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Teilchenphysik: Das Schwarze Loch von Genf

Ein Amerikaner klagt gegen das Kernforschungszentrum Cern, weil er eine Katastrophe befürchtet.

Walter Wagner sieht die Erde am Ende. Spätestens, wenn der größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider (LHC) in Genf, seinen Betrieb aufnehmen wird. Der Amerikaner mit dem deutschen Namen befürchtet, dass sich dann Schwarze Löcher auftun, wenn auch im Kleinformat. Denn immerhin sind Schwarze Löcher die gefräßigsten Monster, die man kennt. Sie verschlingen alles, was in ihre Nähe kommt, ob Materie oder Energie, und lassen es nicht mehr los.

Im Herbst soll es so weit sein. Dann werden im Cern, dem Europäischen Labor für Teilchenphysik, die Kerne von Wasserstoffatomen (Protonen) und die Kerne von Bleiatomen mit ungeheurer Wucht aufeinanderknallen. 600 Millionen Zusammenstöße pro Sekunde soll es geben.

Die Kollisionspartner werden sich in zahllose Bruchstücke zerlegen, sie werden Blitze aussenden, es werden neue Teilchen entstehen. Was aber genau passieren wird, weiß kein Mensch, noch nicht einmal die Tausende von Teilchenphysikern aus aller Welt, die sich am Cern versammelt haben. Mit ihrem Experiment wollen sie simulieren, was am Anfang des Universums genau geschehen ist. Wie der Urknallblitz ungeheure Energien freisetzte und Materie entstand, die sich zu Sternen und Planeten und Galaxien verdichtete.

Doch was genau ist Materie und wie konnte sie sich bilden? Die Physiker suchen ein Teilchen, das diesen Vorgang ermöglicht haben soll. Sie nennen es „Higgs“-Teilchen, nach dem britischen Physiker Peter Higgs. Dieser entwickelte 1964 eine Theorie, wie masselose Teilchen zu Materie gelangen könnten. Um dieses lange vergeblich gesuchte Teilchen endlich einfangen zu können, wird seit Jahren am Cern ein unterirdischer 27 Kilometer langer Ring gebaut.

Riesige Magnete bringen die Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit. Eine neue Ära der Wissenschaft beginnt. Oder das Chaos kommt, befürchtet Walter Wagner. Die vielen kleinen Schwarzen Löcher, die bei dem Experiment entstehen, könnten sich als genauso gefräßig erweisen wie die großen Vorbilder im Kosmos.

Darin könnte alles verschwinden, so die Befürchtung: der Beschleuniger, das Cern, ganz Genf samt Genfer See, die Schweiz, Europa und schließlich die ganze Welt? Um das zu verhindern, fordert Wagner eine umfassende Sicherheitsanalyse des LHC. Alle potenziellen Gefahren müssten untersucht werden, bevor die drei Milliarden Euro teure Tunnelanlage in Betrieb gehen könnte, schreibt er im Internet (www.lhcdefense.org). Um das durchzusetzen, hat Wagner bei einem Gericht in Honolulu (US-Bundesstaat Hawaii) Klage gegen das amerikanische Energieministerium und das Cern eingereicht.

„Wir nehmen solche Sorgen sehr ernst“, sagte Rolf-Dieter Heuer dem Tagesspiegel. Der Professor für Experimentalphysik an der Universität Hamburg ist von 2009 an neuer Cern-Chef. Als Forschungsdirektor beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) ist er am LHC-Projekt von Anfang an beteiligt. Wenn es um große innovative Projekte gehe, gebe es immer Menschen, die sich ängstigten, sagt er. Dem Verlangen Wagners werde das Cern aber nicht nachkommen. Denn selbst wenn mikroskopisch kleine Schwarze Löcher entstünden, sei dies völlig ungefährlich. Die Minigebilde zerfielen sofort wieder.

„Die Energie, die dabei freigesetzt wird, entspricht der Wucht, die beim Zusammenstoß zweier Mücken entsteht“, sagt Heuer. Der Physiker verweist auf die Himmelskörper, die Sterne und die Planeten. Überall im Kosmos gibt es energiereiche Teilchen, die kollidieren. Auch die Erde steht unter ständigem Beschuss. Wenn das zu allesfressenden Schwarzen Löchern führen würde, gäbe es Erde und Mond längst nicht mehr, sagt Heuer. So sieht er keinen Grund, weshalb am 21. Oktober die Eröffnungsfeier des LHC nicht stattfinden solle. Dass das durch eine einstweilige Verfügung aus Honolulu gestoppt werden könnte, hält er für ausgeschlossen. Ebenso wenig werde die Welt demnächst von einem Schwarzen Loch aus Genf verschluckt.

Paul Janositz

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