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© Ullstein

Studium: Im Netz der Denker

Kostenlose Wissenschaft für jedermann: Universitäten stellen ihre Vorlesungen zunehmend ins Internet. Manche sind sogar weltweit populär.

Man nehme die klügsten Köpfe der Welt, lade sie ein und bitte sie, binnen 18 Minuten das zu sagen, was sie schon immer mal sagen wollten. Herauskommen soll: der Vortrag ihres Lebens. 18 Minuten Lebensweisheit pur. So etwas gibt es tatsächlich und nennt sich TED (Technology, Entertainment, Design). TED ist eine Konferenz, die jährlich im kalifornischen Küstenstädtchen Monterey stattfindet. Die Teilnahmegebühr für die viertägige Konferenz beträgt 6000 Dollar. Nur die wenigsten jedoch kommen in den Genuss, diese Gebühr überhaupt zahlen zu dürfen. Die Tickets sind schon gut ein Jahr vor Konferenzbeginn ausverkauft. Man muss sich regelrecht bewerben, um die 6000 Dollar loszuwerden.

Damit gehörte TED lange zu den exklusivsten Denk-Clubs überhaupt. Eine Oase der Elite, wo man Top-Unternehmern wie Virgin-Chef Richard Branson oder Bill Gates lauschen kann. Oder Wissenschaftlern wie Richard Dawkins (der dort schon 2002 über seine Thesen zum „Gotteswahn“ sprach). Normalsterbliche bekamen zu TED keinen Zutritt, im Publikum saßen stattdessen, neben den großen Machern und Denkern, Hollywood- Stars wie Meg Ryan und Cameron Diaz.

Das änderte sich erst, als TED-Kurator Chris Anderson vor gut einem Jahr beschloss, die besten TED-Vorträge nach und nach ins Internet zu stellen. Seitdem haben sich auf der Webseite www.ted.com rund 180 Vorträge angesammelt. Nun kann jeder an TED teilnehmen – gratis. Und was das Verblüffende ist: Auch im Netz überträgt sich etwas von der Magie der Montereyer Konferenz. Manche Vorträge sind schräg, bizarr, viele aber sind inspirierend, ja geradezu faszinierend.

Beispiel: Der Vortrag des Schweden Hans Rosling vom Karolinska-Institut, Experte für globale Gesundheit. Mit einer eigenen Software gelingt es ihm, Datenserien so anschaulich zu präsentieren, dass man förmlich sehen kann, wie stark die Welt in den letzten Jahrzehnten zusammengeschrumpft ist. Andere „TEDster“ sind allein und zu Fuß zum Nordpol gewandert oder sind Rechengenies, die auf dem Podium ihre Kopf-Künste vorführen. TED, das ist Edutainment für jedermann, möglich gemacht durchs Internet. „Auf einmal können wir eine Technologie nutzen, um einige der weltbesten Lehrer einem globalen Publikum gegenüberzustellen“, schwärmt TED-Kurator Chris Anderson von den neuen digitalen Möglichkeiten.

Ein Trend? Tatsächlich werden zunehmend Vorträge online gestellt, auch akademische. Längst findet man im Netz nicht mehr nur einzelne Vorträge, sondern ganze Vorlesungsreihen. Die Themenvielfalt ist unbegrenzt: Von der modernen Kunst über die Kriminologie bis hin zur Kernphysik ist alles dabei.

Vorreiter der Onlinevorlesung ist das Massachusetts Institute of Technology, MIT, im amerikanischen Cambridge. Die Webseiten ocw.mit.edu und mitworld. mit.edu bieten so viele Seminare im Audio- oder Videoformat, dass so mancher MIT-Student kaum noch vor die Tür muss, um sein Studium zu absolvieren. Und zahlreiche Kurse sind nicht nur den Studenten zugänglich, sondern allen. Das MIT vertreibt – wie auch Stanford, Berkeley oder die Duke University – seine Vorlesungen inzwischen sogar über iTunes, den größten Internetshop, auf dem man Musik und Filme kaufen und dann runterladen kann. Anders als Songs sind die Unimaterialien umsonst zu haben.

Einige der Podcast-Professoren haben es bereits zu weltweiter Popularität gebracht – wie etwa der 71-jährige Physiker Walter Lewin, den die „New York Times“ kürzlich zum „Wissenschaftsstar im Web“ kürte. Lewin hat alles, was es zum Physikstar der Massen braucht: Er sieht ein bisschen aus wie Einstein und schafft es, Physik verständlich, ja sinnlich aufzubereiten. In seinen Vorlesungen setzt er nicht nur seinen Kopf, sondern seinen ganzen Körper ein. Will er erklären, dass die Schwingungsdauer eines Pendels unabhängig von der Masse ist, hängt der Professor sich kurzerhand selbst an ein Riesenseil. Oder er haut einen Studenten mit einem Katzenfell, um die Mysterien der Elektrizität rüberzubringen. Das globale Publikum ist begeistert: „Durch Ihre inspirierenden Videovorträge habe ich es geschafft zu sehen, wie schön Physik ist“, schreibt ihm ein 17-jähriger Fan aus Indien; es ist nur eine von Dutzenden E-Mails, die Lewin in den letzten Monaten bekommen hat.

Doch nicht nur in den USA, auch in Deutschland stellen Unis ihre Vorlesungen zunehmend ins Netz. In großem Stil macht man das zum Beispiel in Tübingen – und zwar schon seit Ende 1999 (timms. uni-tuebingen.de). „Damit waren wir unter den ersten europäischen Universitäten, die ein derartiges Angebot machten“, sagt Heinrich Abele vom dortigen Zentrum für Datenverarbeitung. „Vom frei zugänglichen Teil her betrachtet, bietet das Tübinger System mehr als das renommierte Videoarchiv des MIT.“

Da gibt es zum Beispiel die sechsteilige Ringvorlesung „Enträtselung des Universums“ oder, einen Mausklick entfernt, den 24-stündigen Kurs in „Marine Biologie“. 2004 lagen die Zugriffe der Tübinger Videovorträge noch bei 320 000, 2007 bei weit über einer Million. Beliebtestes Video der letzten Monate: ein Vortrag von Helmut Schmidt zum „Ethos des Politikers“.

Weitere Adressen zum Thema: www.reden-archiv.de www.world-lecture-project.org

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