er enthält vier Motoren, die die Muskelkraft ersetzen, 15 Sensoren, die unter anderem die Bodenbeschaffenheit erkennen, und zwei starke aufladbare Lithium-Ionen-Batterien. Er kommt für Patienten mit einer kompletten Querschnittslähmung infrage, die sich mit den Unterarmen abstützen können, aber auch für nur teilweise Gelähmte und für Patienten, die nach Hirnverletzungen nicht mehr gehen können.

„Gehen ist ein komplexer Vorgang, an dem elf Gelenke beteiligt sind und für den mehr als 30 Muskeln koordiniert zusammenarbeiten müssen“, erklärte der Neurologe Thomas Winter, leitender Arzt der Potsdamer Einrichtung, in der ein Exemplar von „Ekso“ für ein paar Tage zu Gast war.

Im festen Einsatz ist der Roboter bisher nur in zehn Reha-Einrichtungen in den USA und einer Reha-Klinik in Italien. Noch steht auch der wissenschaftliche Nachweis des Nutzens im Vergleich zu anderen Verfahren des Gangtrainings und der Physiotherapie aus. „Wir würden uns gern an solchen Studien beteiligen“, sagt Winter. In ihnen müsse auch bewiesen werden, dass das elektronisch unterstützte Gehen sich günstig auf Muskeln, Knochen und das Herz-Kreislauf-System auswirkt.

Ohnehin ist „Ekso“ derzeit nur für eine Benutzung innerhalb von Rehakliniken konzipiert: Zu Beginn des Trainings ist der Patient dabei auf die Hilfe von zwei Physiotherapeuten angewiesen, die sich unter anderem um die Auslösung des „Step“-Knopfes für den nächsten Schritt kümmern, und er stützt sich auf eine Art Rollator, später auf Krücken. Das Fernziel kann sein, ohne menschliche Hilfe, nur mit der Roboter-Rüstung, kurze Strecken zu bewältigen. „Das wird dabei aber immer Teil einer Kombinationstherapie sein“, sagte die Leitende Physiotherapeutin Bettina Quentin bei der Vorstellung. Bei Eksobionics rechnet man damit, das Gerät bis zum Jahr 2014 auch für den persönlichen häuslichen Gebrauch anbieten zu können. Über die Kosten schweigt der Hersteller vorerst.

Der Neurologe Winter warnt vor überzogenen Erwartungen. In den letzten Jahren haben sich schließlich immer wieder medizinische Hoffnungen für Querschnittsgelähmte zerschlagen. So steht eine Therapie mit Stammzellen immer noch in den Sternen, nachdem das ehrgeizige Projekt der amerikanischen Firma Geron mit Zellen, die aus embryonalen Stammzellen abgeleitet waren, im letzten Herbst aus wirtschaftlichen Gründen abgebrochen wurde. Noch nicht einmal über die Verträglichkeit der Zellkur weiß man heute Bescheid – von einer heilenden Wirkung ganz zu schweigen.

Für viele der Betroffenen kommt auch die vorgestellte raffinierte elektronische „Krücke“ nicht infrage, und viele, die sie nutzen können, werden trotzdem zeitlebens auf den Rollstuhl angewiesen bleiben. Was „Ekso“ einigen Menschen mit einer Querschnittslähmung aber bieten könne, sei eine zeitweilige „Teilhabe auf Augenhöhe“, sagt Winter. Der Motivationsschub, den es bedeute, nach Jahren wieder ein paar Schritte gehen zu können, sei nicht zu unterschätzen. „Wir haben Patienten weinen sehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false