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Studium: Raus aus der Nische

Kampfgeist und Kooperationen: Wie Kleine Fächer zu größerer Geltung kommen.

Die so genannten Kleinen Fächer an den Universitäten genießen größte Wertschätzung und haben viele Freunde – das könnte ein Fazit zum Ende des „Jahres der Geisteswissenschaften“ sein. Zumindest verzichtete keiner der Redner und Diskutanten einer Tagung in Berlin, zu der der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingeladen hatte, auf ein eindringliches Bekenntnis zu den im Universitätsalltag nur allzu oft an den Rand gedrängten Disziplinen.

„Kleine Fächer gehören zu den Stärken deutscher Universitäten“, sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan. Sie verwies darauf, dass gerade sie maßgeblich zur Reputation deutscher Forschung im Ausland beitrügen. Ein Fach wie die Islamwissenschaft stünde außerdem exemplarisch für die Bedeutung von hoch spezialisiertem Fachwissen in der Politikberatung. „Zeigen Sie Selbstbewusstsein“, forderte Schavan die Fächervertreter auf.

Mehr Kampfgeist, neue Konzepte und ein klares Profil verlangte Schavan auch von den Unileitungen. Vom Bund seien keine Geldgeschenke zu erwarten. „Die Bundesregierung ist kein Lückenbüßer für das, was an den Hochschulen vermasselt wurde“, sagte Schavan. Sobald neue Ideen für eine Strukturumbildung auf dem Tisch lägen, könne über deren Finanzierung allerdings beraten werden. Als läge mit dieser Aussage ein Bann über der Konferenz, wurde fortan kaum noch über Geld geredet. Dafür um so mehr über „Zentrenbildung“ und „internationale Vernetzung“.

Die Musikwissenschaften befinden sich ohnehin im Umbruch, sagte Julia Kursell, die am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte über die „Geschichte des Hörens“ forscht. Die Tendenz gehe weg von der Fixierung auf den klassischen Kanon hin zu einer Aufmerksamkeit für Computer- und Clubmusik, für den akustischen Raum, der uns umgibt. Darüber hinaus beherrschen die Musikwissenschaftler die Kunst, Notenschriften und Rhythmen aus alten Zeiten und anderen Kulturkreisen zu entziffern und Klänge zu rekonstruieren, von denen es keine Aufzeichnungen gibt. Dies sei eine Kompetenz, die nicht nur für Musiker, sondern auch für Kultur-, Sprach- und Medienwissenschaftler von Interesse ist. Interdisziplinäre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet böte sich also an. Nun gehören die Musikwissenschaften mit 60 Instituten bundesweit nicht unbedingt zu den unmittelbar bedrohten Fächern. Trotzdem ist in den letzten Jahren ein Schwund zu verzeichnen. Das liegt auch an der mangelnden Nachfrage von Studenten, von denen die Beherrschung mindestens eines Musikinstruments vorausgesetzt wird. Karsell regte an, die hohen Hürden zu überprüfen.

„Kleine Fächer sind klein, eben weil sie schwierig und anspruchsvoll sind“, sagte dagegen der Sinologe und Direktor der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Helwig Schmidt-Glintzer. Das gilt zweifellos für die Sinologie. Noch gibt es bundesweit rund 25 Professuren in diesem Fach, doch die Tendenz ist sinkend. Das Problem sei, dass es bald an Grundkompetenzen fehle, dass es keine Experten für die chinesische Kulturgeschichte mehr gäbe, dass Autoren und Übersetzer Mangelware seien, sagte Schmidt-Glintzer. Schon heute verlaufe die Übersetzung ostasiatischer Texte oft über das Englische. In dem Maße wie der Kontakt zu China wachse und damit die Kenntnis von Land und Sprache, werde aber auch das Interesse an der Sinologie wieder ansteigen.

Wie überlebenswichtig das Engagement für die eigene Disziplin ist, demonstrierte Angelika Neuwirth vom Institut für Arabistik der Freien Universität Berlin. Im Gegensatz zu den Islamwissenschaften, die auch politische und soziale Fragestellungen beinhalten, beschäftigt man sich in der Arabistik ausschließlich mit der Textexegese. Gerade das macht das Fach aber auch für muslimische Wissenschaftler interessant. Und dieser Kontakt in die islamische Welt, so Neuwirth, sei wiederum von höchstem Interesse und größter Nützlichkeit für die hiesige Politik und erfülle auf beispielhafte Weise die Forderung nach „Nachhaltigkeit“.

Vom Podium herab stellte Neuwirth einen Antrag auf Förderung eines Stipendiums für islamische Wissenschaftler in Berlin. Denn hier bestünde ein Manko, meinte Neuwirth, die ansonsten die Unterstützung ihrer Arbeit durch Drittmittel rühmte. Von den 16 Mitarbeitern ihres Instituts werden 15 Stellen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Stiftungen wie der Thyssen- oder Volkswagenstiftung finanziert.

Das war Wasser auf die Mühlen von Manfred Nießen, Leiter der DFG-Fachgruppe Geistes- und Sozialwissenschaften. Von den über 100 Projekten, die in den vergangenen vier Jahren gefördert wurden, kämen mehr als die Hälfte aus den Kleinen Fächern.

Doch zumindest ein Teil der Vertreter Kleiner Fächer verharrt in einem Nischen-Dasein – vielleicht aus der Angst, dass sie, wenn sie einmal entdeckt sind, sofort abgewickelt werden. Diesen Eindruck hatte Norbert Franz von der Universität Potsdam, als er in den vergangenen Monaten im Auftrag des Philosophischen Fakultätentags und der Hochschulrektorenkonferenz die erste Kartierung der bedrohten Fächer seit 1974 erstellte (siehe auch Kasten). „Wir mussten den Verantwortlichen ganz schön hinterhertelefonieren“, sagte Franz.

Das muss nicht unbedingt an mangelnder Kooperationsbereitschaft liegen, viele Professoren sind angesichts wachsender Verwaltungsaufgaben offenbar einfach überfordert. „Der Mehraufwand an Organisation kann nur mit mehr Personal bewältigt werden“, sagte Wolfgang Eichwede, Direktor der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen. Zentrenbildung könne nur eine Rettungsmaßnahme unter anderen sein. Letztlich hänge das Profil eines Faches nicht von seiner Größe, sondern von der Qualität der Lehre und Forschung ab.

Dass gerade die bewusste Entscheidung für die Kleinen Fächer in den letzten Jahren jetzt zum Erfolg der Freien Universität beim Exzellenz-Wettbewerb geführt hat, hob in der Abschlussdiskussion der Vizepräsident der FU, Klaus W. Hempfer, hervor. Vor vier Jahren habe man ein Viertel der Lehrstühle abbauen müssen, nur zu einem geringen Teil sei das zu Lasten der Kleinen Fächer gegangen. So hätte die Strukturplanung eine Profilbildung bewirkt. Eine Schwerpunktsetzung innerhalb der Universitäten sei Voraussetzung für eine positive Entwicklung, dabei müsse allerdings die Finanzierung der Grundlagenforschung gesichert sein.

Eva Maria Götz

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