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Stoßrichtung. Forscher stellen Jagdszene der Neandertaler nach.

©  Eduard Pop/Monrepos

Steinzeitjagd: Neandertaler erlegten ihre Beute aus allernächster Nähe

Anhand von Spuren an uralten Knochen rekonstruieren Forscher, wie mutig die Steinzeit-Jäger waren.

Ganz aus der Nähe mussten die Neandertaler die zwei Damhirsche erlegt haben. Vielleicht hatten sie die Tiere zuvor in einen Sumpf getrieben, oder in ein Gewässer. 120 000 Jahre später verraten die Knochen der Tiere und die extrem seltenen Spuren der Speere darin einem Forscherteam vom Monrepos-Forschungszentrum in Neuwied, wie vor der letzten Eiszeit in Europa gejagt wurde: Offenbar warfen Neandertaler ihre Speere nicht, sondern bohrten sie aus nächster Nähe in die Beutetiere. Das schreibt die Forschergruppe um Sabine Gaudzinski-Windheuser im Fachblatt „Nature Ecology & Evolution“.

Hirsch-Attrappen aus Gelatine und Knochen

Die Skelette der Hirsche, die im Süden Sachsen-Anhalts entdeckt wurden, wiesen zwei auffällige Löcher auf - das eine am Halswirbel, das andere an einem Beckenknochen. Sie stammen von Waffen, die vermutlich relativ langsam und aus der Nähe eingesetzt, also nicht geworfen wurden. Wie Forensiker, die einen Mordfall untersuchen, stellten die Forscher den Angriff im Labor experimentell nach. Sie orientierten sich dafür an einem 100.000 Jahre alten hölzernen Speer, der in Lehringen bei Verden gefunden wurde.

Drei Männer – zwei von ihnen Kung-Fu-Kämpfer – trieben mit Sensoren gespickte Nachbauten in Gelatineblöcke mit Hirschknochen. Das Team untersuchte anschließend die Durchstoßstellen.

Jagdtechnik erforderte viel Zusammenarbeit

Das Muster aus Rissen und abgesplitterten Knochenstücken spricht gegen eine hohe Geschwindigkeit des Speeres, bei der sich speichenförmige Risse von der durchstoßenen Stelle ausbreiten. Auch passt der Winkel der Verletzung nicht zur Flugbahn eines Speeres. Vielmehr scheint der Stoß von unten her ausgeführt worden zu sein. Dass der Speer bei anderen Gelegenheiten geworfen wurde, können die Experimente aber natürlich nicht ausschließen.

Die Ergebnisse lassen auch Schlüsse auf das Zusammenleben der Neandertaler zu. Solche Handspeere wurden in der Regel bei Jagdtechniken für nahe Distanzen verwendet, bei denen der Jäger der Beute auflauert oder sie in eine ungünstige Lage bringt. „Eine derart konfrontative Art der Jagd erfordert viel Zusammenarbeit“, schreiben die Forscher. Und viel Mut, denn die erlegten Damhirsche gehören zu einer inzwischen ausgestorbenen Damhirsch-Unterart, die etwa ein Fünftel größer war als die heutigen Tiere. Und die übrige Beute war auch nicht kleiner, denn damals streiften Auerochsen, Höhlenbären und sogar Waldelefanten durch Europa.

Martin Ballaschk

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