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© David Heerde

Studentisches Leben: Studentenwohnheime: Oasen in der Tristesse

Von der Kreuzberger Platte bis zum Charlottenburger Schick: In Berlin gibt es Studentenwohnheime für jeden Geschmack. Doch bundesweit werden die Plätze langsam knapp.

Ein Wohnblock in Berlin-Kreuzberg, U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdypark: Die Fenster der Erdgeschosswohnungen sind nahezu blickdicht verhängt. Als Sichtschutz dienen Bettlaken, Geschirrtücher, Wolldecken, Alufolie – und hier und da auch ein richtiger Vorhang. In dem schmutziggrauen Block an der Ecke Köthenerstraße/Hafenplatz befindet sich das Studentenwohnheim Hafenplatz.

Die schäbige Fassade – unsanierte Westplatte, Baujahr 1972 – passt so gar nicht in das Bild der sich herausputzenden Gegend. Auf der anderen Seite des U-Bahnhofs liegt das schicke Areal des Potsdamer Platzes. Und durch die Lücken ihrer provisorischen Vorhänge blicken die Studenten direkt auf einen gegenüberliegenden, mit hellem Naturstein verkleideten Neubaukomplex, in dem ein Hotel und Luxusappartements entstehen. „Mit freundlichem Doormanservice“ steht auf dem Werbeschild der Baufirma. Einen Doormanservice bietet das Studentenwerk Berlin, der Betreiber des Wohnheims Hafenplatz, nicht. Dieser hätte dafür sorgen können, dass die beiden am Eingang der Hofeinfahrt stehenden dreckbespritzten alten Kühlschränke weggeräumt werden.

Ortswechsel: Studentenwohnheim Hardenbergstraße 32 in Charlottenburg. Das im Juni 2009 eröffnete Wohnheim ist in einem Anbau auf der Rückseite des topmodernen Gebäudes der Hauptmensa der Technischen Universität untergebracht. Die Fassade des Hauses mit der ruhigen Hoflage inmitten des TU-Campus strahlt weiß. In den beiden oberen Stockwerken aber, in denen das Wohnheim liegt, ist sie leuchtend rot, gelb und orange gestrichen. Alles wirkt einladend und freundlich. Das Treppenhaus ist frisch geputzt und glänzt noch ganz neu.

Das moderne Wohnen hat allerdings auch seinen Preis: Die Studierenden wohnen in 46 Einzelapartments, die von 18 bis 28 Quadratmeter groß sind und bis zu 345 Euro monatlich kosten. Im Wohnheim am Hafenplatz kostet ein 18-Quadratmeter-Apartment nur 234 Euro. Für 345 Euro bekommt man schon ein 55 Quadratmeter großes Zweierapartment. Die geringere Miete in dem Kreuzberger Wohnblock scheint sich allerdings auch im Service niederzuschlagen. Der Eingangsbereich von Haus 30 ist sicher schon länger nicht mehr gereinigt worden. Das Geländer war mal rot lackiert, ist heute aber ganz abgegriffen. Die gelblichen Wände sind mit Graffiti beschmiert, für die sich die Vandalen noch nicht einmal Mühe gegeben haben.

Studentenparadies für die Bessergestellten und Wohnheimhölle für die Armen? Das Studentenwerk glaubt, das beide Häuser auf ihre Art gut sind. Ricarda Heubach, Abteilungsleiterin für Studentisches Wohnen, sagt: „Die Hardenbergstraße ist zwar der Weg, den wir in Zukunft gehen wollen.“ Dennoch sei auch das Wohnheim am Hafenplatz beliebt. Vor allem die Lage in Kreuzberg sei für viele attraktiv.

Ahmand Harkous sieht das auch so. Der 26-jährige Kuweiter wohnt seit drei Jahren am Hafenplatz und glüht förmlich vor Begeisterung für sein Wohnheim. Neben der zentralen Lage an der U2 gefällt ihm vor allem die Internationalität des Wohnheims – und seine eigene Wohnung. Er steht in Socken auf dem makellosen hellen Teppich seines Wohnzimmers und kann seinen Stolz nicht verbergen: „Ich habe die schönste Wohnung des ganzen Gebäudes!“, lacht er und bietet sofort einen Kaffee an: „Das gehört bei uns zur Kultur.“ Vielleicht möchte er aber auch nur das Erstaunen des Besuchers über seine so gar nicht zum äußeren Erscheinungsbild des Wohnheims passende Zwei-Zimmer-Wohnung etwas länger genießen. Der Teppich passt farblich gut zu den zwei hellen Ledersofas, die frei in der Mitte des Raumes stehen. Vor dem Fenster hat Ahmand seinen großen Schreibtisch aufgebaut, hier findet er die Konzentration, um für sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik zu lernen.

Auch Kyoungmin Park wohnt im Wohnheim am Hafenplatz. Die Musik von Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 6 Prelude verrät den Weg zu ihrer „Wohneinheit“ im zweiten Stock. Kyoungmin übt gerade auf ihrer Viola. Aber sie braucht die Musik nicht, um sich von der tristen Atmosphäre des Wohnheims abzulenken. Im Gegenteil: „Ich bin sehr glücklich hier zu wohnen!“, erzählt sie. Außerdem brauche sie nur zehn Minuten zu ihrer Uni, der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin am Gendarmenmarkt. Stress, beteuert Kyoungmin, gebe es keinen in dem Wohnblock, der wie ein sozialer Brennpunkt wirkt. Eine grüne Feuerschutztür verbindet das Wohnheim mit einem angebauten Sozialwohnungskomplex. Joachim Paech, der Hausmeister des Studentenwerks, sagt, dass nicht alle Mieter mit der Situation so gelassen umgehen wie Kyoungmin: „Hin und wieder gibt es schon erhebliche Probleme. Erstsemester aus idyllischen Gegenden in Bayern oder Baden-Württemberg sind ziemlich überrascht, wenn sie im Aufzug auf einmal einem Betrunkenen begegnen, der in die Ecke pinkelt.“

So etwas kommt in der Hardenberstraße 32 nicht vor. „Für mich ist das Wohnheim optimal“ sagt Kathrin Portl, 24. Sie wohnt hier, seitdem das Wohnheim im Juli 2009 eröffnet wurde. Ihr Ein-Zimmer-Apartment ist komplett möbliert – durch das Studentenwerk. Formschöne weiße Holzmöbel, sogar die Lampen, Vorhänge und die Magnetwand über Kathrins Schreibtisch gehören zur Grundausstattung. „Das ist ein eigens für uns entwickeltes Möbelkonzept“, erläutert Heubach.

Das Einzige, was Kathrin Portl ein wenig stört: Die Wohnheimverwaltung sei ein bisschen pingelig. Kathrin, die Wirtschaftsingenieurwesen studiert, sitzt an einem weißen Bistrotisch, der zwischen ihrem Bett und einem großen Fenster steht, und man merkt ihr an, dass sie wirklich froh ist, so ein tolles Zimmer gefunden zu haben. „Wir sind hier alle sehr gut befreundet und lassen oft sogar die Tür offen“, beschreibt sie die Stimmung unter den Bewohnern.

Die Probleme mit den Nachbarn am Hafenplatz kennt auch Thomas Rudek. Er hat von 1985 an über zehn Jahre am Hafenplatz gewohnt und berät noch heute aus alter Verbundenheit die Studentische Selbstverwaltung (SSV) des Wohnheims. Zu seiner Zeit gab es auch mal Fixer im Waschraum. Seit die Sozialwohnungen einen neuen Besitzer haben, habe sich die Situation jedoch gebessert. Rudek sitzt im Büro der SSV und schaut auf den neuen U-Bahnhof. Vor der Wende verlief die Mauer quasi vor der Tür des Wohnheims, der Potsdamer Platz war Niemandsland. Nach dem Mauerfall, erinnert sich Rudek, haben sie dort Bumerangs geworfen und Fußball gespielt. Aus der trostlosen Westberliner Randlage wurde ein zentraler Platz mit besten Verkehrsverbindungen.

„Die Lage ist spitze“, sagt auch Ricarda Heubach vom Studentenwerk. Die meisten Bewohner am Hafenplatz seien zufrieden, das zeigten auch Umfragen. Laut einer Studie im Auftrag des Studentenwerks vom Sommer 2009 gaben 94 Prozent der befragten studentischen Mieter in Berlin an, dass sie das Wohnen in Wohnheimen weiterempfehlen würden. Zwei Drittel aller Befragten finden den Gesamteindruck im Wohnheim „gut“.

Die Chancen, einen Platz zu bekommen, seien in Berlin sehr gut, sagt Heubach. Lediglich zum Start des Wintersemesters gebe es mehr Bewerber als freie Plätze. „Da haben wir jetzt Wartelisten eingeführt.“ Die Lage ist allerdings nicht überall in Deutschland so entspannt. Vor allem in kleineren Universitätsstädten mit hohen Mieten, wie Heidelberg, Tübingen und Freiburg, sind die Wohnheimplätze heiß begehrt. Und sie werden noch begehrter werden, sagt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde.

„Wir brauchen mehr Plätze“, fordert Meyer auf der Heyde. Die kommenden Jahre werden wegen doppelter Abiturjahrgänge und geburtsstarker Jahrgänge eine große Welle an Studierenden bringen. Das DSW rechnet in den Jahren bis 2014 mit erheblichen Problemen auf dem Wohnungsmarkt. Obwohl das DSW schon seit Jahren hinweise, dass dringend neue Wohnheimplätze geschaffen werden müssten, drohten vor allem in den klassischen Universitätsstädten und manchen Großstädten wie Frankfurt am Main, Köln und München massive Probleme, warnt Meyer auf der Heyde. Die Länder weigerten sich, in die studentische Infrastruktur zu investierten.

Berlin sei jedoch nach wie vor eine Ausnahme. Studierende finden noch immer gute Angebote auf dem freien Wohnungsmarkt. Sie können auch größere Wohnungen mieten und eine Wohngemeinschaft gründen. Freie Bahn also für Pragmatiker – und wahre Wohnheimfans.

Konstantin Sacher

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