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Toxikologie: US-Gremium zeigt sich „besorgt“ über die Auswirkungen von Bisphenol A

Besorgnis über neuronale Auswirkungen bei Kindern, Verharmlosung anderer Risiken

Ein von der US-Regierung eingesetzter wissenschaftlicher Ausschuss hat sich "mit einiger Besorgnis" darüber geäußert, dass eine in Kunststoffen häufig vorkommende Substanz bei Säuglingen und Kleinkindern Nervenschäden sowie Verhaltensauffälligkeiten verursachen kann. Dazu reiche bereits die in Menschen nachgewiesene Konzentration dieser Substanz. Das durch diese Konzentration von Bisphenol A auch Fortpflanzungsstörungen und vermehrt Geburtsfehler auftreten können, rief hingegen nur geringfügige Besorgnis hervor.

Der Ausschuss war einberufen worden vom Center for the Evaluation of Risks to Human Reproduction (kurz: CERHR), einer Abteilung des National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS); ihre Ergebnisse gaben die Forscher am 8. August bekannt. Vor seiner endgültigen Fertigstellung wird ihr Bericht nun einer weiteren Prüfung durch das US National Toxicology Programm unterzogen; dazu sind auch zwei öffentliche Anhörungsphasen vorgesehen. Nach Abschluss aller Prüfungen kann der Bericht vielleicht als Grundlage für eine spätere Reglementierung von Bisphenol A dienen.

Die Ergebnisse stehen allerdings in krassem Gegensatz zu der Aussage eines unabhängigen Wissenschaftsausschusses, den der Wissenschaftler Jerrold Heindel, ebenfalls vom NIEHS, einberufen hatte. Dieser Ausschuss veröffentlichte eine Woche zuvor seine Konsenserklärung. Darin wird ausgeführt, dass eine Belastung mit Bisphenol A im pränatalen oder neonatalen Stadium im späteren Leben Veränderungen von Prostata, Brüsten, Hoden, Milchdrüsen, Körpergröße und Verhalten hervorrufen kann. Die Konsenserklärung erschien neben zwei weiteren Studien zu den Auswirkungen von Bisphenol A im Magazin "Reproduktive Toxicology" (1), (2), kam jedoch zu spät, um durch den Ausschuss des CERHR berücksichtigt zu werden, erklärte deren Vorsitzender Robert Chapin von der Firma Pfitzer.

"Wir haben hier zwei unterschiedliche Bestrebungen mit zwei unterschiedlichen, sich ergänzenden Ansätzen", meint Heindel, und fügt hinzu, er erwarte, die Schlussfolgerungen sowohl seines Ausschusses wie die des CERHR-Ausschusses in dem abschließenden Institutsbericht eingearbeitet zu finden.

Mitglieder des CERHR brachen derweil ihre Bemühungen ab, der Öffentlichkeit zu einem Verzicht auf Bisphenol A zu raten. Die Substanz findet sich unter anderem in Kunststoffbehältern für Nahrungsmittel und in Babyflaschen, zudem wird es manchmal für die Beschichtungen in Konservendosen genutzt. Michael Shelby, Direktor des CERHR, erklärte, er würde weiterhin wie zuvor auf Anfragen besorgter Bürger antworten. "Die Wissenschaft kann ihnen keine definitive Antwort darauf geben, welche Auswirkungen diese Belastungen haben können", erklärt Shelby. "Wenn sie deswegen beunruhigt sind, dann gibt es Alternativen."

Ausnahmen und Anschuldigungen

Der Ausschuss des CERHR sichtete mehr als 700 veröffentlichte Studien, wobei die Mitglieder für ihre abschließende Auswertung viele dieser Studien jedoch nicht heranzogen, da sie diese nicht wissenschaftlich überzeugend befanden. Der Ausschuss kritisierte unter anderem Studien an Nagetieren, bei denen die Versuchstiere Bisphenol A als Injektion verabreicht bekommen hatten. Das, so der Ausschuss, spiegele nur ungenügend die beim Menschen vorwiegend orale Aufnahme dieser Substanz wider.

Frederick vom Saal, Biologe an der Columbia University und Mitautor der in der vorangegangenen Woche veröffentlichten Konsenserklärung, meint hingegen, solche Studien seien sinnvoll und sollten Berücksichtigung finden.

Die Besorgnis, die der CEHRH-Ausschuss zum Ausdruck brachte, bezog sich auch auf Einschätzungen der für den Menschen typischen Belastung durch Bisphenol A, die sich in früheren Publikationen fanden. Der Ausschuss vermerkte dabei noch, dass beispielsweise Menschen, die mit dieser Substanz arbeiten, stärker gefährdet sein könnten.

Der CERHR-Ausschuss geriet außerdem im vergangenen Frühjahr durch Anschuldigungen, es bestehe womöglich ein Interessenkonflikt, in Bedrängnis. Damals war herausgekommen, dass der Ausschuss eine Beraterfirma mit industriellem Hintergrund herangezogen hatte. Diese Firma war im März entlassen worden, und das National Toxicology Programm leitete eine Untersuchung ein. Die Untersuchung ergab, dass sechs von mehr als 300 Veränderungen, die Ausschussmitglieder via E-Mail eingereicht hatten, nicht in dem Berichtsentwurf berücksichtigt worden waren. Weitere 50 Akten, die im Bezug auf Beratungen des Ausschusses als potenziell wichtig erachtet wurden, waren ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Das CERHR erklärte, dass die vorgeschlagenen Veränderungen und fehlenden Referenzen, die im Rahmen der Untersuchung aufgetaucht waren, der Prüfungskommission übergeben worden sind, um in dem abschließenden Institutsbericht bedacht zu werden.

"Anscheinend gab es aber keine systematische Einflussnahme", erklärt Chapin. "Was das angeht, habe ich keinerlei Bedenken."

(1) Vandenberg, N. er al. Rep. Tox., doi: 10.1016/j.reprotox.2007.07.010 (2007) (2) Newbold, R. et al. Rep. Tox., doi; 10.1016/ j.reprotox.2007.07.006 (2007)

Dieser Artikel wurde erstmals am 9.8.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi:10.1038/news070806-9. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Heidi Ledford

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